Handbuch des Strafrechts. Robert Esser
mit der Hoffnung schmeichelt, nicht betreten zu werden: diesem stellt die Polizey hindernde Anstalten in Weg, die ihm das Vermögen benehmen, einen nachtheiligen Entschluß zur Tat zu bringen; … wenigstens die Hoffnung vereiteln, bey Ausübung einer Übelthat unentdeckt, und ungestraft, zu bleiben. Die Gewissheit entdeckt, mithin ergriffen, mithin bestraft zu werden, vergrößert das Gewicht der abgehaltenen Beweggründe, und verwandelt … die Furcht (vor, E.H.) der Strafe im Schrecken“.[196]
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Auch der Bestimmtheitsgrundsatz als Voraussetzung des Freiheitsschutzes wird angesprochen:
„Es gehört … zur vollkommenen Sicherheit, dass die Gesetze so abgefasset werden, damit jedermann die Gränzen dieser Freiheit erkenne, und sie, weder aus Unwissenheit zu überschreiten, verleitet werde, noch sich auf ihre Dunkelheit beziehen möge, noch endlich wegen ihrer Zweydeutigkeit, zu handeln sich nicht getraue“.[197]
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Bei der Strafzumessung möchte er die Willkür der Richter so weit wie möglich einschränken und fordert,
dass „das Gesetz die Strafe bestimmen (soll, E.H.) und nicht der Richter“. Da es aber unmöglich sei, „für alle Verbrechen und Vergehungen, nach den unendlichen Stufen der Bosheit, die Strafe auszumessen, und daher dem Gutdünken des Richters nothwendig vieles überlassen werden muss; so ist zur Sicherheit des Bürgers dennoch erfordert, die Gränzen genau auszuzeichnen, bis zu welchen der Richter in den seiner Willkür heimgestellten Bestrafungen gehen, und die ihm unter keinem Vorwande zu überschreiten, freygelassen seyn soll“.[198]
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Besonders bekannt wurde Sonnenfels Auseinandersetzung mit der Folter:
„Die Folter, … die den Geist den Schmerzen des Körpers unterwirft, hat sich … wider den bessern Endzweck der Gerechtigkeit in das Kriminalverfahren eingedrungen. Es ist unbegreiflich, wie man es je verkennen konnte: daß dieses entsetzliche Verfahren, um die Gewißheit eines Verbrechens zu bestättigen, unzuverlässig (ist, E.H.); daß das auf der Folter abgelegte Geständniß zur Verurteilung unzureichend, daß das Nichtgeständnis ebenso zur Lossprechung unzureichend, daß die Zwangsfrage nur der schwachen Unschuld gefährlich, nur dem starken Schuldigen günstig ist.“[199]
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Sonnenfels fasst seine Straftheorie in drei Gesichtspunkten zusammen: „I. Die Strafe muss so groß seyn, als nöthig ist, die gesetzmässige Handlung, oder Unterlassung zu bewirken. II. Die Strafe muß nicht grösser sein, als zur Bewirkung der gesetzmässigen Handlung nöthig ist. III. Der stärkste abhaltende Beweggrund, das ist, die wirksamste Strafe wird immer diejenige seyn, welche ein Übel drohet, dass dem zur Uebertretung einladenden Beweggrund gerade entgegen steht.“[200] Die Nähe dieser Überlegungen zu Feuerbachs Theorie des psychologischen Zwangs (s.u. Rn. 134) liegt auf der Hand.
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Auch zur Todesstrafe äußert sich Sonnenfels. Er plädiert dafür, sie nicht gänzlich abzuschaffen,[201] aber doch abzumildern.[202] In der letzten Auflage seines Werkes findet sich dazu eine interessante Auseinandersetzung mit Beccaria:
„Im Jahre 1764 ließ ich den Lehrsatz drucken und öffentlich vertheidigen: Die Todesstrafen sind dem Endzwecke der Strafen entgegen: schwere, anhaltende, öffentliche Arbeiten sagen demselben mehr zu, und machen die Bestrafung des Verbrechers für den Staat nutzbar. Ich schaltete im Jahr 1765 diese Meinung der ersten Auflage dieses Werkes ein. Gegen das Ende eben dieses Jahres erschien die vortreffliche Abhandlung des Marchese Beccaria: Von Verbrechen, und Strafen, welche die verdiente Aufmerksamkeit Europens auf sich zog. Wer, fragt er, hat einem Anderen das Recht über sein Leben eingeräumt? Ich gebe mir die Freyheit zu antworten: Die Natur, welche dem Menschen seine Selbsterhaltung zur Pflicht gemacht, und ihn zur Erfüllung dieser Pflicht mit dem Rechte der Selbstvertheidigung bewaffnet hat… Was bei einzelnen Menschen Selbstvertheidigung hieß, heißt in der Hand der obersten Gewalt Strafe. … Die oberste Gewalt kann also Todesstrafen verhängen, wo immer die Vertheidigung der gemeinschaftlichen Sicherheit die Hinrichtung des Übeltäters nothwendig machet“.[203]
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Sonnenfels kriminalpolitische Darlegungen griffen bekannte Elemente der Strafrechtspolitik der Aufklärung auf: Einführung einer Verhältnismäßigkeit der Strafe, Abschaffung der Folter, Abschaffung bzw. Abmilderung der Todesstrafe, Ergänzung der Abschreckung durch Kriminalprävention. Konsequenter als andere Aufklärer fügte Sonnenfels seine kriminalpolitischen Vorstellungen in das Konzept einer umfassenden „Polizei“ ein, deren Aufgabe es ist, „die innere Sicherheit zu gründen und zu erhalten“. Ziel der Polizei ist die „allgemeine Glückseligkeit“, in deren Zusammenhang Sonnenfels die Gesichtspunkte „Sicherheit“ und „Bequemlichkeit“ hervorhob.[204] Seine Vorschläge waren keineswegs unumstritten, sondern stießen immer wieder auf erhebliche Kritik, vor allem seitens der katholischen Kirche.[205]
2. Abschnitt: Strafrechtsgeschichte › § 6 Die geistesgeschichtlichen Grundlagen des heutigen Strafrechts in der Aufklärung › E. Die Reformdiskussion in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts
E. Die Reformdiskussion in den letzten Jahrzehnten
des 18. Jahrhunderts
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Einen Höhepunkt der öffentlichen Reformbestrebungen im Kriminalrecht des späten 18. Jahrhunderts stellt das Berner Preisausschreiben zur Strafrechtsreform aus dem Jahr 1777 dar. Die von der Berner „Ökonomischen Gesellschaft“ ausgelobte Preisfrage lautete:
„Es soll über die Kriminal-Materien ein vollständiger und ausführlicher Gesetzesplan verfasst werden, unter diesem dreifachen Gesichtspunkt: 1. Von denen Verbrechen und denselben aufzuerlegenden angemessenen Strafen. 2. Von der Natur und der Stärke der Beweistümer, und der Vermutungen. 3. Von der Art, mittels der Kriminalprozedur dergestalten dazu zu gelangen, dass die Gelindigkeit des Verhörs und der Strafen mit Gewißheit einer schleunigen exemplarischen Strafe vereinigt werden und die bürgerliche Gesellschaft die größte Sicherheit finde, mit der größten möglichen Ehrfurcht für die Freiheit und die Menschheit vereinbaret.“[206]
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Voltaire (s.o. Rn. 61 ff.) unterstützte das Preisausschreiben nicht bloß finanziell, sondern publizierte noch 1777, kurz vor seinem Tod, einen Artikel „Prix de la justice et de l’humanité“, der bereits 1778 unter dem Titel „Preis der Gerechtigkeit und der Menschenliebe“ in deutscher Sprache erschien.[207] Der Text enthält in konzentrierter Form Voltaires strafrechtspolitische Forderungen.
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Auf die Preisfrage gingen 47 Manuskripte ein, wovon siebzehn in französischer Sprache verfasst waren, sieben in deutscher und je eines in lateinischer bzw. italienischer Sprache.[208] Hinsichtlich ihres Umfangs, ihres fachlichen Niveaus und ihrer Ausrichtung unterschieden sich die Abhandlungen erheblich. Nur einige erschienen im Druck. Den Preis gewann schließlich die Abhandlung von Ernst Hanns von Globig und Johann Georg Huster mit dem (später hinzugefügten) Titel „Abhandlung von der Criminal-Gesetzgebung. Eine von der ökonomischen Gesellschaft in Bern gekrönte Preisschrift“.[209]
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Parallel dazu erschienen zahlreiche andere Arbeiten zum Thema, die nicht nach Bern eingereicht worden waren, deren Autoren aber dennoch an einer Reform des zeitgenössischen Strafrechts mitwirken wollten. Die „Hochflut“[210] der Reformvorschläge, die nicht nur von Rechtsprofessoren, sondern auch und gerade von gelehrten Rechtspraktikern verfasst wurde,