Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
auf die Regulierung des Dienstleistungsverkehrs beziehen (Art. III GATS). Insgesamt ist auch die Liberalisierung des internationalen Dienstleistungshandels auf einen langfristigen Prozess angelegt.
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Der im Rahmen der WTO erreichte Grad der Liberalisierung des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs bleibt hinter dem im Rahmen regionaler Integrationszusammenhänge erreichten Maß an Marktöffnung zurück. Die globale Integration bleibt unterhalb der Schwelle zur Freihandelszone. Immerhin bewegen sich die Durchschnittszölle auf Industriewaren inzwischen auf einem bemerkenswert niedrigen Niveau, so dass von ihnen kaum noch nennenswerte Schutzwirkungen ausgehen. Und die Diskriminierungsverbote (Meistbegünstigungsprinzip, Inländerbehandlungsgrundsatz) schaffen tendenziell gleiche Wettbewerbsbedingungen für Importwaren und Inlandswaren.
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Das Verhältnis von regionaler und globaler Integration ist aber vor allem unter dem Gesichtspunkt der sowohl im GATT als auch im GATS verankerten Meistbegünstigung durchaus problematisch: Im Rahmen regionaler Integrationszusammenhänge verpflichten sich deren Mitgliedstaaten im Verhältnis zueinander auf ein vergleichsweise höheres Maß an Marktöffnung als gegenüber Drittstaaten. Da die Mitglieder regionaler Integrationszusammenhänge auch Mitglieder der WTO und Vertragsparteien des GATT sowie möglicherweise auch des GATS sind, wären sie daher an sich verpflichtet, Drittstaaten dasselbe Maß an Marktöffnung einzuräumen wie ihren regionalen Integrationspartnern. Damit würden aber tatsächlich mögliche Integrationsfortschritte im regionalen Rahmen zunichte gemacht ohne dass es deshalb zu einer entsprechend intensiven globalen Integration käme. Aus diesem Grunde nehmen sowohl Art. XXIV GATT als auch Art. V GATS die Mitglieder von regionalen Integrationszusammenhängen (Freihandelszonen und Zollunionen) insoweit von der Verpflichtung auf das Meistbegünstigungsprinzip aus.
2. Bilaterale Liberalisierung („WTO plus“-Abkommen)
Literatur:
Greiner Die Interregionale Assoziierung zwischen der Europäischen Union und Mercosur (2004); Weiß Die neuen „Vertieften und Umfassenden Freihandelszonen“ (DCFTA), in: von Arnauld (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 10 E.4, 553; Semertzi The preclusion of direct effect in the recently concluded EU Free Trade Agreements, CMLR 2014, 1125.
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Da die Globalisierung der Handelsbeziehungen aufgrund multilateraler Abkommen im Rahmen der WTO seit der Doha-Runde ins Stocken geraten ist, hat die EU begonnen, ihre Außenhandelsbeziehungen auch jenseits der mit ihr durch Beitritts-, Freihandels-, Nachbarschafts- oder Entwicklungsassoziierungen verbundenen Integrationsräume (siehe oben Rn. 189 ff.) mittels bilateraler bzw. regionaler Handelsabkommen über das im Rahmen der WTO mögliche Ausmaß hinaus zu intensivieren. Die Kommission hat sich zwar in entsprechenden Strategiepapieren[58] grundsätzlich zum Multilateralismus bekannt, hält es aber für sinnvoll, im Hinblick auf Fragen, die für multilaterale Lösungen noch nicht reif sind (insbesondere Fragen betreffend Investitionen, öffentliche Aufträge, Wettbewerbsregeln und Schutz geistigen Eigentums), bilaterale Abkommen abzuschließen („WTO plus-Abkommen“). Dabei legt die EU im Hinblick auf die Kompatibilität dieser Abkommen mit der Ausnahmebestimmung des Art. XXIV GATT das neue Konzept einer „Vertieften und umfassenden Freihandelszone“ („Deep and Comprehensive Free Trade Area – DCFTA“) zugrunde. Die Anwendung dieses Konzepts betrifft insbesondere die Wirtschaftsbeziehungen zu den transatlantischen Regionen Nord- und Südamerikas sowie Asiens. Im Vordergrund stehen insoweit die inzwischen abgeschlossenen Verhandlungen über ein „Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen“ („Comprehensive Economic and Trade Agreement – CETA“) mit Kanada und die noch offenen Verhandlungen über ein Abkommen mit den USA über die Errichtung einer „Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft“ („Transatlantic Trade and Investment Partnership – TTIP“). In Bezug auf Zentral- und Südamerika sind im Anschluss an die früheren Abkommen mit Mexico (1997)[59] und Chile (2002)[60] weitere Abkommen hinzugekommen, und zwar 2012 sowohl mit Zentralamerika (Costa Rica, El Salvador, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Panama)[61] als auch mit Peru und Kolumbien.[62] Entsprechende Verhandlungen mit der gesamten Andengemeinschaft („Communidad Andina de Naciones – CAN“) einschließlich Bolivien und Ecuador sind so gut wie abgeschlossen. Verhandlungen mit den zum MERCOSUR gehörenden Staaten über den Abschluss eines ebenfalls umfassenden Freihandelsabkommens sind inzwischen (wieder) aufgenommen worden. Im asiatischen Raum ragt das Freihandelsabkommen von 2009 mit Südkorea[63] heraus. Im Übrigen hat es seit langem Bemühungen der EU gegeben, ein Abkommen mit der gesamten ASEAN-Staatengruppe abzuschließen; inzwischen haben entsprechende Verhandlungen auf bilateraler Ebene immerhin mit Singapur und Vietnam zu einem erfolgreichen Abschluss geführt.
Anmerkungen
So EuGH Rs. C-12/86 (Demirel), Slg. 1987, 3719, Rn. 9.
Vgl. bereits Petersmann Struktur und aktuelle Rechtsfragen des Assoziationsrechts, ZaöRV 1973, 368, der die Assoziierung im Hinblick auf einen künftigen Beitritt des Drittstaates zur EU (Beitrittsassoziierung), die Assoziierung zur Integration auf dem Gebiet des Warenhandels durch Begründung einer Freihandelszone bzw. Zollunion (Freihandelsassoziierung) und die Assoziierung zur Begründung eines Kooperationsverhältnisses mit entwicklungspolitischer Zielsetzung (Entwicklungsassoziierung) unterschieden hat.
Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten sowie der Republik Österreich, der Republik Finnland, der Republik Island, dem Fürstentum Liechtenstein, dem Königreich Norwegen, dem Königreich Schweden und der Schweizerischen Eidgenossenschaft, ABl. 1994 L 1/3.
So treffend Bruha Binnenmarktassoziierungen, EuR 2002, Beiheft 3, 109.
Absatz 4 der Präambel zum EWR-Abkommen.
Absatz 5 der Präambel zum EWR-Abkommen.
Vgl. dazu EuGH Rs. C-452/01 (Schlössle Weissenberg), Slg. 2003 I-9743, Rn. 28 ff.; siehe auch OLG Frankfurt IPRax 2004, 56, 58 mit Besprechungsaufsatz Baudenbacher/Buschle IPRax 2004, 26.
Protokoll 35 zur Durchführung der EWR-Bestimmungen.
Siehe dazu das gesonderte Abkommen der EFTA-Staaten über die Errichtung einer Überwachungsbehörde und eines Gerichtshofs (Agreement between the EFTA States on the Establishment of a Surveillance Authority and a Court of Justice), das gleichzeitig mit den EWR-Abkommen am 2.5.1992 unterzeichnet worden ist.