Handbuch des Strafrechts. Robert Esser
nur die Rechtsfolgenseite, nicht dagegen die Tatbestandsmerkmale. Bei den drei übrigen klassischen Kanones lassen sich dagegen zwanglos Beispiele finden, in denen sie durch eine Strafrahmenorientierung ergänzt werden:
a) Verhältnis zur systematischen Auslegung
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Für die systematische Auslegung lässt sich dies zunächst am Erfordernis des sog. Unmittelbarkeitszusammenhangs bei der Körperverletzung mit Todesfolge gemäß § 227 StGB illustrieren: Dieser Zusammenhang, der ja in der Sache nichts anderes ist als eine enge Auslegung des Merkmals „durch“, wird damit begründet,[176] dass der Strafrahmen des § 227 StGB (drei bis fünfzehn Jahre Freiheitsstrafe) deutlich höher ist, als er es bei der bloßen Annahme einer Idealkonkurrenz zwischen den beiden darin enthaltenen Delikten der Körperverletzung und der fahrlässigen Tötung nach § 223 und § 222 StGB[177] wäre (nämlich Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis fünf Jahre). Der systematische Vergleich der Strafrahmen führt hier dazu, dass an die Annahme der Strafbarkeit aus dem höheren Strafrahmen bei der Auslegung zusätzliche, tatbestandseinschränkende Anforderungen gestellt werden.
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Ebenfalls der systematischen Auslegung ist die oben beschriebene Argumentation mit den Strafrahmen der §§ 263a und 266b StGB zuzuordnen: Der Vergleich mit einem bewusst privilegierenden Strafrahmen für Fälle bloßer Vertragswidrigkeit führt dazu, dass die Vorschrift mit dem höheren Strafrahmen für unanwendbar gehalten wird.
b) Verhältnis zur historisch-genetischen Auslegung
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Für die historisch-genetische Auslegung lassen sich anschauliche Beispiele aus der letzten großen Strafrechtsreform durch das 6. StrRG 1998 anführen (das im Übrigen explizit auch der Strafrahmenharmonisierung dienen sollte[178]). In beiden Fällen wird dabei die Behauptung, eine Gesetzesänderung habe den Anwendungsbereich des Verbots erweitert, darauf gestützt, dass die Mindeststrafe herabgesetzt wurde.
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So begeht nach § 250 Abs. 1 Nr. 1b StGB in seiner heute geltenden Fassung einen schweren Raub u.a., wer bei der Tat „sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden.“ In der zur Vorgängerfassung umstrittenen Frage, ob auch eine Scheinwaffe ein taugliches Tatmittel des schweren Raubes darstellt, hat sich der größte Teil der Literatur der Rechtsprechung angeschlossen und bejaht dies nunmehr.[179] Neben – zugegebenermaßen entscheidenderen – entsprechenden Erläuterungen des Gesetzgebers[180] und der systematischen Unterscheidung zwischen „Waffen und anderen gefährlichen Werkzeugen“ in Nr. 1a sowie „sonstigen Werkzeugen“[181] in Nr. 1b kann dabei auf die Absenkung der Mindeststrafe von fünf auf drei Jahre verwiesen werden. Ein früher gerne vorgebrachter Einwand dahingehend, eine Mindeststrafe von fünf Jahren sei für das Mitführen bloßer Scheinwaffen zu hoch, wurde damit zumindest abgeschwächt.
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Vergleichbares wird für die besonders schwere Brandstiftung § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB vorgebracht: Diese setzt voraus, dass der Täter einer Brandstiftung „in der Absicht handelt, eine andere Straftat zu ermöglichen oder zu verdecken“. Vor allem am Beispiel der Brandlegung zur Ermöglichung eines Versicherungsbetrugs wurde nach der Neuerung heftig diskutiert, ob weiterhin die zu § 307 Nr. 2 StGB a.F. vertretene Einschränkung gelte,[182] dass der Täter gerade die Allgemeingefahr und die damit verbundene Panik bei einem Feuer für seine Tat ausnutzen müsse. Der BGH hat – unter Billigung eines Teils der Literatur – eine solche restriktive Auslegung, die eine Anwendung bei späteren Versicherungsbetrügereien nach einer „warmen Sanierung“ praktisch immer ausschließen würde, nicht mehr für nötig erachtet.[183] Dabei argumentiert er u.a. auch mit der Gesetzesbegründung, nach der die Erweiterung der Qualifikationsmerkmale mit der Herabsetzung der Mindeststrafe gegenüber § 307 StGB a.F. von zehn auf fünf Jahre korrespondiere.[184]
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Mit Blick auf beide Beispiele gilt: Das Strafrahmen-Argument ist vor allem dann stichhaltig, wenn wie in den genannten Beispielen zusammen mit den Strafrahmenreduzierungen auch Änderungen des Tatbestandes erfolgt sind, die eine solche weitere Auslegung zumindest zulassen. Bleibt dagegen die Tatbestandsformulierung unverändert und wird etwa in den Materialien die Erhöhung der Strafdrohung damit begründet, dass der Gesetzgeber einen besseren Schutz für erforderlich hält,[185] lässt sich historisch-strafrahmenorientiert eine zukünftig engere Auslegung nur schwer begründen.[186] Vorstellbar wäre allenfalls, dass der Strafrahmen irgendwann so hoch wird, dass aus strafrahmenorientiert-teleologischen Gründen generell eine restriktivere Auslegung geboten ist – dies ist dann aber keine Frage der historisch-genetischen Auslegung mehr.
c) Verhältnis zur teleologischen Auslegung
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Auch für den nach der teleologischen Auslegung maßgeblichen objektiven Gesetzeszweck[187] wird mitunter der – besonders hohe oder niedrige – Strafrahmen einer Vorschrift fruchtbar gemacht. Abermals zwei Beispiele:[188] Die Vorschrift des § 160 StGB über das „Verleiten“ zu einer Falschaussage erscheint strukturell als gesondert unter Strafe gestellter Fall der mittelbaren Täterschaft für die eigenhändigen und damit nicht in mittelbarer Täterschaft begehbaren Aussagedelikte.[189] Auf dieser Grundlage wäre es naheliegend, § 160 StGB auf alle Formen der „eigentlich mittelbaren Täterschaft“ (also etwa auch in Fällen der Nötigungsherrschaft durch den Hintermann) anzuwenden. Dennoch geht die wohl h.L. davon aus, dass § 160 StGB – die umstrittenen Irrtumsfragen einmal ausgeklammert[190] – grundsätzlich auf Fälle unvorsätzlichen Handelns des Aussagenden beschränkt ist, während z.B. bei vorsätzlicher, aber wegen eines Nötigungsnotstandes entschuldigter Falschaussage für den Hintermann eine Anstiftung und kein Fall des § 160 StGB vorliegen soll. Zur Begründung wird darauf hingewiesen, der für die Aussagedelikte auffällig niedrige Strafrahmen des § 160 StGB – nicht über zwei Jahre, teilweise sogar nicht über sechs Monate Freiheitsstrafe – spreche dafür, dass es sich nur um eine Ergänzungsvorschrift handle, der eigenständige Bedeutung nur zukomme, wo eine Anstiftungsstrafbarkeit ausgeschlossen sei.[191] Dem niedrigen Strafrahmen wird also eine bestimmte (hier: nur ergänzende) Funktion der Vorschrift entnommen, die wiederum zu einer bestimmten (hier: einschränkenden) Auslegung führt.
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Im Recht der Brandstiftung wird nach § 306a Abs. 1 Nr. 1 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft, wer „ein Gebäude, (. . . sc.: das) der Wohnung von Menschen dient“ in Brand setzt – und zwar ohne dass ein Mensch sich zur Zeit der Tat auch nur in diesem Gebäude aufhalten muss. Es handelt sich also um ein abstraktes Gefährdungsdelikt mit einem dafür relativ hohen Strafrahmen. Dass zumindest verbreitet diskutiert wird, ob nicht eine teleologische Reduktion[192] geboten sei, wenn feststehe, dass eine konkrete Gefährdung auf jeden Fall ausgeschlossen sei,[193] dürfte zumindest auch mit in diesem Strafrahmen begründet liegen: Man könnte sagen: Wenn die – auf Grund des Strafrahmens des § 306a StGB zumindest noch als irgendwie existent zu fordernde – Gefahr schlechterdings nicht besteht, ist der Zweck des § 306a StGB nicht erfüllt und der Tatbestand teleologisch zu reduzieren. Zwar könnte die Kritik auch noch grundsätzlicher an der Berechtigung abstrakter Gefährdungsdelikte aus schuldstrafrechtlicher Perspektive ansetzen; aber es ist doch auffällig, dass sie bei § 306a StGB viel intensiver geübt wird als etwa bei der mit einer wesentlich geringeren Strafdrohung versehenen Vorschrift des § 316 StGB, obwohl diese sogar auch fahrlässiges Handeln unter Strafe stellt.
d) Zwischenergebnis
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Zusammenfassend finden sich damit Strafrahmenerwägungen