Europäisches Marktöffnungs- und Wettbewerbsrecht. Peter Behrens
erfordern stets Investitionen in die Gewinnung der relevanten Informationen, in die Verhandlung der Tauschbedingungen sowie in die Durchsetzung dieser Bedingungen gegenüber den Tauschpartnern (Markttransaktionskosten).[27] Unternehmensinterne Entscheidungen von „Vorgesetzten“ (principals) erfordern über die Gewinnung der entscheidungsrelevanten Informationen hinaus Maßnahmen zu ihrer Durchsetzung gegenüber den jeweils Untergebenen (agents) sowie Kontrollen bezüglich ihrer Durchführung (Unternehmenstransaktionskosten).[28] Es gibt also stets Such- und Informationskosten, Verhandlungs- und Entscheidungskosten sowie Durchsetzungs- und Überwachungskosten.
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Von diesen Kosten abstrahiert die neoklassische Theorie. Sie können jedoch „effiziente“ Unternehmensentscheidungen im Einzelfall verhindern bzw. verzerren. Aus ihrer Existenz folgt ferner, dass die Marktteilnehmer stets auf der Grundlage unvollständiger Information entscheiden: sie werden immer nur so viel in die Informationsbeschaffung investieren wie ihnen für die jeweilige Transaktion gerade nützlich erscheint. Auch ist die Kapazität zur Verarbeitung vorhandener Informationen prinzipiell begrenzt. Darüber hinaus gibt es gerade beim Handeln auf Märkten stets Unsicherheit darüber, wie andere Marktteilnehmer auf die eigenen Entscheidungen reagieren werden. Das Wissen über solche Reaktionen ist zwar essentiell für das weitere Verhalten am Markt. Es kann aber nur durch die ständige Beobachtung der Marktprozesse gewonnen werden, die letztlich über die Bestätigung oder Enttäuschung der ursprünglichen Erwartungen entscheiden. Ohne das Modell des homo oeconomicus als dem maßgeblichen heuristischen Bild von den Marktteilnehmern insgesamt aufzugeben, geht daher auch die Transaktionsökonomik zu Recht von einer nur eingeschränkten Rationalität (bounded rationality) aus.[29]
4. Institutionenökonomik
Literatur:
Erlei/Leschke/Sauerland Neue Institutionenökonomik (1999); Homann/Suchanek Ökonomik (2000); Göbel Neue Institutionenökonomik (2002); Richter/Furubotn Neue Institutionenökonomik (3. Aufl. 2003).
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Wegen der beschriebenen Rationalitätsbeschränkungen und der Existenz von Transaktionskosten sind Institutionen als Instrumente der Problembewältigung von zentraler Bedeutung. Darunter sind alle Systeme formeller oder informeller Regeln (Normen) zu verstehen, die als Handlungsrestriktionen verhaltenssteuernd wirken.[30] Solche Normen können ihre Grundlage im objektiven Recht (den Gesetzen) haben wie auch in vertraglich zwischen Marktteilnehmern vereinbarten Arrangements oder unternehmensinternen Richtlinien. Ihr Zweck besteht stets in der Überwindung der Probleme, die sich aus den beschriebenen Rationalitätsbeschränkungen ergeben. Regeln (Normen) dienen also der Minderung von Transaktionskosten, der Kompensation von Informationsdefiziten und der Bewältigung von Unsicherheiten. Das ist der Sinn sowohl von staatlichen Rechtsnormen, die für Wettbewerbsmärkte als solche (auf der Systemebene) konstitutiv sind, als auch von vereinbarten vertraglichen Normen, mit deren Hilfe die Marktteilnehmer (auf der Transaktionsebene) ihr Marktverhalten planen, oder von unternehmensinternen Richtlinien, mit denen principal-agent Probleme überwunden werden sollen.
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Zu den in diesem Sinne für Wettbewerbsmärkte (auf der Systemebene) konstitutiven Institutionen (Normen) gehören nicht nur die privatrechtlichen Regeln über den Schutz von Eigentumsrechten und über den Abschluss und die Durchführung von Verträgen, sondern auch die marktkonformen staatlichen Regulierungen sowie die Wettbewerbsregeln, die der Bekämpfung von Wettbewerbsbeschränkungen dienen. Die genannten privatrechtlichen Normen vermindern die Transaktionskosten, kompensieren Informationsdefizite und beseitigen Unsicherheiten bezüglich des Verhaltens der Vertragsparteien. Marktkonforme staatliche Regulierungen dienen teils der Gewährleistung der Gewerbefreiheit, dh des Rechts auf freie wirtschaftliche (privatnützige) Betätigung, teils der Überwindung von Marktversagen (im Interesse der Allgemeinheit)[31]
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Die Wettbewerbsregeln dienen der Offenhaltung des Wettbewerbsprozesses als solchen, und zwar im Sinne des Rivalisierens von Konkurrenten und der Auswahlfreiheit der Marktgegenseite. Die Offenheit des Wettbewerbsprozesses ist die Grundbedingung dafür, dass er die Funktion der Informationsgewinnung erfüllen kann, und zwar für alle Marktteilnehmer gleichermaßen. Denn die Frage, was, wie und für wen produziert und zu welchen Preisen es verkauft bzw. von wem es gekauft und konsumiert werden soll und kann – m.a.W.: die Frage nach der Effizienz im neoklassischen Sinne – muss von allen Marktteilnehmern ständig neu entschieden werden können.
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Aus mehreren Gründen kann dies grundsätzlich – abgesehen von bestimmten Fällen des Marktversagens – nur in einem System dezentraler Entscheidungen geschehen, in dem jeder Marktteilnehmer die Chance hat, seinen individuellen Wirtschaftsplan im Wege von Austauschgeschäften (Markttransaktionen) mit den Wirtschaftsplänen aller anderen Marktteilnehmer abzustimmen. Es wäre völlig ausgeschlossen, dass eine zentrale Stelle über sämtliche Informationen verfügt, die zur Koordination der individuellen Wirtschaftspläne von Produzenten und Konsumenten erforderlich sind. Diese Informationen sind vielmehr über sämtliche Marktteilnehmer verteilt. Nur durch die ständige Interaktion der Marktteilnehmer lassen sich die relevanten Informationen darüber gewinnen, welche Produktionsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und wie die Konsumenten auf die alternativen Angebote reagieren. Im Wettbewerbssystem werden diese Informationen insbesondere über die Preise vermittelt. Gesamtwirtschaftliche Effizienz ist somit das Ergebnis eines Suchprozesses, der für die Teilnahme aller Produzenten und Konsumenten offen sein muss. Der wettbewerbliche Entdeckungsprozess bringt allerdings entsprechende Unsicherheiten für die Marktteilnehmer mit sich. Es sind aber gerade diese Unsicherheiten, die ihnen die Anreize vermitteln, ihre Leistungen im Verhältnis zu den Konkurrenten ständig zu verbessern. Denn nur wenn die ursprünglichen Erwartungen eines Marktteilnehmers hinsichtlich der Reaktion anderer Marktteilnehmer enttäuscht werden können, vermittelt der Wettbewerbsprozess den erwünschten Zwang zur Anpassung durch Innovation. Verbote, den Wettbewerb zu beschränken, haben daher gerade die Aufgabe, solche Unsicherheiten und damit die entsprechenden Leistungsanreize zu erhalten.[32] Das liegt im öffentlichen Interesse.
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Andererseits sind die Marktteilnehmer je für sich naturgemäß bestrebt, die Transaktionskosten sowie die Informationsunvollkommen und Erwartungsunsicherheiten bezüglich der wirtschaftlichen Voraussetzungen und Folgen ihrer Entscheidungen zu minimieren. Diesem Zweck dient das gesamte Netz von Vertragsbeziehungen, die der Organisation eines Unternehmens sowie der Produktion und dem Vertrieb von Gütern oder Leistungen zugrunde liegen. Verträge sind somit das wesentliche wirtschaftliche institutionelle Planungsinstrument der Marktteilnehmer. Die Vertragsgestaltung ist daher stets Ausdruck des wettbewerblichen Verhaltens von Unternehmen. Durch die ständige Verbesserung ihrer Vertragsgestaltung im Sinne der Minimierung von Transaktionskosten sowie der Minimierung bzw. Verteilung der Risiken, die sich aus den unvermeidlichen Informationsdefiziten und Erwartungsunsicherheiten (dh also: aus der eingeschränkten Rationalität) ergeben, versuchen die Marktteilnehmer legitime Wettbewerbsvorteile zu erlangen. Im Erfolgsfall müssen dann die Konkurrenten entsprechende Wettbewerbsnachteile kompensationslos hinnehmen. Bedenklich wird es allerdings dann, wenn die Vertragsbedingungen negative Rückwirkungen auf die Zukunftsoffenheit des Wettbewerbsprozesses selbst entfalten, indem sie die künftigen Entscheidungsspielräume von Konkurrenten oder Abnehmern einschränken, die für deren künftiges Wettbewerbsverhalten konstitutiv sind. Zwischen legitimer Bewältigung der Probleme eingeschränkter Rationalität und illegitimer Beseitigung der Unsicherheiten des Wettbewerbs durch die Festlegung anderer Marktteilnehmer auf ein bestimmtes künftiges Marktverhalten verläuft oft ein schmaler Grat. Die zutreffende Grenzziehung ist die zentrale Aufgabe der Wettbewerbspolitik und des Wettbewerbsrechts, die sich dabei an bestimmten „Leitbildern“