Handbuch des Strafrechts. Jörg Eisele
Mordlust
20
Als Tötung aus Mordlust gilt eine Tat ohne jeden über die Lebensvernichtung hinausgehenden Zweck.[101] Mordlust bedeutet Tötung um des Tötens willen, Töten aus Freude am Töten.[102] Tötung aus Mordlust kann nur eine mit direktem Tötungsvorsatz begangene Tat sein.[103] Versuchten Mord aus Mordlust hat der BGH in einem Fall auf Grund folgender Umstände angenommen: „… Er (der Angeklagte) empfand diesen abgelegenen und verlassenen Ort als unheimlich und dachte bei sich, wenn man hier jemanden umbringen würde, würde es niemand hören und bemerken. Danach ging er zur Bahnhofshalle zurück und setzte sich auf eine Bank im Gang der zu diesem Zeitpunkt menschenleeren Bahnhofshalle. Er erinnerte sich an einen Zeitschriftenartikel, in dem über die Tötung einer alten Frau durch zwei Jugendliche berichtet worden war, und dachte bei sich, wenn er einmal so etwas mache, dann mache er es so, dass man ihn nicht erwische. Als der Angeklagte am Ende dieser Überlegungen gerade von der Bank aufstehen wollte, ging die damals 21 Jahre alte W. an ihm vorbei zur Toilette. Als er die junge Frau sah, dachte er bei sich, jetzt oder nie, und meinte dabei bei sich selbst, entweder bringe er diese Frau jetzt um oder er lasse es überhaupt bleiben. Er entschloß sich dann, das Mädchen zu töten, wobei er sich ausschließlich von dem Willen leiten ließ, einen Menschen vom Leben zum Tode zu befördern. Diesen Vernichtungshass vermochte der Angeklagte trotz des Zusammenwirkens seiner Alkoholisierung und seiner seelischen Abartigkeit zu erfassen. Er wartete einen Augenblick und ging dann ebenfalls die Treppe zur Toilette hinunter. In der Damentoilette packte er das am Waschbecken stehende Mädchen mit beiden Händen fest am Hals, um es zu erwürgen …“[104] Der Senat hob hervor, dass der Angeklagte einen Menschen töten wollte, „der ihm nicht den geringsten Anlass zur Tat gegeben hat“. Er habe die Tat „aus reiner Freude an der Vernichtung eines Lebens“ begangen.[105]
bb) Zur Befriedigung des Geschlechtstriebs
21
Tötungen zur Befriedigung – nicht: zur Erregung[106] – des Geschlechtstriebs sind durch die sexuelle Instrumentalisierung – Verdinglichung – des Opfers geprägt. Der Täter sucht die Triebbefriedigung entweder in dem Tötungsakt selbst oder durch sexuelle Handlungen an der Leiche, nachdem er das Opfer zuvor zu diesem Zweck getötet hat, oder in einer mit bedingtem Tötungsvorsatz begangener Vergewaltigung.[107] Nach der Rechtsprechung des BGH sei das Mordmerkmal sogar erfüllt, wenn der Täter die Tötung des Opfers filmt, um später beim Anschauen des Videos zu masturbieren: „Am 12. März 2001 nahm der Angeklagte zum ersten Mal Fleisch vom Körper des B. in gebratener Form zu sich. Nach der Mahlzeit schaute er sich den von ihm aufgezeichneten Videofilm mindestens einmal an und onanierte dabei.“[108] Dazu bemerkt der Senat: „Will der Täter die Befriedigung des Geschlechtstriebs erst bei der späteren Betrachtung des Videos vom Tötungsakt und den Umgang mit der Leiche finden, so erfüllt dieses Motiv das Mordmerkmal ebenfalls. Der Wortlaut des Gesetzes enthält keine Begrenzung auf die bisher entschiedenen Fallgestaltungen. Das Gesetz sieht vielmehr die Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs als besonders verwerflich an, weil der Täter das Leben eines Menschen der Befriedigung seiner Geschlechtslust unterordnet.“[109] Dass zwischen der Tötung und der Benutzung des Videofilms zur Erreichung sexueller Befriedigung eine erhebliche Zeitspanne liegt, stehe der Erfüllung des Mordmerkmals nicht entgegen.[110] Auch wenn diese Sichtweise im Gesetzeswortlaut eine Stütze hat, ist die im „Kannibalen-Fall“ daraus geschlussfolgerte Bejahung des Mordmerkmals falsch. Die Höchststrafwürdigkeit der Tat setzt nämlich bei allen Mordmerkmalen ein Handeln gegen den Willen des Opfers voraus. Handelt der Täter bei seiner sexuell motivierten Aktion mit tödlichem Ausgang im Einvernehmen mit seinem Opfer, kann von einer „Verdinglichung des Opfers“[111] keine Rede sein. Jedenfalls solange § 211 StGB keine andere Sanktion als die „absolute“ lebenslange Freiheitsstrafe androht, ist eine restriktive Auslegung der Tatbestandsmerkmale geboten.[112]
cc) Habgier
22
Habgier ist das Streben nach Mehrung des eigenen Güterbestandes bzw. Vermögens.[113] Diese Intention ist isoliert gesehen nicht verwerflich. Gewinne zu erzielen ist eine unabdingbare Voraussetzung für das Funktionieren einer dynamischen Wirtschaft, die das Kernstück kapitalistischer Gesellschaftssysteme westlichen Musters ist. Rechtlich akzeptabel sind aber nur faire und rechtskonforme Methoden der Vermögensmehrung. Es müssen die „Spielregeln“ des Wettbewerbs eingehalten werden. Bei Bestehen eines Anspruchs auf die Vermögensmehrung gibt es in einem Rechtsstaat legale Mittel zur Erlangung des begehrten Objekts. Töten um der Vermögensmehrung willen geschieht deshalb überwiegend, wenn der legale Weg zum Ziel versperrt ist, weil das Objekt einem anderen zusteht und das Recht den Zugriff darauf verbietet. Der typische Mord aus Habgier ist deshalb der Raubmord.[114] Generell setzt das Mordmerkmal Habgier voraus, dass die erstrebte Bereicherung eine rechtswidrige ist. Wer einen Anspruch gegen den leistungsunwilligen Schuldner eigenmächtig mit Gewalt durchzusetzen versucht und bei der Auseinandersetzung dem Gegner mit bedingtem Tötungsvorsatz eine tödliche Verletzung zufügt, hat einen Totschlag begangen, aber keinen Mord.[115] Umstritten ist, ob als „Habgier“ auch die Abwehr der Durchsetzung von Forderungen, als Mord also die Tötung des Anspruchsberechtigten, qualifiziert werden kann. Beispielhaft ist etwa die Tötung des eigenen Kindes oder der geschiedenen Ehefrau, um die Last der Unterhaltsverpflichtung abzuwälzen.[116] Vgl. BGHSt 10, 399: „Der Angeklagte hat Th. G. zu töten versucht, um von der Unterhaltslast für das von ihr erwartete Kind freizukommen. Hierin findet das Schwurgericht ein Handeln aus Habgier“. Für die Einbeziehung in das Mordmerkmal spricht, dass der Gesamtwert des Vermögens nicht nur durch Zufluss von Gütern, sondern auch durch die Verhinderung von Verlusten erhöht werden kann. So sieht es auch der BGH: „Habgier bedeutet nach allgemeinem Sprachgebrauch ein übertriebenes Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen. Wer nicht einmal davor zurückschreckt, ein Menschenleben aus diesem Beweggrunde zu töten, der zeigt ein Gewinnstreben, das in seiner Rücksichtslosigkeit das gewöhnliche Maß weit übersteigt. … Hierbei kann es nicht darauf ankommen, ob der Täter einen tatsächlichen Gewinn erzielen oder nur Aufwendungen vermeiden will. Denn in beiden Fällen geht er in der gleichen rücksichts- und gewissenlosen Weise darauf aus, seine Vermögenslage zu verbessern.“[117] Allerdings ist im Fall der Aufwendungsvermeidung das Ziel des Täters nicht „mehr“, sondern nur „nicht weniger“ Vermögen als er vor der Tat tatsächlich hat. Der Täter will einen Verlust abwenden, einen Vermögenszuwachs erstrebt er nicht. Eine beabsichtigte Vermögensmehrung kann man lediglich bei Zugrundelegung des hypothetischen – geringeren – Vermögens nach Erfüllung der Forderung bejahen. Gewiss folgt daraus nicht zwingend ein geringerer Strafwürdigkeitsgehalt. Zu bedenken ist aber, dass der Mordtatbestand restriktiv ausgelegt werden muss, und zwar in Bezug auf alle Mordmerkmale. Da selbst nach dem BGH nicht jedes, sondern nur „übertriebenes“ Streben nach wirtschaftlichen Vorteilen das Strafwürdigkeitsniveau des Mordes erreicht, sollte Habgier im Falle der Tötung zur Abwendung einer Vermögensbelastung verneint werden.
dd) Sonstige niedrige Beweggründe
23
Das Mordmerkmal „sonstige niedrige Beweggründe“ ist eine Generalklausel und ein Auffangbecken für alle unbenannten niederen Tötungsmotivationen. Ihre Unbestimmtheit lässt diese Generalklausel im Lichte des Art. 103 Abs. 2 GG als schwer erträglich erscheinen. Auf der anderen Seite ist sie das einzige Mordmerkmal, das die Entscheidung über lebenslange Freiheitsstrafe auf eine Gesamtwürdigung stellt, in der mildernde Umstände einbezogen werden können, die neben anderen Mordmerkmalen keine Chance auf Berücksichtigung haben.[118] Die Umstände und Vorgeschichte der Tat einschließlich des Opferverhaltens, die Lebensumstände und die Persönlichkeit des Täters strahlen ab auf die Gesamtbewertung der Antriebe, die den Täter zu der Tötung gedrängt haben.[119] Der Konstruktionsfehler der gesamten Mordvorschrift wird dadurch tatbestandsintern bestätigt.[120] Denn jeder Entscheidung sollte die Würdigung aller relevanten Aspekte vorausgehen, gleich welches Mordmerkmal durch die Tat verwirklicht worden ist. Gelingen kann dies jedoch weder durch