Handbuch des Strafrechts. Jörg Eisele

Handbuch des Strafrechts - Jörg Eisele


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im Verhältnis zum Totschlag ein Privilegierungstatbestand. Das systematische Verhältnis der Tötungstatbestände zueinander ist Gegenstand andauernder Meinungsverschiedenheiten zwischen Rechtsprechung und Strafrechtswissenschaft. Die Rechtsprechung sperrt sich gegen die Sichtweise der Lehre, nach der Mord und Tötung auf Verlangen durch Hinzufügung spezieller Merkmale geschaffene unselbstständige Abwandlungen des Grundtatbestandes Totschlag sind. Der Streit hat ergebnisbeeinflussende Auswirkungen bei Taten mit mehreren Beteiligten. Die dogmatische Relevanz versteht man nur vor dem Hintergrund der verschiedenen Mordmerkmale. Daher wird unten (Rn. 48 ff.) darauf näher eingegangen. Vom Mord unterscheidet sich der Totschlag durch das Fehlen jeglicher über die vorsätzliche Tötung hinausgehender Merkmale, von deren Erfüllung die Tatbestandsmäßigkeit abhinge. Der Totschlagstatbestand blendet alle Einzelheiten des Tathergangs, der Täterbeweggründe und der vom Täter mit der Tötung verfolgten Zwecke aus. Daher ist der typische Totschlagsfall, dessen reales Erscheinungsbild der kargen Tatbeschreibung im Gesetz am nächsten kommt, die im Affekt begangene Tötung. Soweit die Tat von objektiven oder subjektiven Umständen geprägt wird, die Einfluss auf den Grad des Unrechts oder der Schuld haben, ist dies bei der Strafzumessung zu berücksichtigen.[62] Erreicht das Gewicht solcher Umstände den Schweregrad eines Mordes, ist ein besonders schwerer Fall anzunehmen und lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen, § 212 Abs. 2 StGB.[63] Der subjektive Tatbestand des Totschlags verlangt Vorsatz, § 15 StGB. Ausreichend ist bedingter Tötungsvorsatz. Das gilt auch für den Totschlagsversuch (§§ 212, 22 StGB). Rechtswidrig ist der Totschlag, wenn er nicht gerechtfertigt ist. Der Tod eines Menschen ist, wenn er durch menschliches Verhalten verursacht wurde, schwerstes Unrecht. Daher ist die Rechtfertigung eines Totschlags nur ausnahmsweise möglich. Unanwendbar sind die Rechtfertigungsgründe Einwilligung und Notstand.[64] Möglich ist eine Rechtfertigung des Totschlags durch Notwehr (§ 32 StGB).[65] Totschlag durch Unterlassen kann durch Pflichtenkollision gerechtfertigt sein.[66] In Situationen extremen psychischen Drucks kann ein Totschlag entschuldigt sein, §§ 33, 35 StGB.

2. Mord

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      Während in der Rechtsprechung der Bundesrepublik Deutschland seit der Nachkriegszeit bis heute von ernsthaften Problemen bei der Anwendung des Mordparagraphen aus dem Jahr 1941 nicht berichtet wird, wurde in der Strafrechtswissenschaft die Regelung permanent kritisiert und ihre Reformierung gefordert. Ein Höhepunkt der Reformdebatte ohne legislative Folgen war die Befassung des 53. Deutschen Juristentages im Jahr 1980 mit dem Thema „Reform der Tötungsdelikte“. Auf das Referat von Albin Eser bezieht sich noch heute jeder, der sich mit Vorschlägen zur Neuregelung des Tötungsstrafrechts befasst. Der letzte große Anlauf zu einer Reform im Jahr 2014 brachte neben vielen Fachbeiträgen in Print- und online-Medien einen voluminösen Abschlussbericht einer hochkarätig besetzten vielköpfigen Expertengruppe hervor. Die Politik vermochte die Anregungen jedoch nicht vor dem Ende der 18. Legislaturperiode umzusetzen (siehe oben Rn. 2 ff.).

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