Insolvenzstrafrecht. Gerhard Dannecker
einfachen und kostengünstigen Gründung vor allem jungen Existenzgründern eine Chance.[27]
Allerdings gehen mit dieser Entwicklung auch einige Risiken einher. Das durchschnittliche Stammkapital einer neugegründeten UG (haftungsbeschränkt) beträgt gerade einmal 1250 €; in vielen Fällen beläuft es sich sogar auf weniger als 500 €.[28] Es mangelt diesen Gesellschaften daher meist an finanzieller Stabilität, weshalb die Vermutung nahe liegt, dass zahlreiche Geschäfte dieser UGs stark unterfinanziert sind und ein erhöhtes Insolvenzrisiko besteht. [29] So wird durch die häufige Unterkapitalisierung der UG bereits durch die Gründungskosten eine rechnerische Überschuldung nahe liegen.[30]
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Ein nicht völlig unerheblicher Teil der Insolvenzanträge von Unternehmen wird mangels Masse abgelehnt. Dies verwundert, da es – zumindest im Bereich der Kapitalgesellschaften – eine Abweisung mangels Masse eigentlich gar nicht geben dürfte. Denn die Verantwortlichen sind zur laufenden Überprüfung der Liquidität ihres Unternehmens verpflichtet und müssen nicht erst bei Zahlungsunfähigkeit[31], sondern bereits in Fällen der Überschuldung[32] einen Insolvenzantrag stellen. Dies ist ein Grund dafür, dass jeder Insolvenzantrag einer Kapitalgesellschaft, der mangels Masse abgewiesen wird, ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Insolvenzverschleppung nach sich zieht.
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › A. Praktische Bedeutung der Insolvenzen und ihre Bedeutung für die strafrechtliche Praxis › II. Überblick über die einzelnen Insolvenzstraftaten
II. Überblick über die einzelnen Insolvenzstraftaten
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Der Begriff der Insolvenzstraftaten umfasst diejenigen Vorschriften, die mit den Mitteln des Strafrechts die Gesamtvollstreckung sämtlicher Gläubiger im Insolvenzverfahren, das gegen einen Schuldner im Interesse einer gleichzeitigen und quotenmäßigen Befriedigung durchgeführt wird, sichern.[33] Üblicherweise differenziert man zwischen Insolvenzstraftaten im engeren und solchen im weiteren Sinne.[34]
Zu der erstgenannten Gruppe der Insolvenzstraftaten i. e. S. zählen zunächst die vom Gesetzgeber im 24. Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs eingegliederten §§ 283 bis 283d StGB. Diese unterscheiden zwischen bestandsbezogenen und informationsbezogenen Bankrotthandlungen.[35] Darüber hinaus wird die Insolvenzverschleppung gem. § 15a InsO den Insolvenzstraftaten im engeren Sinne zugerechnet.
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Zu den Insolvenzstraftaten i.w.S.[36] werden regelmäßig all jene Straftatbestände gezählt, die im Zusammenhang mit der bevorstehenden oder eingetretenen Insolvenz zum Nachteil von Staat, Gläubigern und Dritten begangen werden. Dies sind etwa der einfache Betrug gem. § 263 StGB (insbesondere gegenüber Lieferanten, einschließlich dem Wechsel- und Scheckbetrug),[37] der Kreditbetrug gem. §§ 263, 265b StGB, der Subventionsbetrug gem. §§ 263, 264 StGB, der Versicherungsbetrug gem. §§ 263, 265 StGB, die Untreue gem. § 266 StGB,[38] das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt gem. § 266a StGB,[39] die falsche Versicherung an Eides Statt gem. § 156 StGB, die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO, das Unterlassen der Einberufung der Gesellschafterversammlung bei Verlusten in Höhe der Hälfte des Grund- oder Stammkapitals gem. § 401 Abs. 1 Nr. 1 AktG, § 84 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG, § 148 Abs. 1 Nr. 1 GenG sowie weitere Formen des Betruges und der Unterschlagung, bspw. durch Veräußerung von zur Sicherheit übereigneten Gegenständen, durch mehrfache Sicherungsübereignung oder durch Verpfändung fremder Sachen.[40]
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › A. Praktische Bedeutung der Insolvenzen und ihre Bedeutung für die strafrechtliche Praxis › III. Kriminalstatistische Entwicklungen im Bereich des Insolvenzstrafrechts
III. Kriminalstatistische Entwicklungen im Bereich des Insolvenzstrafrechts
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Die aufgezeigte Entwicklung im Bereich der Insolvenzen in Deutschland spiegelt sich in der nationalen Strafrechtspraxis wider. Im Deliktsbereich der im Bundeslagebild Wirtschaftskriminalität [41] erfassten Insolvenzstraftaten (§§ 283, 283a–d StGB, § 84 GmbHG, §§ 130b, 177a HGB, § 15a IV InsO) stieg dabei die Zahl der registrierten Fälle von 2.485 im Jahre 1987 auf einen Höchststand von 15.093 im Jahre 2007. Nachdem die Zahlen dann in den folgenden Jahren zurückgingen, zeigte sich ein erneutes Hoch mit 12.392 im Jahr 2011. Seitdem waren die Zahlen bis zum Jahr 2014 rückläufig, stiegen dann zuletzt im Jahr 2015 aber um 3,0 %[42] auf 11.153 registrierte Fälle an.
In diesem Untersuchungszeitraum stieg allein die Zahl der erfassten Fälle des Bankrotts (§ 283 StGB) von 1.762 im Jahre 1987 auf 4.373 im Jahre 2004, das wiederum den Höchststand der registrierten Fälle markiert. Im Jahre 2014 ergibt sich auch hier eine leicht reduzierte Anzahl von erfassten Bankrottfällen in Höhe von 3.280 Fällen. Die Konkurs- bzw. Insolvenzverschleppung gem. § 84 GmbHG stieg von 1.791 erfassten Fällen im Jahre 1987 auf ein historisches Hoch von 8.425 Fällen im Jahre 2005. Eine Vergleichbarkeit mit den Jahren ab 2009 kann aufgrund der Tatsache, dass die Insolvenzverschleppung seit dem 1.11.2008 für alle Gesellschaftsformen einheitlich in § 15a InsO geregelt ist,[43] nicht hergestellt werden. Es wird geschätzt, dass 50 bis 80 % aller Unternehmenszusammenbrüche von Insolvenzstraftaten begleitet werden.[44] Auch in diesem Deliktsfeld wird ein erhebliches Dunkelfeld angenommen.[45]
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › A. Praktische Bedeutung der Insolvenzen und ihre Bedeutung für die strafrechtliche Praxis › IV. Praktische Bedeutung des insolvenzrechtlichen Gläubigerschutzes
IV. Praktische Bedeutung des insolvenzrechtlichen Gläubigerschutzes
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Trotz der hohen Zahl an Insolvenzen sinkt seit Längerem die praktische Bedeutung des Gläubigerschutzes durch das Insolvenzstrafrecht.[46] So liegen die Quoten bei ungesicherten Gläubigern bei unter 5 % der Forderungen, bei bevorrechtigten Gläubigern zwischen 20 und 40 %. Zudem wird das Verfahren bei etwa 40 % aller Insolvenzen mangels Masse eingestellt oder gar nicht erst eröffnet.[47] Es entspricht folglich nicht der wirtschaftlichen Realität, von einer gleichmäßigen Befriedigung der Gläubiger auszugehen. Dies hängt weniger mit den der Insolvenzordnung selbst immanenten Möglichkeiten unterschiedlicher Befriedigung der Forderungen nach Rangordnungen und Vorrechten zusammen. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang vielmehr die Anerkennung von weitestgehend „insolvenzfesten“ Sicherungsformen. Zu denken ist etwa an die Globalzession, die Sicherungsübereignung und den (verlängerten) Eigentumsvorbehalt.[48] Da infolge solcher Sicherungsmaßnahmen die Tatobjekte nicht mehr Bestandteile des Schuldnervermögens sind, greifen zum Schutz derart gesicherter Gläubiger die traditionellen Eigentums- und Vermögensdelikte ein, so dass sich das Insolvenzstrafrecht in einem erschwerten Spannungsfeld[49] bewegt: Zum einen soll es einen Beitrag zur Vermeidung zukünftiger Insolvenzen durch die Sicherung ordnungsgemäßen Wirtschaftens vor und in der Krise leisten, ohne dabei die Möglichkeit von Sanierungsversuchen einzuengen. Zum anderen soll es die Gewähr für die rechtzeitige Stellung von Insolvenzanträgen bieten, um eine möglichst hohe Haftungsmasse zu erhalten. Letzteres ist insbesondere unter dem Gesichtspunkt von Bedeutung, dass die Höhe der Verbindlichkeiten durch Sanierungsbemühungen enorm steigen kann.[50]