Handbuch des Strafrechts. Jan C. Joerden
Im Strafgesetzbuch wird der Begriff des Tatbestandes in den §§ 9 Abs. 1, 11 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, 13 Abs. 1, 16 Abs. 1 S. 1, 22, 78a S. 2 StGB im Sinne des objektiven Tatbestandes gebraucht. Entsprechendes gilt für die §§ 1 Abs. 1, Abs. 2, 7 Abs. 1, 8, 11 Abs. 1 S. 1, 13 Abs. 1, 14 Abs. 2, 31 Abs. 3 S. 2 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten.
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Außerhalb des Themas liegen die ungeschriebenen objektiven Tatbestandsmerkmale, namentlich die Kausalität und objektive Zurechnung.[1] Fragen der Rechtswidrigkeit werden nur berührt, soweit zu diskutieren ist, ob bestimmte in einer Straf- oder Bußgeldvorschrift enthaltene Merkmale Tatbestands- oder Rechtfertigungscharakter haben. Ausgeklammert bleiben aber schwerpunktmäßig zur Rechtswidrigkeit gehörende Grundsatzfragen; gemeint sind etwa die Lehre von den Rechtfertigungsgründen als negativen Tatbestandsmerkmalen und die Diskussion, ob und inwieweit einzelne typischerweise als Rechtfertigungsgründe eingestufte Erlaubnissätze wie vor allem die Einwilligung bereits das tatbestandliche Unrecht ausschließen.[2]
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Nach h.M. nicht zum objektiven Tatbestand gehören die selten gewordenen objektiven Bedingungen der Strafbarkeit, die man noch vor allem in den §§ 186, 231, 323a, 283 Abs. 6 StGB findet. Vom Eintritt solcher Bedingungen hängt zwar die Strafbarkeit ab, doch brauchen sich weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit auf sie zu erstrecken. Sieht man das im Lichte des Schuldprinzips anders, wertet man die objektiven Bedingungen zu objektiven Tatbestandsmerkmalen auf. Die damit zusammenhängenden Fragen werden hier indes nicht thematisiert.[3]
8. Abschnitt: Unrechtsbegründung: Tatbestand › § 32 Geschriebene objektive Tatbestandsmerkmale › B. Funktionen des objektiven Tatbestandes
B. Funktionen des objektiven Tatbestandes
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Die geschriebenen objektiven Tatbestandsmerkmale sind Bestandteile des objektiven Tatbestandes, der wiederum essentieller Teil des Unrechtstatbestandes, d.h. der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit ist, die bei Vorsatzdelikten den Vorsatz als subjektives Tatbestandsmerkmal einschließt. Dem Unrechtstatbestand fällt die Aufgabe zu, alle Merkmale aufzunehmen, die den typischen Unrechtsgehalt der Straftat begründen.[4] Also ist jedes „Merkmal, das den Unrechtsgehalt der betreffenden Deliktart mitbestimmt, … Tatbestandsmerkmal, gleichgültig, wie weit dabei der Gesetzgeber den Verbotsgehalt gegenständlich näher umschrieben hat.“[5] Alle Merkmale, die nicht mehr die betreffende Deliktsart oder das typische Unrecht kennzeichnen, sind keine Tatbestandsmerkmale.[6]
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Der Unrechtstatbestand wird auch als Systemtatbestand charakterisiert, weil er mit der Stufe der Tatbestandsmäßigkeit den objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmalen einen klaren systematischen Standort zuweist.[7] Soweit man die weitere Funktion des Unrechts- oder Systemtatbestandes als Garantietatbestand betont, wird im Lichte des Bestimmtheitsgrundsatzes (Art. 103 Abs. 2 GG) die herausragende Bedeutung des Unrechtstatbestandes hervorgehoben, der in besonderer Weise garantieren soll, dass der Gesetzgeber den Strafbarkeitsbereich möglichst exakt beschreibt, der Bürger vor unbestimmten Strafgesetzten geschützt wird und Strafbarkeitslücken nicht durch Analogien zu Lasten des Täters geschlossen werden.[8] Eine dritte Funktion speziell der objektiven Tatbestandsmerkmale des objektiven Unrechtstatbestandes liegt bei Vorsatzdelikten darin, die Umstände bzw. Merkmale zu umschreiben, deren Nichtkenntnis zu einem gemäß § 16 Abs. 1 S. 1 StGB vorsatzausschließenden Tatbestandsirrtum führt; insoweit spricht man vom Irrtumstatbestand.[9]
8. Abschnitt: Unrechtsbegründung: Tatbestand › § 32 Geschriebene objektive Tatbestandsmerkmale › C. Standorte der geschriebenen objektiven Tatbestandsmerkmale
I. Straf- und Bußgeldtatbestände des Kern- und Nebenstrafrechts
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Bezogen auf das Kernstrafrecht sind die Straftatbestände im Besonderen Teil des Strafgesetzbuchs der klassische Standort für die objektiven Tatbestandsmerkmale. Diese sind in der Regel leicht zu erkennen und typischerweise in den die Strafbarkeitsvoraussetzungen regelnden Konditionalsätzen enthalten, die nach dem Muster „Wer sich so oder so verhält“ in einem Halbsatz den objektiven Tatbestand mit seinen objektiven Tatbestandsmerkmalen umschreiben, bevor im nächsten Halbsatz die Rechtsfolge „wird … bestraft“ ausgesprochen wird.
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Soweit der Gesetzgeber in umgekehrter Reihenfolge den Halbsatz mit der Rechtsfolge an den Anfang stellt (z.B. §§ 250, 261 Abs. 2, 263 Abs. 5, 264 Abs. 1, 266a Abs. 2 StGB), ändert sich an dem Inhalt der mit „wer …“ beginnenden Beschreibung des tatbestandsmäßigen Verhaltens nichts.
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Diese Muster wiederholen sich in den Straf- und Bußgeldtatbeständen des Nebenstrafrechts.
II. Allgemeiner Teil des Strafgesetzbuchs
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Weniger im Bewusstsein verankert ist, dass auch im Allgemeinen Teil des Strafgesetzbuchs geschriebene objektive Tatbestandsmerkmale verortet sind. Dies betrifft
– | die rechtliche Einstandspflicht beim unechten Unterlassungsdelikt, die sog. Garantenstellung (§ 13 Abs. 1 StGB); |
– | die Begehung durch einen anderen, d.h. die mittelbare Täterschaft (§ 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB); |
– | die in § 25 Abs. 2 StGB geregelte gemeinschaftliche Begehung als Mittäter; |
– | die Anstiftung und Beihilfe (§§ 26, 27 StGB); |
– | die Erweiterung des Täterkreises bei Sonderdelikten durch § 14 StGB bzw. § 9 OWiG. |
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Innerhalb der Beteiligungsnormen lässt die Regelung der §§ 26, 27 StGB den Unrechtstatbestand besonders deutlich hervortreten: Der objektive Tatbestand mit den objektiven Tatbestandsmerkmalen setzt sich aus der vorsätzlichen rechtswidrigen (Haupt-)Tat und der Teilnahmehandlung zusammen. Auf diesen (zugleich) Irrtumstatbestand muss sich der Vorsatz erstrecken. Bei der mittelbaren Täterschaft ist die Tatbestandsverwirklichung durch tatbeherrschende Steuerung des Tatnächsten (Begehung „durch einen anderen“) objektives Tatbestandsmerkmal, auf das sich auch der Vorsatz zu beziehen hat. Bei der Mittäterschaft liegt das zentrale objektive Tatbestandselement der gemeinschaftlichen Begehung in der – vom Vorsatz umfassten – gemeinsamen Tatausführung, die ihrerseits auf einem gemeinsamen Tatentschluss fußt.[10]
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§ 14 hat die Funktion, bei Sonderdelikten mit die Strafbarkeit begründenden persönlichen Statusmerkmalen die Eigenschaft des Normadressaten auf bestimmte unmittelbar handelnde Vertreter überzuwälzen, die selbst das besondere persönliche Merkmal nicht aufweisen und daher nicht zum Kreis der tauglichen Täter gehören. Im Zusammenspiel mit dem einschlägigen Straftatbestand ersetzt § 14 StGB den Arbeitgeber, Betriebsinhaber usw. als tauglichen Täter durch einen Vertreter, der diese Täterqualität gerade nicht aufweist, und schafft auf diese Weise eine neue Verhaltensnorm mit einem neuen objektiven Tatbestandsmerkmal