Insolvenzstrafrecht. Gerhard Dannecker
das Strafrecht wegen der Geltung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ keine Geltung beanspruchen kann. Geschäftsführer haften danach auch für solche Zahlungen an ihre Gesellschafter, die kausal und unmittelbar zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft geführt haben. Eine solche Haftung scheidet nur aus, wenn die Zahlungsunfähigkeit selbst für einen sorgfältig agierenden Geschäftsführer nicht erkennbar war.
Schließlich wurden auf der Ebene der Bestellungsverbote zum Geschäftsführer die Ausschlussgründe erheblich verschärft, indem sie neben den bereits in § 6 GmbHG genannten Gründen tatortunabhängig[43] auch auf Verurteilungen wegen vorsätzlich[44] begangener Straftaten mit Unternehmensbezug ausgeweitet werden. Darunter fallen nunmehr auch z. B. der Kreditbetrug (§ 265b StGB), die Untreue (§ 266 StGB) und das Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB), sofern der Betroffene zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Darüber hinaus bestehen in Zukunft Bestellungsverbote auch bei einer Verurteilung wegen Insolvenzverschleppung, falschen Angaben im Sinne des § 82 GmbHG und des § 399 AktG oder wegen unrichtiger Darstellung, etwa gem. § 400 AktG. Stets zu beachten ist in diesem Zusammenhang die daneben bestehende Möglichkeit zur Verhängung eines gerichtlichen Berufsverbotes gem. § 70 StGB für die Dauer von bis zu fünf Jahren bei einer berufsbezogenen Tat.[45]
7. Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG)/Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte/Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen
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Der nationale Gesetzgeber hat die Insolvenzrechtsreform in drei Stufen vorgenommen: Die erste Stufe führte zum Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen (ESUG) vom 7.12.2011.[46]
Die zweite Stufe wurde mit dem Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013[47] umgesetzt. Allerdings sind die Hürden für die Beschleunigung des Verfahrens so hoch gesetzt, dass die praktischen Auswirkungen nur äußerst gering sind.[48]
Weiterhin trat am 21.4.2017 das Gesetz zur Erleichterung der Bewältigung von Konzerninsolvenzen[49] in Kraft. Durch dieses Gesetz wird unter anderem die Begründung eines Gruppen-Gerichtsstandes, die Bestellung eines Verfahrenskoordinators und die Erstellung eines Koordinationsplans ermöglicht, um die Insolvenzverfahren über das Vermögen der einzelnen Konzerngesellschaften stärker aufeinander abzustimmen und die Chancen zum Erhalt des Konzerns im Wege der Sanierung zu erhöhen.[50] Damit hat der Gesetzgeber die letzte der drei Stufen der Insolvenzrechtsreform abgeschlossen.
Teil 1 Grundfragen des Insolvenz- und Insolvenzstrafrechts › B. Historische Entwicklung › II. Entwicklung des Konkurs-/Insolvenzstrafrechts auf europäischer Ebene
II. Entwicklung des Konkurs-/Insolvenzstrafrechts auf europäischer Ebene[51]
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Der zusammenwachsende europäische Rechtsraum, die Globalisierung der Wirtschaft, gepaart mit dem Vordringen neuer Technologien in den Bereichen Computer- und Biotechnologie sowie auf dem Telekommunikationssektor, wirken sich auch auf den Deliktsbereich der Wirtschaftskriminalität aus.[52] Davon bleibt der Sektor der Insolvenzstraftaten nicht verschont. Die Europäische Union reagiert hierauf kompetenzbedingt infolge des Sondercharakters des Strafrechts als dem Inbegriff nationaler Souveränität insbesondere mit Maßnahmen außerstrafrechtlicher Art, deren Nichteinhaltung durch Sanktionsvorschriften – in der Regel Geldbußen der Mitgliedstaaten – geahndet wird. Dies soll der Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen in den sich entwickelnden Wirtschaftsbereichen und damit letztendlich dem Verbraucherschutz dienen. Daneben existieren aber auch Vorgaben gemeinschaftsrechtlicher Art auf dem Gebiet des Strafrechts, welche die einzelnen Mitgliedstaaten in nationales Recht umzusetzen und die Gerichte bei der Anwendung und europarechtskonformen Auslegung nationalen Rechts[53] zu beachten haben.
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Neben dem Verwaltungsrecht wirken sich die europarechtlichen Vorgaben somit auch auf das nationale Wirtschafts- und Verwaltungsstraf- bzw. Bußgeldrecht der einzelnen EU-Mitgliedstaaten aus.[54] So wird auch der Rechtsschutz innerhalb der Europäischen Union maßgeblich von den Auswirkungen der europarechtlichen Vorgaben auf das nationale Straf- und Strafverfahrensrecht geprägt.[55]
Insgesamt lässt sich im Bereich des Wirtschafts- und Verwaltungsstrafrechts auf dem Gebiet der Europäischen Union mit Blick auf die Ziele der Rechtssicherheit, -klarheit und -bestimmtheit ein bereits aus der Entwicklung der europäischen Integration bekanntes Streben nach Harmonisierung erkennen. Dieses zeigt die Notwendigkeit einer Annäherung der nationalen Strafrechtsordnungen auf und offenbart gerade innerhalb des Wirtschaftsstrafrechts das Bedürfnis nach einer Vereinheitlichung.[56] Gemeinsamkeiten zeigen sich bisher insbesondere in der Zusammenarbeit[57] der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Kriminalitätsbekämpfung innerhalb der Europäischen Union. Dennoch ist die bereits erfolgte Angleichung des Wirtschaftsstrafrechts konsequent fortzuführen, um der wirtschaftlichen Entwicklung Rechnung zu tragen.
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Schließlich hat die Europäische Insolvenzverordnung[58] Bedeutung für das nationale Insolvenzstrafrecht. Der sachliche Geltungsbereich der EuInsVO umfasst alle „Gesamtverfahren“, die eine Insolvenz des Schuldners voraussetzen und den vollständigen oder teilweisen Vermögensbeschlag gegen den Schuldner und die Bestellung eines Verwalters zur Folge haben. Welche Verfahren der Mitgliedstaaten diesen Anforderungen gerecht werden, regelt Anhang A der EuInsVO abschließend. In Deutschland sind das Insolvenz- und das gerichtliche Vergleichsverfahren sowie das Gesamtvollstreckungsverfahren betroffen. Was den persönlichen Anwendungsbereich anbetrifft, so sind die Insolvenzverfahren aller natürlichen und juristischen Personen erfasst. Nach Art. 4 EuInsVO ist das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung für die Bestimmung des Personenkreises maßgebend, über dessen Vermögen ein Insolvenzverfahren durchgeführt werden kann. Deshalb ist in Deutschland grds. auch die Verbraucherinsolvenz betroffen. Weitere Voraussetzung ist, dass dem Schuldner Unternehmensteile in mehr als einem Mitgliedstaat der EU gehören. Allerdings sind gem. Art. 1 Abs. 2 EuInsVO Versicherungsunternehmen, Kreditinstitute, Wertpapierdienstleistungsunternehmen und Organisationen für gemeinsame Anlagen, für die Sonderregelungen gelten, ausgenommen.
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Zentraler Inhalt der Europäischen Insolvenzverordnung ist die Anerkennung fremder Insolvenzverfahren, wobei zwischen Hauptinsolvenzverfahren und Partikularinsolvenzverfahren unterschieden wird. Zwar sieht die EuInsVO ein einheitliches Hauptinsolvenzverfahren vor, dem das gesamte schuldnerische Vermögen in allen Mitgliedstaaten unterfällt. Es handelt sich um das Insolvenzverfahren, das dort, wo der Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen des Schuldners liegt („center of main interest“, COMI),[59] eröffnet wird. Daneben lässt die EuInsVO jedoch die Eröffnung von räumlich auf das Gebiet einzelner Mitgliedstaaten beschränkter Partikularinsolvenzen zu, um besondere Interessen von Gläubigern in diesen Staaten verfolgen zu können. Dies ist dann der Fall, wenn der Schuldner in diesem Staat eine Niederlassung hat und ein in diesem Staat ansässiger Gläubiger gegen ihn oder die Niederlassung eine Forderung geltend macht. Eine vor Einleitung der Hauptinsolvenz eröffnete Niederlassungsinsolvenz wird Partikularinsolvenz genannt; sie wird, wenn die Hauptinsolvenz eröffnet wird, zur Sekundärinsolvenz.
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Die Haupt- und Niederlassungsinsolvenzen werden jeweils nach dem nationalen Recht des Eröffnungsstaates abgewickelt. Bei der Eröffnung einer Hauptinsolvenz in einem der