Handbuch des Strafrechts. Jan C. Joerden
man sich noch einmal vor Augen, dass die erwähnten §§ 13 Abs. 1, 14, 25 Abs. 1 Alt. 2, 25 Abs. 2, 26, 27 StGB objektive Tatbestandsmerkmale enthalten, so sollte es keine Zweifel geben, dass die Vorschriften auch zum Garantietatbestand[11] gehören. Von daher werden diejenigen Stimmen bestätigt, die von einer Geltung des Art. 103 Abs. 2 GG auch im Allgemeinen Teil ausgehen. Auf einem anderen Blatt steht und nicht zu diskutieren ist, ob die zum Teil knappen Vorschriften wegen ihrer Kürze oder aus anderen Gründen den Anforderungen des Art. 103 Abs. 2 GG genügen.[12]
8. Abschnitt: Unrechtsbegründung: Tatbestand › § 32 Geschriebene objektive Tatbestandsmerkmale › D. Inhalt des objektiven Tatbestandes
D. Inhalt des objektiven Tatbestandes
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Zum zwingenden Gerüst eines jeden objektiven Tatbestandes gehören als objektive Tatbestandsmerkmale das Tatsubjekt und die Tathandlung.
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Die Beschreibung des Tatsubjekts legt fest, wer tauglicher Täter sein kann. Bei Delikten, die jedermann begehen kann und Allgemeindelikte heißen, kennzeichnet das Gesetz den Täterkreis in der Regel mit dem unbestimmten „Wer …“. Bei Sonderdelikten kommen als taugliche Täter nur Personen mit einer bestimmten Subjektsqualität in Betracht. Diese Delikte sind leicht zu erkennen, wenn das Gesetz das Tatsubjekt durch individualisierende Berufs- und statusbezogene Bezeichnungen charakterisiert, etwa als Zeuge oder Sachverständiger (§ 153 StGB), Arzt, Zahnarzt usw. (§ 203 Abs. 1 StGB), Angestellter oder Beauftragter eines geschäftlichen Betriebes (§ 299 Abs. 1 StGB), Amtsträger (§§ 331 f., 339 ff. StGB), Arbeitgeber (§ 266a Abs. 1 StGB), Anwalt oder Rechtsbeistand (§ 356 StGB), Vorgesetzter (§ 357 StGB), Gesellschafter und Geschäftsführer (§ 82 GmbHG), Inhaber eines Betriebes oder Unternehmens (§ 130 Abs. 1 OWiG).
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Schwieriger als Sonderdelikte zu klassifizieren sind Tatbestände, bei denen das allgemeine „Wer …“ nicht durch ein berufs- oder statusbezogenes Substantiv ersetzt wird, sondern sich die Einschränkung des Täterkreises erst aus anderen Tatbestandsmerkmalen ergibt. So ist der Täterkreis bei § 266 Abs. 1 auf Personen begrenzt, denen die untreuespezifische Vermögensbetreuungspflicht obliegt, bei § 283 StGB auf den Schuldner,[13] bei § 315c Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2a bis f StGB auf den Fahrzeugführer[14] und bei den „Betreiberdelikten“ des Umweltstrafrechts (§§ 325 Abs. 1, Abs. 2, 325a, 327 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, 328 Abs. 3 Nr. 1 StGB) unter Umständen auf den Anlagenbetreiber[15].
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Sonderdelikte stellen auch die unechten Unterlassungsdelikte dar; hier ergibt sich die Täterbegrenzung aus § 13 StGB.[16] Bei von § 14 StGB erfassten Sonderdelikten ist weiter auf die Erweiterung des Täterkreises durch § 14 StGB zu achten.[17]
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Die Tathandlung als objektives Tatbestandsmerkmal umschreibt das Verhalten, das die Verwirklichung eines objektiven Tatbestandes notwendigerweise voraussetzt. Dieses Verhalten kann in einer Tätigkeit oder Untätigkeit liegen. Im Regelfall besteht es in einem aktiven Tun und wird dementsprechend auch in den Straftatbeständen in der Form von Begehungsdelikten formuliert. Das umschriebene tatbestandsmäßige Verhalten kann aber auch in einem Unterlassen liegen. Verhältnismäßig selten wird ein derartiges Unterlassen ausdrücklich in den Tatbeständen geregelt. Soweit dies der Fall ist, spricht man von echten Unterlassungsdelikten, die im Kernstrafrecht selten (§§ 123 Abs. 1 Alt. 2, 138, 283 Abs. 1 Nr. 5, 7b, 323c I StGB), im Ordnungswidrigkeitenrecht dagegen erheblich häufiger vorkommen.[18]
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§ 13 StGB wandelt die als Begehungsdelikte formulierten Straftatbestände „Wer … tötet, körperlich misshandelt, wegnimmt, beschädigt, in Brand setzt usw.“ in (unechte) Unterlassungsdelikte um und sanktioniert die Passivität von Garanten, die trotz Handlungsmöglichkeit den Eintritt des Erfolges der Tathandlung (Tod, körperliche Misshandlung usw.) nicht verhindern.
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Vor dem Hintergrund der Garantiefunktion und befürchteter Strafbarkeitslücken stößt man teilweise auf – meist jüngere – Straftatbestände, die eine Fülle von, sich teilweise überschneidender Tathandlungen aufzählen. Beispielhaft seien § 303a Abs. 1 StGB mit den Tathandlungen „löscht, unterdrückt, unbrauchbar macht oder verändert“ sowie § 326 Abs. 1 genannt, der mit „sammelt, befördert, behandelt, verwertet, lagert, ablagert, ablässt, beseitigt, handelt, makelt oder sonst bewirtschaftet“ besonders viele Verhaltensweisen auflistet.
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Aus Tatsubjekt und Tathandlung allein lässt sich aber kein ausreichender Unrechtstatbestand bilden. Der objektive Tatbestand bedarf daher weiterer Tatbestandsmerkmale. Insoweit typisch ist die Ergänzung um ein Tatobjekt. Das Tatobjekt kann beispielsweise allgemein ein Mensch, aber auch eine detaillierter beschriebene Person sein (Kind, eigenes Kind, Schutzbefohlener, Altersangabe, Angehöriger, nahe stehende Person, Verbraucher, Gefangener, Opfer). Als Tatobjekt kommt ferner allgemein eine Sache oder ein bestimmter körperlicher Gegenstand in Betracht (Urkunde, Gebäude, Kraftfahrzeug, Handelsbücher). Attribute etwa zu den Eigentumsverhältnissen, zum Wert, zur Herkunft oder zu Eigenschaften können hinzutreten. Gesamtheiten wie das Vermögen können ebenfalls Tatgegenstand sein. Im Computerzeitalter gehören selbstverständlich auch Daten, die Datenverarbeitung, Datenverarbeitungsanlagen und Computerprogramme zu den erfassten Tatobjekten (vgl. §§ 202a ff., 263a, 303a, 303b StGB).
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Das aus Tatsubjekt, Tatobjekt und Tathandlung bestehende typische Gerüst oder auch nur die Elemente Tatsubjekt und Tathandlung werden durch eine bunte Vielfalt weiterer Tatbestandsmerkmale ergänzt, um den Unrechtstypus zu beschreiben. Oft werden besondere Begehungsweisen hervorgehoben wie die Anwendung von Gewalt oder Drohung, die Ausnutzung bestimmter Zwangslagen oder Schwächesituationen sowie heimtückisches, grausames oder hinterlistiges Agieren. Eine erhebliche Rolle spielt auch die Verwendung bestimmter gegenständlicher Tatmittel (Gift, gesundheitsschädliche Stoffe, Waffe, gefährliche Werkzeuge). Den Höhepunkt an Vielgestaltigkeit findet man in scheinbar knappen Tatbeständen wie § 106 UrhG, die mehr oder weniger das gesamte außerstrafrechtliche Rechtsgebiet, im Falle des § 106 UrhG das Urheberrecht, aufnehmen.
8. Abschnitt: Unrechtsbegründung: Tatbestand › § 32 Geschriebene objektive Tatbestandsmerkmale › E. Arten der Tatbestandsmerkmale
I. Deskriptive und normative Tatbestandsmerkmale
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Üblicherweise unterscheidet man zwischen deskriptiven und normativen objektiven Tatbestandsmerkmalen. Die Differenzierung ist für die Einstufung als objektives Tatbestandsmerkmal ohne Bedeutung, trägt aber zumindest dazu bei, die Reichweite von vorsatzausschließenden Irrtümern und damit des Irrtumstatbestandes besser zu erfassen.[19]
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Deskriptive Tatbestandsmerkmale sind dem Grundgedanken nach solche, die als Phänomen des realen Seins einer Tatsachenfeststellung zugänglich sind und sich insoweit durch Beschreibung und ohne Wertung erfassen lassen. Beispielhaft können das Alter einer Person sowie die Merkmale „Mensch“, „Kraftfahrzeug“, „Sache“, „Töten“ und „Wegnehmen“ genannt werden.
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Normative