Strafrecht Besonderer Teil. Teilband 1. Reinhart Maurach
Überschrift „Aussetzung“ obsolet gemacht.
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§ 221 unterscheidet zwischen dem Versetzen in eine hilflose Lage (Abs. 1 Nr. 1) und dem Im-Stich-Lassen in einer hilflosen Lage (Abs. 1 Nr. 2). Im ersten Fall führt der Täter also die hilflose Lage herbei, im zweiten liegt sie bereits vor. Der Kernbegriff ist also die hilflose Lage. Dass sich die hilflose Lage selbst bereits durch eine konkrete Gefährdung auszeichent, ist wegen des konkreten Gefährdungserfordernisses (u. Rn. 13) nicht mehr erforderlich. Lediglich zur Wahrung der Zweigliedrigkeit des § 221 StGB (s.o. Rn. 2) ist für sie ein gewisses Maß an weitergehenden Voraussetzungen erforderlich. Eine hilflose Lage liegt danach vor, wenn das Opfer sich wegen physischer oder psychischer Mängel oder mangels der erforderlichen Hilfspersonen oder -mittel nicht mehr gegen mögliche Gefahren für Leben oder Leib zur Wehr setzen könnte[3]. Eine Lage setzt eine gewisse Dauer voraus[4].
Anmerkungen
Heger ZStW 119, 604; Wielant aaO 279 ff. Nach Jähnke LK11 7, 18 soll sich die „hilflose Lage“ nicht ohne Rückgriff auf die Gefahr bestimmen lassen. Dann wird entweder die Gefährdungsklausel überflüssig oder § 221 in der Tat zu einem allgemeinen Lebensgefährdungsdelikt. Dagegen mit Recht Wolters SK 3; Küper ZStW 111, 48 f.; Sternberg-Lieben/Fisch Jura 99, 46; Ebel NStZ 02, 404. Abwegig der Begriff der „abstrakten Gefahr“ bei Hardtung MK 7; Krüger LK 10, 21 und BGH NStZ 08, 395.
Sternberg-Lieben/Fisch Jura 99, 46. A.A. Heger ZStW 119, 596.
1. Das Versetzen in eine hilflose Lage (Abs. 1 Nr. 1)
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Das Versetzen in eine hilflose Lage erfordert deren Herbeiführung, d.h. eine Veränderung der bisherigen Lage. Eine relative Verschlechterung der Lage des Opfers reicht aus (BGH 4, 113: Ausweisung von KZ-Häftlingen aus dem Krankenrevier)[5]. Die Handlung kann durch eine Ortsveränderung des Opfers erfolgen (z.B. Aussetzung in einsamem oder gefährlichem Gelände, unbekleidet in nächtlicher Kälte, Hinausweisen eines alkoholisierten Gastes auf eine belebte Straße oder in nächtliche Einsamkeit, BGH 19, 152; 26, 35). Das Versetzen in eine hilflose Lage kann aber auch durch Wegnahme oder Zerstörung von Hilfsmitteln (Brille, Handy), durch Verletzung (BGH 52, 153 m. Anm. Hardtung JZ 08, 953) oder Betäubung oder durch Fehlleitung von Rettungswilligen erfolgen (der Skifahrer erklärt der Pistenkontrolle wahrheitswidrig, er sei der letzte Fahrer).
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Verleitet der Täter das Opfer selbst zu den entsprechenden Handlungen (es folgt ihm in einsames Gelände, lässt sein Zelt wegen des Gewichts zurück), so ist eine Täterschaft nur gegeben, wenn die Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft durch das Opfer als Tatmittler gegeben sind (Täuschung, Nötigung, fehlende Einsichtsfähigkeit)[6].
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Der Tatbestand kann auch durch Unterlassen begangen werden, z.B. wenn es der Täter unterlässt, den Geschützten am Verlassen des Schutzbereichs zu hindern, ferner wenn die Verbringung des Geschützten aus dem Schutzbereich durch Dritte geduldet wird[7]. In dieser Form ist die Aussetzung ein unechtes Unterlassungsdelikt (Hall aaO). Folglich kann nur der Inhaber einer Garantenpflicht gegenüber der hilflosen Person tauglicher Täter sein; die Begründung der Garantenpflicht richtet sich nach den für Unterlassungsdelikte allgemein geltenden Grundsätzen (vgl. AT § 46 Rn. 41 ff.).
Anmerkungen
Wolters SK 4; a.A. Sternberg-Lieben/Fisch Jura 99, 46.
Unklar das Erfordernis eines „bestimmenden Einflusses“ bei Küper ZStW 111, 37.
RG 38, 377, 378; Frank III 1, 2; Fischer 6; Welzel § 40 I 1b; Hall 358; abw. Binding I 63.
2. Das Im-Stich-Lassen in hilfloser Lage (Abs. 1 Nr. 2)
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Bei Abs. 1 Nr. 2 liegt die hilflose Lage des Opfers zum Zeitpunkt der Täterhandlung bereits vor oder sie wird von ihm gerade durch das Im-Stich-Lassen herbeigeführt. Hat der Täter allerdings den Eintritt der hilflosen Lage durch das Im-Stich-Lassen bereits bei entsprechenden Lageveränderungen geplant, so geht Abs. 1 Nr. 1 vor[8]. Hauptfall ist auch hier das räumliche Sich-Entfernen des Täters von dem Opfer. Im Einklang mit der schon bisher h.L. hat der Gesetzgeber aber klargestellt, dass auch das Im-Stich-Lassen genügt. Darunter fallen das Sich-untauglich-Machen zur Hilfeleistung durch Alkohol oder Selbstmordversuch[9]. Darunter fällt aber auch das bloße Untätigbleiben.
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Auch Abs. 1 Nr. 2 kann durch Unterlassen begangen werden. Der Begriff Im-Stich-Lassen umfasst dies unmittelbar; § 13 gilt insofern nicht. Hierunter fallen die Unterlassung der Gegenwehr gegen die räumliche Entfernung vom Hilfsbedürftigen, aber auch die bloße Unterlassung der Hilfe. Hierunter fällt auch die Unterlassung der Rückkehr nach zulässiger Entfernung[10].
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Erforderlich für Abs. 1 Nr. 2 ist das Bestehen einer Obhut oder „sonstigen Beistandspflicht“. Die Begründung dieser Garantenpflicht richtet sich nach den Grundsätzen, die allgemein für die Begründung von Garantenpflichten gelten: alle bei den unechten Unterlassungsdelikten Garantenpflichten begründenden Umstände (vgl. AT § 46 II C) reichen aus (Eser/Sternberg-Lieben S/S 10), insbesondere kann eine Obhutspflicht auch hier durch tatsächliche Übernahme oder vorangegangenes Tun begründet werden[11]. Jedoch führt ein sozialübliches und von der Allgemeinheit gebilligtes Vorverhalten wie z.B. gemeinsames Zechen[12] oder die Verursachung eines Verkehrsunfalls trotz ordnungsgemäßen Verhaltens[13] regelmäßig nicht zu einer Garantenstellung. Gastwirte und private Gastgeber werden Garanten, wenn die Trunkenheit deutlich erkennbar einen solchen Grad erreicht hat, dass der Zecher nicht mehr Herr seiner Entschlüsse ist und nicht mehr eigenverantwortlich handeln kann (BGH 19, 152; 26, 35).
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Dies kann aber nicht bedeuten, dass alle Garanten (Hausärzte, Feuerwehrleute, Rettungsdienste, Angehörige) bei Eintritt einer hilflosen Lage und Unterlassung der Hilfeleistung nach § 221 Abs. 1 Nr. 2 strafbar sind. „Im-Stich-Lassen“ ist mehr als Unterlassen der Hilfeleistung. Es muss ein besonderes Näheverhältnis mit einer besonderen Bereitschaftserklärung des Obhutspflichtigen vorliegen („Wenn Sie mich anrufen, bin ich sofort da!“)[14].
Anmerkungen
Ebenso Krüger LK 39 ff.; Rengier II § 10 Rn. 9; Jäger JuS 00, 33 f. A.A. Arzt/Weber/Heinrich/Hilgendorf § 36 Rn. 8.
Schroeder JZ 92, 379; Walther NStZ 92, 233. BGH 38, 78 hatte noch wegen der angeblichen fehlenden Tatbestandsmäßigkeit des Im-Stich-Lassens ein räumliches Verlassen durch