Kraftverkehrs-Haftpflicht-Schäden. Kurt E. Böhme
Bleibt ein Fahrzeug gegen den Willen des Fahrers im Verkehrsraum liegen, so befindet es sich in Betrieb (s. Rn. 15). Der Fahrer muss zur Warnung des nachfolgenden – und auch entgegenkommenden – Verkehrs dieses „Verkehrshindernis“ absichern. Die Absicherung hat Vorrang vor einer Schadenbehebung. Bei einem nachfolgenden Unfall spricht der Anschein für die Ursächlichkeit der unterlassenen – ausreichenden – Sicherung.[71]
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Zur Absicherung gehört das Einschalten der Warnblinkanlage, Aufstellen des Warndreiecks, u.U. auch zusätzlicher Warnlampen[72]. Diese Absicherung darf jedoch nicht zur vorwerfbaren Selbstgefährdung führen.[73]
Wann Warnblinklicht einzuschalten ist, regeln §§ 15, 15a und 16 Abs. 2 StVO. Außer in den dort ausdrücklich geregelten Fällen, darf gemäß § 16 Abs. 2 StVO Warnblinklicht nur einschalten, wer andere durch sein Fahrzeug gefährdet oder andere vor Gefahren warnen will, zum Beispiel bei Annäherung an einen Stau oder bei besonders langsamer Fahrgeschwindigkeit auf Autobahnen und anderen schnell befahrenen Straßen. Grundsätzlich unzulässig ist dagegen das Einschalten des Warnblinklichts, wenn keine konkrete Gefährdung, sondern allenfalls eine Behinderung des Verkehrs vorliegt. Ein LKW-Fahrer, der, ohne dass diese Voraussetzungen vorliegen, durch Einschalten der Warnblinkanlage den Verkehr auf seinen am Fahrbahnrand stehenden LKW aufmerksam machen will, kann sich deswegen nicht darauf berufen, dass ein anderer Verkehrsteilnehmer verpflichtet sei, seine Geschwindigkeit wegen der eingeschalteten Warnblinkanlage zu reduzieren. Wird er beim Aussteigen aus dem LKW angefahren, weil er selbst seine Sorgfaltspflichten aus § 14 StVO verletzt hat, trägt er seinen Schaden vollumfänglich selbst.[74]
Nach Beendigung der Fahrtunterbrechung muss der Fahrer Warndreieck und Warnleuchten entfernen.[75]
Beim Abschleppen eines auf der Autobahn liegen gebliebenen Fahrzeugs ist die Autobahn bei der nächsten Ausfahrt zu verlassen; beim Abschleppen eines außerhalb der Autobahn liegen gebliebenen Fahrzeugs darf nicht in die Autobahn eingefahren werden. Beide Fahrzeuge haben während des Abschleppens Warnblinklicht einzuschalten.
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › V. Verhalten im Straßenverkehr › 7. Parkplätze/Parkhäuser/Tankstellen/Werksgelände
7. Parkplätze/Parkhäuser/Tankstellen/Werksgelände
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Auf öffentlichen Parkplätzen, in Parkhäusern und auf einem Tankstellengelände obliegen dem Fahrer gesteigerte Sorgfaltspflichten.
Für Ein- und Ausfahrende gilt der Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme. Bei beschränkter Übersicht auf „Zufahrtswegen“ ist Schrittgeschwindigkeit und jederzeitige Bremsbereitschaft geboten.[76]
Zum Einfahren auf die Straße s. Rn. 142, zum Abbiegen s. Rn. 210.
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Auf Parkplätzen und in Parkhäusern gilt der Grundsatz rechts vor links (§ 8 Abs. 1 StVO) lediglich für gleichartige Fahrbahnen mit eindeutigem Straßencharakter. Die Fahrspuren müssen deutlich durch bauliche Maßnahmen (z.B. unterschiedliche Oberflächengestaltung, Farblinien, Ketten o.Ä.) gekennzeichnet sein. Wenn die angelegten Fahrspuren zwischen den Parkplätzen eindeutig Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht dem Suchen von Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge, kann sich daraus ein Subordinationsverhältnis der Wege zueinander ergeben. Handelt es sich bei dem Zufahrtsweg um eine gegenüber den Durchfahrtsgassen zwischen den Parkplätzen nochmals baulich größer und breiter ausgestaltete Zufahrtsstraße, so kann § 10 StVO zur Anwendung kommen.[77] Bei unzureichender Kennzeichnung gilt der Grundsatz der gegenseitigen Rücksichtnahme des § 1 StVO.[78]
Parkplätze und Parkhäuser dienen dem ruhenden Verkehr. Daher muss auch der Benutzer einer gekennzeichneten Fahrspur so langsam fahren, dass er jederzeit anhalten kann und Ein- und Ausparkende nicht gefährdet. Er kann nicht darauf vertrauen, dass sein „Vorrecht“ beachtet wird.[79]
Der Anscheinsbeweis spricht auch auf einem Parkplatzgelände gegen den Rückwärtsfahrer.[80] Die Sorgfaltspflichten des § 9 Abs. 5 StVO erlangen zumindest über § 1 StVO mittelbare Bedeutung.[81] Beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes gilt dies nur zulasten des Fahrers, der auch zum Zeitpunkt der Kollision noch rückwärts fuhr. Wenn zwar feststeht, dass vor der Kollision auch der andere Fahrzeugführer rückwärts gefahren ist, aber nicht ausgeschlossen werden kann, dass das andere Fahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits stand, spricht der Anschein nicht gegen den möglicherweise zum Stillstand gekommenen Fahrer. Anders als im fließenden Verkehr mit seinen typischerweise schnellen Verkehrsabläufen, muss der Verkehrsteilnehmer auf einem Parkplatz jederzeit damit rechnen, dass rückwärtsfahrende oder ein- und ausparkende Fahrzeuge seinen Verkehrsfluss stören. Er muss daher, um der Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtnahme nach § 1 Abs. 1 StVO genügen zu können, von vornherein mit geringer Geschwindigkeit und bremsbereit fahren, um jederzeit anhalten zu können. Hat ein Fahrer diese Verpflichtung erfüllt und gelingt es ihm, beim Rückwärtsfahren vor einer Kollision zum Stehen zu kommen, hat er grundsätzlich seiner Verpflichtung zum jederzeitigen Anhalten genügt, so dass für den Anscheinsbeweis für ein Verschulden des (zuvor) Rückwärtsfahrenden kein Raum bleibt.[82]
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Auf einem Werksgelände, das nicht dem öffentlichen Verkehr dient, unterliegt der Verkehr in erster Linie den vom Eigentümer getroffenen Regelungen.[83] Es gilt § 1 Abs. 2 StVO.
Der Fahrer muss sich vor dem Anfahren davon überzeugen, ob sich vor oder neben dem Kfz Personen aufhalten.[84]
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Auf einem Tankstellengelände befinden sich i.d.R. keine besonders gekennzeichneten Fahrspuren. Daher findet § 8 StVO keine Anwendung. Bei unklarer Verkehrssituation greift jedoch der Grundsatz „rechts vor links“ ein.[85]
1. Kapitel Die Haftung des Kraftfahrzeughalters und -führers › V. Verhalten im Straßenverkehr › 8. Vorbeifahren
a) an Gehwegen
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Der Sicherheitsabstand zum Gehweg bzw. zum Fahrbahnrand sollte i.d.R. etwa 1 m betragen, bei lebhaftem Fußgängerverkehr eher noch mehr.[86] Einen an der Bordsteinkante stehenden Fußgänger trifft kein Mitverschulden, wenn er von einem Außenspiegel eines vorbeifahrenden Lkw getroffen wird.[87]
Linienbusse müssen bei Anfahrt zur Haltestelle am Fahrbahnrand entlang fahren. Daher trifft den Busfahrer bei Berührung mit einem nur 20 cm von der Gehwegkante stehenden Fußgänger nur eine geringfügige Haftung.[88]
b) an parkenden Fahrzeugen
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In einem geschlossenen Wohngebiet muss der Fahrer seine Geschwindigkeit herabsetzen, wenn er wegen „Unübersichtlichkeit“ den Verkehrsablauf nicht vollständig überblicken kann. Der Begriff der Unübersichtlichkeit