Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
in Art. 102 AEUV davon aus, dass eine Wettbewerbsbeschränkung im Sinne einer Beschränkung der Wettbewerbsfreiheit auch aus dem einseitigen Verhalten marktbeherrschender Unternehmen resultieren kann, soweit es dabei um die Beeinträchtigung der Wettbewerbsfreiheit Dritter (Konkurrenten oder Abnehmer) geht. Die Existenz marktbeherrschender Stellungen oder Monopolstellungen wird grundsätzlich akzeptiert, sofern sie das legitime Ergebnis des Leistungswettbewerbs sind. Nach den Worten des EuGH[86] beinhaltet die Feststellung einer marktbeherrschenden Stellung
„für sich allein keinen Vorwurf gegenüber dem betreffenden Unternehmen, sondern bedeutet nur, dass dieses unabhängig von den Ursachen dieser Stellung eine besondere Verantwortung dafür trägt, dass es durch sein Verhalten einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt.“
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Die Erlangung von Marktbeherrschung ist nämlich eine wesentliche Antriebskraft für den Wettbewerb. Diesen Anreiz darf das Wettbewerbsrecht nicht beseitigen, indem es die in diesem Sinne erfolgreichen Unternehmen sanktioniert. Im Gegenteil: auch die wettbewerbliche Handlungsfreiheit eines marktbeherrschenden Unternehmens ist grundsätzlich geschützt. Daher ist es auch einem marktbeherrschenden Unternehmen nicht verwehrt, mit legitimen Mitteln (insbesondere der Vertragsgestaltung) Strategien zu entwickeln, um Transaktionskosten zu minimieren oder die unvermeidlichen Informationsunvollkommenheiten und Erwartungsunsicherheiten zu überwinden. Diese Handlungsfreiheit wird von einem marktbeherrschenden Unternehmen aber dann wettbewerbswidrig „missbraucht“, wenn es sich bestimmter Strategien bedient, durch die Wettbewerber auf derselben oder einer vor- oder nachgelagerten Wirtschaftsstufe in ihren Wettbewerbsmöglichkeiten bzw. Abnehmer in ihren Auswahlmöglichkeiten behindert oder gar vom Markt ausgeschlossen werden. Zwar genießen Konkurrenten keinen Schutz vor wirtschaftlichem Misserfolg am Markt. Nachteile aufgrund der höheren Leistungsfähigkeit eines marktbeherrschenden Unternehmens sind hinzunehmen. Bestimmte Strategien eines marktbeherrschenden Unternehmens können jedoch nicht mehr als „Leistungswettbewerb“ angesehen werden, sondern nur als gezielte Maßnahmen zur Verdrängung anderer Wettbewerber vom Markt bzw. zur Verhinderung des Neueintritts potentieller Wettbewerber in den Markt. Solche Strategien („Behinderungsmissbräuche“ bzw. „Ausbeutungsmissbräuche“) nehmen den betroffenen Wettbewerbern die Möglichkeit, selbstständig entsprechend ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu entscheiden, ob sie im Markt bleiben bzw. in den Markt eintreten. Vielmehr wird ihnen die Entscheidung, aus dem Markt auszuscheiden bzw. nicht in den Markt einzutreten unter Umständen vom Marktbeherrscher aufgedrängt. In diesem Sinne werden sie hinsichtlich der autonomen Ausnutzung ihrer Handlungsspielräume wettbewerbswidrig behindert. Auch insoweit geht es also um den Schutz der Wettbewerbsfreiheit von Marktteilnehmern als Funktionsvoraussetzung des Systems.
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Schließlich kontrolliert das Unionsrecht auf der Grundlage der FKVO[87] schon die Entstehung marktbeherrschender Stellungen, sofern sie nicht das Ergebnis des Erfolges auf den Produkt- bzw. Dienstleistungsmärkten (also von „internem“ Unternehmenswachstum) sind, sondern das Resultat von Unternehmenszusammenschlüssen (dh von „externem“ Unternehmenswachstum). Die Fusionskontrolle soll schon der abstrakten Gefährdung des Wettbewerbssystems und der ihm zugrundeliegenden Wettbewerbsfreiheit der Marktteilnehmer vorbeugen. Diese Gefährdung resultiert allerdings typischerweise nicht allein aus der unmittelbaren Beseitigung der wettbewerblichen Rivalität zwischen den Fusionspartnern, sondern aus einer Verengung der Marktstruktur, welche die Konsequenz der Entstehung oder Verstärkung einer marktbeherrschenden Stellung ist. So gehört zu den Kriterien, die gem. Art. 2 FKVO bei der wettbewerblichen Beurteilung eines Unternehmenszusammenschlusses relevant sind, insbesondere auch der potentielle Wettbewerb, der auf der Möglichkeit von Außenseitern basiert, in den Markt ohne Behinderung von Marktzutrittsschranken einzutreten. Ebenso geht es um die Möglichkeit von Anbietern oder Nachfragern, auf den vor- oder nachgelagerten Märkten als Zulieferer bzw. Abnehmer zwischen verschiedenen Alternativen zu wählen. Im Falle der Beeinträchtigung solcher durch die Marktstruktur vermittelten Freiheiten ist ein Unternehmenszusammenschluss bedenklich.
(3) Offenheit der Marktstruktur (Drittschutz)
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Wie bereits die Beispiele des einseitigen Verhaltens marktbeherrschender Unternehmen oder des Zusammenschlusses von Unternehmen zeigen, ist es für die Feststellung einer Wettbewerbsbeschränkung weder erforderlich noch hinreichend, dass eine unmittelbare Beschränkung der Entscheidungsautonomie von Marktteilnehmern aufgrund einer gegenseitigen Verhaltenskoordination bezüglich des künftigen Einsatzes bestimmter Wettbewerbsparameter vorliegt. Eine solche Verhaltenskoordination ist zwar für gewisse Formen der Kartellierung typisch. Insbesondere bei vertikalen Verhaltensbindungen sowie bei einseitigem Verhalten marktbeherrschender Unternehmen oder bei Konzentrationsvorgängen geht es aber vielmehr um die Beeinträchtigung der Entscheidungsautonomie Dritter als Folge einer Verengung der Marktstruktur. Das Konzept des wirksamen Wettbewerbs schließt daher die Erwägung ein, dass das Wettbewerbsrecht auch die Funktion hat, die Marktstruktur hinreichend offenzuhalten, damit alle Marktteilnehmer hinreichende Ausweichmöglichkeiten hinsichtlich ihrer Bezugsquellen oder Vertriebswege haben und der Markzutritt potentieller Wettbewerber jederzeit möglich ist. Es geht insoweit um die Abwehr von Drittwirkungen in Gestalt von Verdrängungs- oder Marktabschottungswirkungen aufgrund von Marktmacht, die sowohl von einer horizontalen oder vertikalen Koordination als auch vom einseitigen Verhalten eines marktbeherrschenden Unternehmens oder von einem Unternehmenszusammenschluss ausgehen können. Es handelt sich insoweit nicht um einen Marktergebnistest, der auf die unmittelbaren gesamtwirtschaftlichen Effizienzwirkungen des in Frage stehenden Verhaltens abstellen würde, sondern um einen Marktstrukturtest, der sich an den Auswirkungen auf das (Interaktions-)System unverfälschten Wettbewerbs orientiert.
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Bereits im Rahmen des Verbots wettbewerbswidriger horizontaler oder vertikaler Koordinierung des Marktverhaltens von Unternehmen ist es daher in der Regel erforderlich, den Aspekt der Marktmacht und die daraus folgenden Drittwirkungen zu Lasten anderer Marktteilnehmer in die Beurteilung mit einzubeziehen.[88] Sofern Unternehmen den künftigen Einsatz bestimmter Wettbewerbsparameter bewusst zu dem Zweck koordinieren, um damit die „praktische Zusammenarbeit an die Stelle des mit Risiken verbundenen Wettbewerbs treten“ zu lassen,[89] genügt zwar die Feststellung der Selbstbeschränkung ihrer wettbewerblichen Handlungsfreiheit und Autonomie insoweit als bei den in Art. 101(1) lit. a–c AEUV beispielhaft aufgeführten Koordinationsformen die Wettbewerbswidrigkeit im Sinne einer per se-Regel, dh als abstrakte Gefährdung der Handlungsfreiheit anderer Marktteilnehmer, insbesondere der Auswahlfreiheit der Marktgegenseite, in der Regel unterstellt werden kann. Das gilt vor allem für „Kernbeschränkungen“ in der Form von Preis-, Quoten- oder Marktaufteilungsabsprachen. Bei anderen Koordinationsformen kann hingegen die Wettbewerbswidrigkeit nur aus den konkreten Marktwirkungen abgeleitet werden. Dabei muss im Einzelfall beurteilt werden, inwieweit sich die Verhaltenskoordinierung auf die systemrelevanten Wettbewerbsmöglichkeiten außenstehender Marktteilnehmer auswirkt. Diese hängen von der Marktstellung (dh der Marktmacht) der an der Verhaltenskoordinierung beteiligten Unternehmen insgesamt ab („Bündeltheorie“). Je stärker deren Stellung ist, desto größer ist die Gefahr, dass Konkurrenten der Marktzutritt erschwert oder die Auswahlfreiheit der Marktgegenseite im Hinblick auf Bezugsquellen oder Vertriebswege eingeschränkt wird. Dies gilt nicht nur für horizontale Koordinierungsformen, sondern vor allem für bestimmte Formen der vertikalen Koordinierung.[90]
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Folgerichtig macht die Kommission die Anwendung des Kartellverbots daher davon abhängig, dass je nach Inhalt der Verhaltenskoordination ein bestimmter Grad an Marktmacht erreicht wird.[91] Marktmacht wird dabei definiert als die Fähigkeit, die Preise über einen gewissen Zeitraum hinweg gewinnbringend oberhalb des Wettbewerbsniveaus oder die Produktionsmenge, Produktqualität, Produktvielfalt bzw. Innovation für einen gewissen Zeitraum gewinnbringend unterhalb des Wettbewerbsniveaus zu halten. Die Kommission