Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
Zwischen der EU und Südafrika besteht seit 1999 ein gesondertes präferentielles Abkommen.[47] Der handelspolitische Gehalt dieser ursprünglichen Abkommen hat stets in einer Präferenzbehandlung von Waren mit Ursprung in den AKP-Staaten bei der Einfuhr in die Union bestanden. Sie bewirkt die grundsätzliche Freiheit von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung sowie von mengenmäßigen Beschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung (mit erheblichen Ausnahmen für bestimmte landwirtschaftliche Produkte). Im entwicklungspolitischen Interesse hat sich die EU somit bezüglich des Warenverkehrs zu einer asymmetrischen Marktöffnung bereit erklärt. Allerdings gehen die entwicklungspolitischen Maßnahmen nach diesen Abkommen weit über die einseitige Handelsliberalisierung hinaus und erstrecken sich insbesondere auch auf finanzielle und technische Hilfe.
209
Unter handelspolitischen Gesichtspunkten ist die wirtschaftliche Bedeutung dieser Abkommen immer geringer geworden angesichts des von der EU auf Empfehlung der UNCTAD schon 1971 eingeführten Allgemeinen Präferenzsystems (APS) zugunsten aller Entwicklungsländer, aber auch angesichts der allgemeinen Zollsenkungen und -befreiungen im Rahmen des GATT, die nach dem Meistbegünstigungsprinzip ohne weiteres auch den Entwicklungsländern zugutekommen. Es handelt sich aber auch insoweit nur um eine asymmetrische Marktöffnung, auf deren Grundlage den Entwicklungsländern bei Einfuhren in die EU einseitig Präferenzzölle eingeräumt werden. Dieses System ist trotz seines Verstoßes gegen die Prinzipien der Reziprozität und der Meistbegünstigung auch vom GATT bzw. der WTO akzeptiert worden (Teil IV des GATT 1994, insbes. Art. XXIV Ziff. 8 iVm Anlage I).[48] Es beruht nicht auf völkervertraglich verbindlichen Verpflichtungen. Seine Durchführung erfolgt innergemeinschaftlich mittels sekundärrechtlicher Verordnungen. Die Rolle des APS im Jahrzehnt 2006–2015 hat die EU-Kommission im Jahre 2004 in entsprechenden Leitlinien dargelegt.[49]
210
Da die entwicklungspolitisch motivierten Assoziierungsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten wegen Verstoßes gegen das Meistbegünstigungsprinzip (Art. I GATT) sowie wegen Nichterfüllung der Voraussetzungen für die Anwendung der für Zollunionen und Freihandelszonen gelten Voraussetzungen (Art. XXIV GATT) mit dem WTO-Recht unvereinbar waren, hat schon das Abkommen von Cotonou in Art. 37 vorgesehen, dass die Handelsbeziehungen der EU zu den AKP-Staaten ab 2008 überwiegend auf die Grundlage einer neuen Generation von Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) gestellt werden und die einseitigen Handelspräferenzen künftig nur noch den am wenigsten entwickelten Ländern vorbehalten bleiben sollten. Dieser neuen Generation von Abkommen liegt somit ein stärker handelspolitisch motivierter Ansatz zugrunde, der zumindest mittelfristig zu einer symmetrischen Marktöffnung beider Seiten führen soll. Das handelspolitische Kernstück dieser Abkommen besteht somit in der schrittweisen Einführung von (nunmehr reziproken) Freihandelszonen zwischen der EU und den jeweiligen Vertragsstaaten. Ein erstes WPA der neuen Generation konnte von der EU bisher allerdings nur mit der karibischen Teilgruppe von AKP-Staaten (CARIFORUM) abgeschlossen werden.[50] Ein weiteres WPA mit ost- und südafrikanischen Staaten (Simbabwe, Mauritius, Madagaskar, Seychellen) befindet sich im Prozess der Ratifizierung. Mit den übrigen Staaten bzw. Staatengruppen, insbesondere den Mitgliedstaaten der SADC (South African Development Community), der EAC (East African Community) sowie den zur ESA (East South Africa) oder dem Pacific Islands Forum gehörenden Staaten werden WPA vorbereitet; insoweit gelten bisher nur Interims-WPA, die auf den Warenverkehr beschränkt sind, aber über den freien Marktzugang zur EU hinaus immerhin eine entsprechende reziproke Marktöffnung der Vertragsstaaten innerhalb von 15 Jahren ins Auge fassen.
1. Multilaterale Liberalisierung (GATT/GATS/WTO)
Literatur:
Benedek (Hrsg.) Die Rechtsordnung des GATT aus völkerrechtlicher Sicht (1990); Senti WTO – System und Funktionsweise der Welthandelsordnung (2000); Stoll/Schorkopf WTO – Welthandelsordnung und Welthandelsrecht (2002); Nowak/Cremer (Hrsg.) Individualrechtsschutz in der EG und der WTO (2002); Hauser/Schanz Das neue GATT (3. Aufl. 2003); Bieling Die Globalisierungs- und Weltordnungspolitik der Europäischen Union (2010); Hilf/Oeter (Hrsg.) WTO-Recht – Rechtsordnung des Welthandels (2. Aufl. 2010); Herrmann/Streinz Die EU als Mitglied der WTO, in: von Arnauld (Hrsg.) Europäische Außenbeziehungen [Enzyklopädie Europarecht, Bd. 10] (2014) § 11, 587; Tietje WTO und Recht des Welthandels, in: Ders. (Hrsg.) Internationales Wirtschaftsrecht (2. Aufl. 2015), § 3, 158; Altemöller Perspektiven für das Welthandelssystem, EuZW 2016, 374.
211
Schließlich ist die EU auch in die allumfassende globale Integration der Märkte eingebettet (Globalisierung), wobei es an dieser Stelle zunächst nur um den Aspekt der Öffnung des Binnenmarkts gegenüber dem Weltmarkt geht (siehe zu den wettbewerbsrechtlichen Aspekten der Globalisierung unten Rn. 449 ff.). Sie hat ihren institutionellen Ausdruck in der zum 1.1.1995 errichteten Welthandelsorganisation (World Trade Organisation – WTO) gefunden, zu deren Mitgliedern neben mehr als 140 Einzelstaaten aus der gesamten Welt auch die EU gehört.[51] Im Rahmen der WTO schließen die Vertragsparteien Übereinkünfte, „die auf der Grundlage der Gegenseitigkeit und zum gemeinsamen Nutzen auf einen wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken sowie auf die Beseitigung der Diskriminierung der internationalen Handelsbeziehungen abzielen“.[52] Die materiellrechtlichen Regelungen bezüglich der Liberalisierung des zwischenstaatlichen Wirtschaftsverkehrs sind in einem ganzen Bündel solcher Übereinkommen enthalten,[53] zu denen auch eine Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Understanding on Rules and Procedures Governing the Settlement of Disputes – DSU)[54] zählt.
212
Von zentraler Bedeutung für den internationalen Warenhandel ist das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (General Agreement on Tariffs and Trade – GATT) in seiner Fassung von 1994.[55] Es basiert im Kern auf einem Verbot mengenmäßiger (nichttarifärer) Handelsbeschränkungen (Art. XI GATT); die Vertragsparteien sollen zur handelspolitischen Steuerung im Prinzip nur Zölle einsetzen. Die Zölle ihrerseits unterliegen gegenseitig vereinbarten Zollsenkungen, die als „Zugeständnisse“ angesehen und bezeichnet werden. Sie werden in den wiederholt durchgeführten Zollsenkungsrunden ausgehandelt und jeweils in entsprechenden Listen verbindlich festgehalten (Art. II GATT).[56] Die Liberalisierungswirkungen dieser Zollbindungen werden durch das Prinzip der allgemeinen Meistbegünstigung unterstützt, dem zu Folge jede Vertragspartei die Einfuhren von Waren aus anderen Vertragsstaaten gleich behandeln muss (Art. I GATT), dh das Ausmaß an Marktöffnung, das einer Vertragspartei gegenüber gewährt wird, muss auch allen anderen Vertragsparteien gewährt werden. Darüber hinaus verhindert das Prinzip der Inländergleichbehandlung (Art. III GATT) die Aushöhlung der Zollzugeständnisse dadurch, dass eingeführte Waren im Hinblick auf interne Abgaben und produktbezogene Regelungen nicht schlechter behandelt werden dürfen als Inlandswaren.
213
Für den internationalen Dienstleistungshandel hat ein kleinerer Kreis von Mitgliedern der WTO ein Allgemeines Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services – GATS) abgeschlossen.[57] Es bleibt in seinen Liberalisierungswirkungen für den Dienstleistungshandel hinter dem GATT zurück. Es fehlt an einer generellen Verpflichtung der Mitglieder zur Marktöffnung. Vielmehr ist sie jeweils abhängig von entsprechenden individuellen Zugeständnissen („spezifischen Verpflichtungen“) der Mitglieder, die Gegenstand besonderer Verhandlungsrunden sind (Art. XIX f. GATS). Im Falle solcher spezifischen Verpflichtungen müssen Mitglieder allerdings einen gewissen Mindeststandard der Marktöffnung garantieren. Dazu gehört auch der Grundsatz der Inländerbehandlung (Art. XVII GATS). Allgemeinverbindlich sind nur das Meistbegünstigungsprinzip (Art. II GATS), von dem sich die Mitglieder aber hinsichtlich bestimmter