Einführung in die Praxis der Strafverteidigung. Olaf Klemke
Verfahrens notwendig ist, rechtskundigen Beistand erhält.[2] Der gerichtlich bestellte Verteidiger muss die Verteidigung übernehmen, § 49 BRAO. Nur aus wichtigem Grund kann er die Aufhebung der Beiordnung beantragen, § 49 i.V.m. § 48 Abs. 2 BRAO. Er hat die Verteidigung in sachgerechter Weise zu führen; und zwar in eigener Person. Er muss daher selbst ununterbrochen an der Hauptverhandlung teilnehmen und darf keine Untervollmacht erteilen. Allerdings kann für den Pflichtverteidiger dessen gem. § 53 BRAO bestellter Vertreter auftreten. Im Übrigen hat der Pflichtverteidiger dieselben Aufgaben wie der Wahlverteidiger.[3]
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Zwar dient die Pflichtverteidigung auch der Sicherung eines fairen, rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Pflichtverteidiger seine Verteidigungsaktivitäten an tatsächlichen oder aus Sicht der Strafjustiz vermeintlichen öffentlichen Interessen auszurichten hat oder ausrichten darf. Er ist vor allem kein Garant für ein schnelles und konfliktfreies Verfahren, von der Politik und der Rechtsprechung auch gern beschönigend als „effektiv“ oder – weniger verschleiernd – als „reibungslos“[4] deklariert. Die Pflichtverteidigung dient nicht als „Trojanisches Pferd“ der Durchsetzung des Interesses der Strafjustiz an einem „kurzen Prozess“. Das einzige öffentliche Interesse, welches der zum Pflichtverteidiger bestellte Anwalt zu berücksichtigen hat, ist dasjenige, dass der Angeklagte in Fällen der notwendigen Verteidigung den erforderlichen professionellen Beistand eines Strafverteidigers erhält. Wie der Verteidiger die Verteidigung führt, entscheidet er eigenverantwortlich, möglichst im Einklang mit dem Angeklagten und allein ausgerichtet an dessen wohlverstandenem Interesse. Denn da der Pflichtverteidiger ebenso wie der Wahlverteidiger Beistand des Angeklagten ist, hat er ausschließlich diesem streng parteilich zu dienen, ohne auf sonstige Interessen die geringste Rücksicht zu nehmen.
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Die Bestellung eines Pflichtverteidigers ist unabhängig davon, ob sich der Angeklagte einen Verteidiger leisten kann. Immer dann, wenn ein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt und der Angeschuldigte keinen Wahlverteidiger beauftragt hat, ist ihm zwingend ein Verteidiger beizuordnen. Hieraus folgt, dass ein Pflichtverteidiger immer ein notwendiger Verteidiger, nicht jedoch jeder notwendige Verteidiger ein Pflichtverteidiger ist.[5]
Teil 1 Das Mandat des Strafverteidigers › II. Die Pflichtverteidigung › 2. Der Zustand der Pflichtverteidigung
2. Der Zustand der Pflichtverteidigung
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Die Pflichtverteidigung hat keinen guten Ruf. Unter juristischen Laien hält sich hartnäckig die Auffassung, die Pflichtverteidigung sei eine Art Verteidigung „zweiter Klasse“. Dies sieht das Gesetz zwar nicht vor. In der Praxis bewahrheitet sich diese kritische Einschätzung allerdings nur allzu oft. Die Gründe für den oft beklagenswerten Zustand des Institutes der Pflichtverteidigung liegen auf der Hand.
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Zum einen ist die Pflichtverteidigung für Rechtsanwälte, die sich auf Strafverteidigungen spezialisiert haben, finanziell unattraktiv. Zwar hat der Gesetzgeber mit dem Erlass des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) die Vergütung für die Pflichtverteidigung nicht unerheblich erhöht. Dennoch ist die Tätigkeit zu den gesetzlichen Gebühren des Pflichtverteidigers auch jetzt noch nicht einmal kostendeckend. Um überhaupt die Kosten einer durchschnittlichen Strafrechtskanzlei tragen, die Renten- und Krankenversicherung bezahlen und dann noch einen eigenen Verdienst erarbeiten zu können, muss der Anwalt mit einem Stundensatz von mindestens 125 € netto rechnen.[6] Viele gute Verteidiger drängen sich also gar nicht erst nach Pflichtverteidigungsmandaten. Werden sie vom Gericht bestellt, bearbeiten sie das Mandat zwar nicht absichtlich nachlässig. Der zeitliche Einsatz für das Pflichtverteidigermandat ist jedoch in vielen Fällen limitiert. Schließlich haben die Verteidiger daneben Wahlmandate, insbesondere solche mit vereinbarten Zeithonoraren, zu bearbeiten, von deren Einnahmen sie den Kanzleibetrieb aufrechterhalten und ihren Lebensunterhalt bestreiten müssen. Für die Pflichtverteidigung bleibt dann mitunter nicht so viel Bearbeitungszeit, wie eigentlich für eine optimale Verteidigung erforderlich wäre.
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Zum anderen gibt es Kollegen, die versuchen, fast ausschließlich von Pflichtverteidigungen zu existieren. Diese Verteidiger bekommen in der Regel den größten Teil der Mandate durch gerichtliche Beiordnung, ohne zuvor als Wahlverteidiger für den Angeklagten tätig geworden zu sein. Sie befinden sich somit in finanzieller Abhängigkeit von den Gerichtsvorsitzenden, die sie mit Verteidigerbestellungen bedenken. Sie müssen sich bei jeder Verfahrensaktivität, die sie erwägen, gleichzeitig fragen, ob sie hierdurch nicht den Vorsitzenden verärgern und sich damit die Chance weiterer Beiordnungen verspielen könnten. Denn es ist schlichtweg ein Märchen, dass die Vorsitzenden der Spruchkörper qualifizierte und versierte Verteidiger schätzen. Sie schätzen in der Regel vielmehr so wenig Arbeit wie möglich und damit einen „kurzen Prozess“, von ihnen irreführend als „effizientes Verfahren“ bezeichnet. Ein Verteidiger, der tatsächlich die Rechte des Angeklagten durchzusetzen versucht und insbesondere nachhaltig auf die Einhaltung der den Mandanten schützenden Formen der Strafprozessordnung drängt, wird als Störenfried, als „Konfliktverteidiger“, begriffen. Er bereitet dem Gericht nämlich aus dessen Sicht nur „unnötige Arbeit“. Dies führt dann dazu, dass aus Rücksicht auf weitere Beiordnungen viele aussichtsreiche Verteidigungsaktivitäten unterbleiben und sogar erfolgversprechende Rechtsmittel nicht eingelegt werden. Hilbers/Lam bezeichnen dieses Phänomen zutreffend als „Beiordnungsprostitution“[7]. Ein Teil dieser Kollegen verfügt zudem auch nicht über eine hinreichende Qualifikation als Verteidiger.
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Ein extremer Ausdruck dieses Phänomens ist die widerspruchslose Hinnahme der Beiordnung ohne Stellung eines Aussetzungsantrages zur Vorbereitung der Verteidigung in Fällen, in denen in laufender Hauptverhandlung der „Wahlpflichtverteidiger“, der das Vertrauen des Angeklagten genießt, wegen Terminkollisionen entpflichtet wird.
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Es liegt an den Verteidigern, den bedenklichen Zustand der Pflichtverteidigung nachhaltig zu verbessern. Auch die fachlich guten und engagierten Verteidiger sollten sich nicht davor scheuen, Pflichtverteidigermandate anzunehmen und diese mit demselben Einsatz zu bearbeiten wie Wahlmandate.[8]
Teil 1 Das Mandat des Strafverteidigers › II. Die Pflichtverteidigung › 3. Die Fälle der notwendigen Verteidigung
3. Die Fälle der notwendigen Verteidigung
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Vorschriften über die notwendige Verteidigung sind über das gesamte Strafverfahrensrecht verstreut. Den größten Anwendungsbereich hat die Regelung des § 140 StPO. Die Darstellung beschränkt sich daher auf dessen Erläuterung. § 140 Abs. 1 StPO enthält einen Katalog von Fällen der notwendigen Verteidigung. Weitere Fälle sind in den generalklauselartigen Auffangtatbeständen des § 140 Abs. 2 StPO beschrieben.
a) Der Katalog des § 140 Abs. 1 StPO
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Gem. § 140 Abs. 1 Nr. 1 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig, wenn die Hauptverhandlung im ersten Rechtszug vor dem Oberlandesgericht oder dem Landgericht stattfindet. Das Oberlandesgericht wird als erstinstanzliches Gericht ausschließlich in sog. „Staatsschutzsachen“ nach § 120 GVG tätig. Das Landgericht ist gem. § 74 Abs. 1 GVG in erster Instanz zuständig:
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für alle Verbrechen, für die nicht die Zuständigkeit des Amtsgerichts |