Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
und EuGH, die durchaus wechselseitig praktiziert wird.[10]
188
Insgesamt zielt das EWR-Abkommen somit auf einen Zusammenschluss der nationalen Märkte der EFTA-Vertragsstaaten einerseits und des EU-Binnenmarkts andererseits zu einem den gesamten EWR umfassenden Binnenmarkt (jedoch ohne einheitlichen Außenzoll). Der Grundsatz offener Märkte sowie dessen Konkretisierung in den einzelnen Verkehrsfreiheiten des EWR-Abkommens gewährleistet Unternehmen und Verbrauchern wechselseitig den Marktzutritt zu allen Mitgliedstaaten des EWR. Er kann erforderlichenfalls mit rechtlichen Mitteln erkämpft werden, und zwar vor den jeweiligen nationalen Gerichten, welche die EWR-rechtlich begründeten Freiheiten der Bürger zu schützen haben. Die Teilnahme am EWR-weiten Wettbewerb ist somit für Unternehmen aus den EFTA-Staaten unter denselben Bedingungen möglich wie für die Unternehmen aus der EU.
II. Beitrittsassoziierungen
Literatur:
Kramer Die Europäische Gemeinschaft und die Türkei (1988); Akyürek Das Assoziationsabkommen EWG-Türkei (2005); Marwedel Die Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen der EU mit den Staaten des Westlichen Balkans (2012); Schmalenbach Assoziierung und Erweiterung, in: von Arnaud (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 6, 321, Rn. 35 ff.; Verny Europa-Abkommen, in: Dauses (Hrsg.) Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts (Loseblatt), Abschnitt K.IV; Bieber/Epiney/Haag/Kotzur Die Europäische Union (12. Aufl. 2016) § 36 B.: Erweiterungen und „Beitrittspartnerschaften“, 686.
189
Auf der Grundlage von Art. 217 AEUV hat die Gemeinschaft mit Drittstaaten Assoziierungsabkommen abgeschlossen, die den künftigen Beitritt dieser Staaten zur EU vorbereiten sollten. Sie sehen typischerweise die Bildung gemeinsamer Organe in Gestalt eines Assoziationsrats vor, der rechtsverbindliche Beschlüsse fassen kann, die den Charakter von sekundärem Assoziationsrecht haben. Die rechtliche Qualität solcher Abkommen und des auf ihrer Grundlage von den entsprechenden Organen geschaffenen Sekundärrechts ist – insbesondere bezüglich der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit – nach der Rechtsprechung des EuGH davon abhängig, ob die fraglichen Bestimmungen, auf die sich Unternehmen, Arbeitnehmer oder Verbraucher berufen wollen, „unter Berücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf Sinn und Zweck des Abkommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder deren Wirkungen nicht vom Erlass eines weiteren Aktes abhängen“.[11]
1. Türkei
190
Das erste dieser Abkommen ist 1963 mit der Türkei abgeschlossen worden.[12] Sein Ziel war im Hinblick auf den Warenverkehr die schrittweise Errichtung einer Zollunion.[13] Ein Zusatzprotokoll von 1970[14] erweiterte die Zielsetzung auf die Freizügigkeit für Arbeitnehmer, den Abbau von Niederlassungsbeschränkungen für Gewerbetreibende sowie die Liberalisierung des Dienstleistungs- und des Kapital- und Zahlungsverkehrs. 1999 wurde der Türkei der Status eines Beitrittskandidaten zuerkannt.[15] Über einen etwaigen Beitritt der Türkei zur EU und die damit verbundene Einbeziehung in den Binnenmarkt wird seit 2005 verhandelt.
2. Mittel- und Osteuropäische Länder
191
Zu den Abkommen, die einen Beitritt zur EU vorbereiten sollten, zählten auch die in den 1990iger Jahren mit den mittel- und osteuropäischen Ländern (MOEL) abgeschlossenen Europa-Abkommen. Diese Staaten sind im Zuge der letzten Erweiterungsrunden der EU in den Jahren 2004 und 2006 Mitglieder der Union geworden.[16] Zur Vorbereitung der Einbeziehung dieser Staaten in den Binnenmarkt zielten die Europa-Abkommen im Hinblick auf den Warenverkehr zunächst auf die Gründung einer Freihandelszone. Sie sahen die schrittweise Senkung bzw. Abschaffung von Zöllen, Abgaben gleicher Wirkung und mengenmäßigen Ausfuhrbeschränkungen vor. Für den Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehr war ebenfalls eine schrittweise Liberalisierung vorgesehen. Bezüglich der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und der Niederlassung von Gewerbetreibenden galt im Wesentlichen der Grundsatz der Inländerbehandlung.
3. West-Balkanstaaten
192
Vergleichbaren Regelungsgrundsätzen folgt nunmehr in der Nachfolge der Europa-Abkommen auch die seit dem Jahr 2000 angebahnte neue Generation von sogenannten Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA), welche die EU mit den sog. West-Balkanstaaten Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kroatien, Mazedonien, sowie Serbien, Montenegro und Kosovo teils bereits abgeschlossen hat,[17] teils noch abzuschließen beabsichtigt. Über die Errichtung einer Freihandelszone und die Liberalisierung des Dienstleistungs-, Kapital- und Zahlungsverkehrs im Verhältnis zur EU sowie die Inländerbehandlung im Rahmen der Arbeitnehmerfreizügigkeit und der Niederlassung von Gewerbetreibenden hinaus verlangen diese Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen auch eine entsprechende Marktöffnung der West-Balkanstaaten in ihrem Verhältnis zueinander. Längerfristig geht es auch im Hinblick auf diese Staaten um die Eröffnung einer Perspektive für die Integration in die EU und damit in den Binnenmarkt; Kroatien, das inzwischen in die EU aufgenommen worden ist, liefert dafür ein prägnantes Beispiel.
1. Schweiz
Literatur:
Felder/Kaddous (éds./Hrsg.) Accords bilatéraux Suisse – UE (Commentaires) – Bilaterale Abkommen Schweiz – EU, Erste Analysen (2001); Cottier/Evtimov Die sektoriellen Abkommen der Schweiz mit der EK – Anwendung und Rechtsschutz, ZBJV 2003, 177; Thürer/Weber/Portmann/Kellerhals Bilaterale Verträge I & II Schweiz – EU, Handbuch (2. Aufl. 2007); Benesch Das Freizügigkeitsabkommen zwischen der Schweiz und der Europäischen Gemeinschaft (2007); Schmalenbach Assoziierung und Erweiterung, in: von Arnauld (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 6, 321, Rn. 28.
193
Eine typische Freihandelsassoziation ist die EU zunächst mit der Schweiz eingegangen. Ausgangspunkt dafür war das Freihandelsabkommen von 1972, das den Handel mit Industrieprodukten und verarbeiteten Agrarprodukten liberalisierte. Für entsprechende Waren mit Ursprung in der Schweiz bzw. in der EG wurden Zölle und mengenmäßige Beschränkungen sowie Maßnahmen gleicher Wirkung abgeschafft.
194
Als nächster Schritt war ursprünglich der Beitritt der Schweiz zum EWR ins Auge gefasst worden, der jedoch 1992 am negativen Ausgang eines entsprechenden Referendums scheiterte. Um die Nichtteilnahme der Schweiz am EWR zu kompensieren, wurde 1999 ein Paket von sieben bilateralen Abkommen (Bilaterale I) abgeschlossen, die 2002 in Kraft getreten sind.[18] Sie folgen zwar einem sektoralen Ansatz: jedes einzelne Abkommen ist nur einem Teilaspekt des Wirtschaftsverkehrs bzw. der technischen und wissenschaftlichen Zusammenarbeit gewidmet. Sie sind jedoch sowohl hinsichtlich ihrer Geltung („guillotine-Klausel“) als auch ihrer institutionellen Bestimmungen (Einsetzung eines „Gemeinsamen Ausschusses“ mit Beschluss- und Empfehlungskompetenzen) miteinander verknüpft, so dass sie den Charakter eines Gesamtvertragswerks aufweisen. Insgesamt sind die Verträge am Ziel der Marktöffnung ausgerichtet.
195
Die bilateralen Abkommen I sind im Jahre 2004 durch weitere bilaterale Abkommen (Bilaterale II) ergänzt worden. Anders als die bilateralen Abkommen I sind die bilateralen Abkommen II in ihrer Geltung nicht miteinander verknüpft. Von unmittelbarer wirtschaftlicher Bedeutung sind nur das Abkommen vom 26.10.2004 über die Zinsbesteuerung[19] sowie ein Abkommen über landwirtschaftliche