Handbuch des Strafrechts. Robert Esser
c) Der Umgang mit Weite und partieller Inkonsistenz
der Strafrahmen im StGB
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Als Einwand gegen die materielle Berechtigung einer Strafrahmenorientierung kommt allerdings das Argument der Inkonsistenz der Strafrahmen in Betracht: Am überzeugendsten wäre eine Orientierung an den Strafrahmen natürlich, wenn diese ein in sich schlüssiges, wertungsmäßig überzeugendes und widerspruchsfreies System bilden würden, was nicht zu Unrecht vielfach bestritten wird.[206] Darüber hinaus wird bei vielen Strafrahmen die enorme Spannweite bemängelt, welche die Leitfunktion für die Strafzumessung beeinträchtigt und sub specie Art. 103 Abs. 2 GG sogar verfassungsrechtlich bedenklich sein könnte.[207]
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Beide Kritikpunkte haben zwar einen berechtigten Kern, verurteilen aber das Konzept einer strafrahmenorientierten Auslegung nicht generell und von vorneherein zum Scheitern. Denn auch ein weit gefasster Strafrahmen zeigt durch seine Unter- und/oder seine Obergrenzen durchaus, wie der Gesetzgeber die Unrechts- und Schuldschwere eines Verhaltens einstuft.[208] Für die strafrahmenorientierte Auslegung sind gerade diese Grenzen und weniger der zwischen ihnen liegende Bereich von Bedeutung, da die Grenzen besonders plastisch und prägnant sind. Hinzu kommt, dass – bei aller Weite – regelmäßig Strafrahmen mit geringen Mindeststrafen auch bei der Obergrenze eher enden als solche mit signifikant höheren Mindeststrafen. Die mehr oder weniger großen Überschneidungen zwischen unterschiedlichen Strafrahmen spielen demgegenüber keine entscheidende Rolle, da Durchschnittswerte, welche in einem bestimmten Verhältnis zum Unrechts- und Schuldgehalt des Durchschnittsfalles stehen sollen,[209] dennoch ganz verschieden sind. Auch der Vorwurf von systematischen und wertungsmäßigen Missverhältnissen zwischen bestimmten Strafrahmen ist nicht in toto durchgreifend. Zum einen trifft er wohl ohnehin nur einen verhältnismäßig kleinen Anteil von Straftatbeständen wirklich zentral; zum anderen werden Wertungswidersprüche vielfach zwischen Tatbeständen festgestellt, die bei der Auslegung ohnehin nur sehr bedingt zueinander in Beziehung gesetzt werden dürften, da sie gänzlich andere Lebenssachverhalte betreffen (so etwa Körperverletzungs- und Vermögensdelikte). Ungeachtet der verbleibenden rechtspolitischen Kritikwürdigkeit sind Widersprüche zwischen solchen voneinander „weiter entfernten“ Delikten für die Auslegung weniger prekär.[210]
5. Grenzen der strafrahmenorientierten Auslegung
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Im Ergebnis kann daher eine Berücksichtigung der Strafrahmen bei der Auslegung sowohl formal-technisch als auch materiell-inhaltlich durchaus begründet werden. Gleichwohl dürfen gewisse Schwierigkeiten nicht aus dem Blick verloren werden, die den Möglichkeiten einer Strafrahmenorientierung Grenzen ziehen:
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a) Die erste ist eigentlich selbstverständlich und besteht darin, dass auch Strafrahmenerwägungen nicht absolut gesetzt werden dürfen. Das Auslegungsergebnis darf also nicht alleine und unter völliger Ausblendung möglicher anderer Argumente auf Strafrahmenerwägungen gestützt werden. Das ist ein allgemein anerkannter Grundsatz bei jeder Auslegung[211] und muss natürlich auch für das „Kriterium der zweiten Stufe“ gelten. Denn da sie ihre Wirksamkeit ja regelmäßig erst zusammen mit einem anderen Kanon (z.B. der Systematik oder dem Telos) entfaltet, würde ein einseitiger Blick auf die Strafrahmenorientierung zugleich das von ihr unterstützte Kriterium überbetonen.
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b) Die zweite Grenze ist dagegen ein spezifischeres Problem der Strafrahmenorientierung und bedarf vielleicht etwas näherer Erläuterung: Sie besteht darin, dass der Auslegende bei seinen Bemühungen, eine Korrespondenz zwischen Strafrahmen und zu forderndem Unrechtsgehalt herzustellen, seine eigene Einschätzung des Unrechtsgehaltes nicht uneingeschränkt an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen darf. Denn diesem ist insoweit eine gewisse[212] Einschätzungsprärogative zuzugestehen. M.a.W.: Eine offenbar vom Gesetzgeber vorgenommene „Unrechtseinstufung“ darf regelmäßig nicht durch eigene Wertmaßstäbe ersetzt werden.[213] Wollte man eine solche autonome Unrechtsbewertung zulassen, so würde man der Strafrahmensystematik, auf die man sich gerade beruft, jegliches festes Gefüge nehmen. Soweit daher bestimmte Gruppen von Verhaltensweisen offenbar von einem Tatbestand erfasst werden sollen, können diese Gruppen zwar restriktiv verstanden werden, um sie möglichst klein zu halten;[214] sie sollten aber nicht wegen einer vom Gesetzgeber abweichenden Einschätzung der generellen Unrechtsschwere dieser Verhaltensformen a priori ausgeklammert werden.
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c) Beides lässt sich etwa an der oben schon einmal angesprochenen Frage exemplifizieren, ob § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB nach dem 6. StrRG auch „Scheinwaffen“ umfasst.[215] Man könnte mit Blick auf die identische Strafdrohung in dieser Vorschrift wie in den Fällen der Nr. 1a (die explizit gefährliche Werkzeuge verlangt) oder der Nr. 1c (welche die Verursachung der „Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung“ eines anderen durch den Raub verlangt) argumentieren, dass das bloße Mitführen eines Gegenstandes in Verbindung mit dem Plan, dem Raubopfer Gefahren für Leib oder Leben vorzutäuschen, keinesfalls den gleichen Unrechtsgehalt haben könne wie die Herbeiführung der konkreten Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung, so dass wie bei Nr. 1a jedenfalls auch eine objektive Gefährlichkeit erforderlich wäre.
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So zu argumentieren, würde aber zum einen den Blick eben allein auf die Strafrahmenorientierung verengen (gerade das „normtextnahe“ und daher normstrukturell besonders gewichtige Argument der Gegenüberstellung von „anderen gefährlichen Werkzeugen“ in Nr. 1a und „sonstigen Werkzeugen“ in Nr. 1b sowie die explizite Äußerung in der Gesetzbegründung als sehr „intensives“ genetisches Argument verlangen aber doch eine gewisse Behandlung). Dies gilt umso mehr, als mit dem Ergebnis des Verfassers die von ihm befürchteten „axiologischen Friktionen“[216] nur um den Preis einer Interpretation vermieden werden, die der Nr. 1b jede eigenständige Bedeutung nimmt, was kaum überzeugender ist.
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Das alles legt nahe, die Orientierung am Strafrahmen dahingehend zu prüfen, ob sie nicht ihrerseits entkräftet werden kann.[217] Genau das ist hier aber der Fall, denn in dem o.g. zweiten Schritt der Argumentation mit der Aussage „Bloßes Mitführen mit Gefahrvortäuschungsabsicht wiegt stets weniger schwer als beliebige Herbeiführung einer Gesundheitsgefahr“ wird die gesetzgeberische Unrechtseinstufung gerade durch eine eigene ersetzt. Damit wird die gesetzgeberische Einschätzungsprärogative verletzt, denn seine Einschätzung ist sicher angreifbar, aber kaum evident (gleichsam „abzählbar“) falsch. Denn immerhin werden in Nr. 1b objektiv das Mitführen näher bestimmter Gegenstände sowie subjektiv eine bestimmte Absicht gefordert, die in Nr. 1c jeweils keinerlei Entsprechungen haben.
IV. Die Rangfolge der Auslegungsargumente
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1. In der tradierten Auslegungslehre wird als ein „Kardinalproblem“[218] die Frage nach dem Verhältnis der unterschiedlichen Auslegungsmethoden bzw. anders formuliert: nach dem Vorrang einer Methode vor anderen Methoden gestellt.[219] Vielfach wird dabei scheinbar von einem Primat der teleologischen Auslegung ausgegangen.[220]
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2. Andererseits zeigen sich v.a. in der Praxis – teils ausgesprochen, teils der Sache nach – gerade auch Präferenzen für die grammatische und systematische Auslegung als normtextnächste Argumente. Zu denken ist hier zunächst an die vom BVerfG unter dem etwas missverständlichen Titel „objektive Auslegungslehre“ eingeführte Regel für die Vorzugswürdigkeit von Argumenten. Danach soll im Konfliktfall die historische und genetische Auslegung hinter der grammatischen bzw. systematischen Auslegung zurücktreten. Denn letztere stünden näher am Normtext und erlaubten auch