Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
dessen Verletzung nur mit 2 Jahren Gefängnis sanktioniert ist. Die Staatsanwaltschaft macht beiden Verdächtigen jeweils getrennt folgendes Angebot: Im Falle eines Geständnisses wird dem Geständigen die Strafe erlassen, während der jeweils andere (nunmehr überführte) Mittäter, wenn er nicht ebenfalls gesteht, die Höchststrafe erhält. Wenn beide gestehen, wird die Strafe abgemildert auf 5 Jahre. Falls keiner ein Geständnis ablegt, ist aufgrund der Indizienlage zumindest die geringfügigere Straftat nachgewiesen, für die beide mit 2 Jahren Gefängnis zu rechnen haben. Die beiden Verdächtigen haben keine Möglichkeit, sich zu verständigen. Wie werden sie entscheiden?
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Hier muss sich jeder der beiden Verdächtigen zwischen zwei Möglichkeiten entscheiden: entweder ein Geständnis abzulegen oder zu schweigen. Das Ergebnis hängt aber für jeden davon ab, wie sich der andere entscheidet. Die hiernach möglichen Ergebnisse werden üblicherweise in folgender Matrix wiedergegeben:
A / B | schweigt | gesteht |
schweigt | 2, 2 | 10, 0 |
gesteht | 0, 10 | 5, 5 |
Wenn jeder der beiden Verdächtigen nur sein eigenes Davonkommen im Auge hat, wird er sich für das Geständnis entscheiden, denn damit wird für ihn die Höchststrafe vermieden, unabhängig davon wie der andere sich entscheidet: schweigt der andere, so bleibt der Geständige straffrei; gesteht der andere ebenfalls, so gibt es jedenfalls nur die verminderte Strafe. Es ist offensichtlich, dass sich damit beide schlechter stehen als wenn sie geschwiegen hätten. Obwohl beide individuell völlig rational entscheiden, verfehlen sie das für sie optimale Ergebnis. Der Grund liegt darin, dass sie nicht kooperieren können.
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Das trifft auch auf Oligopolisten zu, die ohne Kooperation nicht in der Lage sind, sich wie ein kollektives Monopol zu verhalten und die Monopolrente zu erwirtschaften. Andererseits zeigt die Spieltheorie damit auch, dass Oligopolisten einen starken Anreiz haben, sich hinsichtlich ihres Marktverhaltens zu verständigen. Das Wettbewerbsrecht versucht dies durch das Kartellverbot, dh das Verbot der Verhaltensabstimmung unter Konkurrenten, gerade zu verhindern (siehe Art. 101 AEUV). Wettbewerb ist also gewissermaßen ein im Allgemeininteresse erwünschtes Gefangenendilemma.[18]
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Die ökonomische Oligopoltheorie hat schon früh begonnen, das Verhalten von Oligopolisten zu modellieren. Dabei ist man zunächst von der Annahme ausgegangen, dass die von den Oligopolisten produzierten Güter homogen (dh vollständig austauschbar) sind und die einzelnen Oligopolisten nicht kooperieren können, sondern auf ihre eigenen Vermutungen bezüglich des Marktverhaltens ihrer Konkurrenten angewiesen sind.
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Der erste, der das Verhalten von Oligopolisten unter diesen Bedingungen zu analysieren versucht hat, war der französische Mathematiker Cournot (1801–1877).[19] Er ging in seinem Modell von zwei Unternehmen aus (Duopol), die unabhängig voneinander gleichzeitig die jeweils für sich optimale Produktionsmenge festsetzen, aus der sich dann angesichts der fallenden Absatzkurve, mit der beide Unternehmen gemeinsam konfrontiert sind, der jeweilige Marktpreis ergibt. Jedes Unternehmen wird unter diesen Umständen seine Menge in der Weise festlegen, dass es sich an die vermutete Mengenfestlegung des jeweils anderen Unternehmens anpasst. Es wird für sich daher die Menge festlegen, die das jeweils andere Unternehmen ihm vermutlich übrig lässt. Im Hinblick auf diese Menge verhält sich jedes Unternehmen dann aber wie ein Monopolist. Es dehnt die Menge nur bis zu dem Punkt aus, in dem seine erwarteten Grenzerlöse und seine Grenzkosten gleich groß sind, dh in dem sich seine Grenzerlöskurve und die Grenzkostenkurve schneiden. Im Ergebnis werden also die Oligopolisten insgesamt eine geringere Menge zu höheren Preisen als unter Wettbewerbsbedingungen anbieten.
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Ein anderes Oligopolmodell ist von dem französischen Mathematiker Bertrand (1822–1900) entwickelt worden,[20] welches auf der Annahme aufbaut, dass zwei Wettbewerber nicht über die Festlegung ihrer Mengen konkurrieren, sondern über die Festlegung ihres jeweiligen Marktpreises. Sie sind also jederzeit in der Lage, ihre Mengen an die preisinduzierte Nachfrage anzupassen. Auch in dieser Konstellation geht es wieder darum, dass jeder der beiden Konkurrenten seinen profitmaximierenden Preis in der Weise festlegt, dass er sich der vermuteten Preisfestsetzung des anderen anpasst. Jeder von beiden muss nun aber vermuten, dass der andere seine Preissenkungsspielräume bis zur Höhe der Grenzkosten ausnutzen wird, um die Nachfrage auf sich zu ziehen. Denn jeder der beiden Oligopolisten kann seinen Profit dadurch maximieren, dass er den anderen unterbietet. Da dies für jeden Preis oberhalb der Grenzkosten gilt, werden beide Oligopolisten letztlich einen Preis wählen, der den Grenzkosten entspricht. Das muss nicht erst in mehreren Preissenkungsrunden herausgefunden werden. Es lässt sich vielmehr von beiden antizipieren. Dieses Modell führt daher zu dem Ergebnis, dass der Oligopolpreis nicht über den Grenzkosten liegt, die auch bei vollkommenem Wettbewerb preisbestimmend wären. Das gilt jedenfalls bei homogenen Gütern, bei denen die Kreuzpreiselastizität unendlich ist, so dass jeder Oligopolist im Fall einer Anhebung der Preise auf ein Niveau oberhalb der Grenzkosten mit der vollständigen Abwanderung der Nachfrage zum Konkurrenten rechnen muss.
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Beide Modelle sind im einzelnen so voraussetzungsvoll was die Homogenität der konkurrierenden Produkte (dh die Abwesenheit der für Oligopole typischen Produktdifferenzierung), die Übereinstimmung der Kostenfunktionen (insbesondere der Grenzkosten) der Konkurrenten oder die verfügbaren Produktionskapazitäten (dh die Möglichkeit unbegrenzter Produktionsausweitungen) betrifft, dass sie kaum geeignet sind, die Realität abzubilden. Die Oligopoltheorie hat aber durchaus erhebliche Schwierigkeiten, die Reaktionsverbundenheit von Oligopolisten wesentlich realitätsnäher zu modellieren.
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Einen Versuch in diese Richtung hat von Stackelberg unternommen,[21] indem er die Bedingung, dass die Oligopolisten ihre Mengen- bzw. Preisentscheidungen gleichzeitig in wechselseitiger Unkenntnis ihrer Entscheidungen treffen, fallen gelassen hat. Stattdessen ist er sehr viel wirklichkeitsnäher von sequentiellen Entscheidungen ausgegangen. Danach trifft zunächst ein Unternehmen als erstes seine Entscheidungen, während sich die anderen Unternehmen erst danach – also in Kenntnis des Marktverhaltens des ersten Unternehmens – festlegen. Die Ergebnisse unterscheiden sich von denen, die nach dem Cournot-Modell für den Fall anzunehmen sind, dass die Oligopolisten die produzierten Mengen als Wettbewerbsparameter einsetzen: Das Unternehmen, welches zuerst seine Menge festlegt (der Marktführer), wird dazu tendieren, eine größere Menge zu wählen als dies bei gleichzeitiger Mengenfestlegung durch alle Oligopolisten der Fall wäre. Denn dieses Unternehmen kann vorhersehen, dass die anderen Unternehmen, die ihm nachfolgen, in Kenntnis seiner Mengenfestlegung ihre Mengen so bestimmen werden, dass am Gesamtmarkt kein Überangebot entsteht und damit ein Preisverfall eintritt. Um dies zu verhindern, müssen sich die Konkurrenten des Marktführers für entsprechend niedrigere Mengen entscheiden und sich mit einem geringeren Profit begnügen. Insgesamt ist die Angebotsmenge damit niedriger als wenn die Oligopolisten ihre Mengenentscheidungen gleichzeitig treffen würden. Dies bedeutet aber, dass sich das Oligopol tendenziell dem Monopol nähert, wenn die Konkurrenten gegenseitig Kenntnis von ihrem Marktverhalten haben. Bei vollständiger Transparenz der Mengentscheidungen ist der Wettbewerb genauso ausgeschaltet wie im Monopol. – Für den Fall, dass die Oligopolisten nicht die Mengen, sondern ihre Preise als Wettbewerbsparameter einsetzen, unterscheiden sich die Ergebnisse hingegen nicht von denen, die im Bertrand-Modell eintreten: Die Konkurrenten werden sich auch hier notwendigerweise auf einem Preisniveau einpendeln, das dem Niveau bei vollkommenem Wettbewerb entspricht.
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