Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
ist (sog. naked restrictions).[103]
396
Gleiches gilt schließlich auch für die Beurteilung der Wettbewerbswirkungen eines Unternehmenszusammenschlusses. Bei der Prüfung, ob ein Zusammenschluss im Sinne von Art. 2 Abs. 2 und 3 FKVO den wirksamen Wettbewerb im Binnenmarkt oder in einem wesentlichen Teil desselben – insbesondere durch Begründung oder Verstärkung einer beherrschenden Stellung – erheblich behindern würde, berücksichtigt die Kommission gem. Art. 2 Abs. 1 FKVO:
„a) die Notwendigkeit, im Gemeinsamen Markt wirksamen Wettbewerb aufrechtzuerhalten und zu entwickeln, insbesondere im Hinblick auf die Struktur aller betroffenen Märkte und den tatsächlichen oder potenziellen Wettbewerb durch innerhalb oder außerhalb der Gemeinschaft ansässige Unternehmen;
b) die Marktstellung sowie die wirtschaftliche Macht und die Finanzkraft der beteiligten Unternehmen, die Wahlmöglichkeiten der Lieferanten und Abnehmer, ihren Zugang zu den Beschaffungs- und Absatzmärkten, rechtliche oder tatsächliche Marktzutrittsschranken, die Entwicklung des Angebots und der Nachfrage bei den jeweiligen Erzeugnissen und Dienstleistungen, die Interessen der Zwischen- und Endverbraucher sowie die Entwicklung des technischen und wirtschaftlichen Fortschritts, sofern diese dem Verbraucher dient und den Wettbewerb nicht behindert.“
Damit wird im Hinblick auf die Zusammenschlusskontrolle eine sorgfältige Kontextanalyse geradezu zwingend vorgeschrieben.
(5) Effizienzvorteile (Legalausnahme)
397
Nach Art. 101 Abs. 3 AEUV iVm Art. 1 KartellVO 1/2003[104] sind wettbewerbswidrige Formen der Koordinierung des unternehmerischen Marktverhaltens vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV ausgenommen, wenn sie bestimmte wirtschaftliche Vorteile mit sich bringen, die auch dem Verbraucher zu Gute kommen. Verlangt werden „Verbesserungen der Warenerzeugung oder -verteilung“ oder die „Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts“. Diese Vorteile werden gemeinhin als Effizienzvorteile angesehen. Auch im Rahmen des Verbots missbräuchlichen Verhaltens marktbeherrschender Unternehmen sowie der Fusionskontrolle wird die Berücksichtigung von Effizienzvorteilen relevant (vgl. Rn. 403 und Rn. 404).
398
So kann die Koordination des Marktverhaltens von Konkurrenten unter Umständen die Voraussetzung dafür sein, dass überhaupt bestimmte Güter oder Leistungen am Markt angeboten werden, weil sie individuell nicht angeboten würden; dass bestimmte Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen unternommen werden, die individuell nicht zustande kämen; oder dass Produktions- oder Vertriebskosten gesenkt werden. Auch die Verhaltensabstimmung zwischen einem Produzenten und den Handelsunternehmen kann im Einzelfall den Vertrieb verbessern, die Marktdurchdringung fördern und die Verfügbarkeit von Waren oder Leistungen für die Verbraucher erhöhen. Der Zusammenschluss von Unternehmen kann u.U. Skalenerträge (dh produktive Effizienzgewinne) ermöglichen, auf die anderenfalls verzichtet werden müsste. Der Ausschluss des Zugangs von Konkurrenten eines marktbeherrschenden Unternehmens zu bestimmten Ressourcen kann auch ein Anreiz zu innovativem Verhalten der betroffenen Wettbewerber sein (und so zur Erhöhung der dynamischen Effizienz beitragen). Solche Effizienzvorteile können die Wettbewerbsbeschränkung u.U. kompensieren, sofern die negativen marktstrukturellen Wirkungen sich in Grenzen halten, dh der verbleibende Restwettbewerb im Wesentlichen erhalten bleibt und letztlich sogar stimuliert wird.
399
Der Begriff „Effizienzvorteil“ ist in diesem Zusammenhang allerdings unscharf. Er lässt offen, ob es sich um prognostizierte gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtseffekte im Sinne der produktiven, allokativen oder dynamischen Effizienz handelt, die – wie weiter oben erläutert (Rn. 362) – grundsätzlich nicht einem bestimmten unternehmerischen Marktverhalten, sondern allein dem „System unverfälschten Wettbewerbs“ insgesamt zugeschrieben werden können, oder um einzelwirtschaftliche (zunächst nur auf Unternehmensebene anfallende) Wohlfahrtswirkungen, die zwar (ausnahmsweise) ursächlich auf das wettbewerbswidrige Verhalten zurückgeführt werden können, die sich aber letztlich doch erst im „System unverfälschten Wettbewerbs“ als solche erweisen müssen. Würde man die „Effizienzvorteile“ im Sinne direkter gesamtwirtschaftlicher Wohlfahrtseffekte verstehen, dann wäre die Konzeption des „wirksamen Wettbewerbs“ in sich widersprüchlich. Mit dem Schutz des Wettbewerbs als Prozess, der als solcher die gesamtwirtschaftliche Effizienz gewährleistet, wäre die Annahme unvereinbar, dass im Einzelfall die Beschränkung eben dieses Wettbewerbsprozesses gesamtwirtschaftlich vorteilhafter sein kann als der Wettbewerb. Das liefe auf einen unzulässigen Marktergebnistest hinaus (vgl. oben Rn. 350 ff.). Der Wortlaut des Art. 101 Abs. 3 AEUV zeigt aber, dass dies nicht der Standpunkt des Unionsrechts ist. Es ist insofern von entscheidender Bedeutung, dass Art. 101 Abs. 3 AEUV den Fortbestand ausreichenden Restwettbewerbs zur Voraussetzung für die Freistellung vom Verbot wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens macht. Dies bedeutet, dass die von dem freigestellten Verhalten erwarteten „Effizienzvorteile“ zunächst nur einzelwirtschaftliche (auf Unternehmensebene anfallende) Wohlfahrtsgewinne sind, die sich nur im „System unverfälschten Wettbewerbs“, dh im wettbewerblichen Suchprozess, auch als gesamtwirtschaftliche Effizienzvorteile herausstellen können.
400
Der EuGH[105] hat verlangt, dass die nach Art. 101 Abs. 3 AEUV erforderlichen wirtschaftlichen Verbesserungen nicht rein „subjektiver“ Art sind, dh sie dürfen nicht allein den beteiligten Unternehmen (etwa in Gestalt höherer Gewinne) zugutekommen. Vielmehr ist nach der Rechtsprechung ein „objektiver“ Maßstab anzulegen,[106] was nichts anderes bedeuten kann als dass die wirtschaftlichen Verbesserungen über die Beteiligten hinaus spürbare positive externe Effekte für Dritte auslösen müssen. Diese Art der Objektivierung setzt aber den Fortbestand eines hinreichenden wettbewerblichen Anpassungsdrucks voraus, der nur besteht, wenn Konkurrenten die Möglichkeit behalten, die an der freigestellten Wettbewerbsbeschränkung beteiligten Unternehmen durch externen Wettbewerb zu überflügeln. Die Aufrechterhaltung hinreichenden Wettbewerbs gewährleistet also, dass sich gesamtwirtschaftlich überlegenere Lösungen im Wettbewerbsprozess auch gegen die – zunächst als positiv bewerteten – „Effizienzvorteile“ des vom Verbot freigestellten wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens durchsetzen können. Das letzte Urteil bleibt somit stets dem „System unverfälschten Wettbewerbs“, dh dem Suchprozess des Wettbewerbs vorbehalten.[107] Im Ergebnis normiert daher auch Art. 101 Abs. 3 AEUV nicht einen Marktergebnistest, sondern bestätigt den für die unionsrechtlichen Wettbewerbsregeln durchgehend maßgeblich Marktstrukturtest.
401
Die Differenz zwischen den in Art. 101 Abs. 3 AEUV aufgeführten „Effizienzvorteilen“ und der gesamtwirtschaftlichen Effizienz des Wettbewerbsprozesses folgt ferner aus dem Umstand, dass eine Beteiligung der Verbraucher an dem „Gewinn“ (= den Effizienzvorteilen) verlangt wird. Die Konsumentenwohlfahrt ist in der Tat ein Aspekt der gesamtwirtschaftlichen Effizienzwirkungen. Sie ist aber nach der Konzeption des Art. 101 Abs. 3 AEUV keine direkte Wirkung des vom Verbot freigestellten wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens, sondern erst eine indirekte Folge des wettbewerblichen Anpassungsdrucks, der vom „System unverfälschten Wettbewerbs“ ausgeht und dem die an der freigestellten Wettbewerbsbeschränkung beteiligten Unternehmen nach wie vor ausgesetzt bleiben müssen. Darin liegt auch die vom EuGH[108] verlangte Objektivierung der „Effizienzvorteile“. Da es insoweit stets um eine Prognose geht, bedeutet dies, dass die zunächst einzelwirtschaftlichen Vorteile lediglich geeignet sein müssen, sich im Wettbewerbsprozess als gesamtwirtschaftliche