Ius Publicum Europaeum. Paul Craig
Rechtsschutz, Entschädigungsansprüche u.a.m. –, war das nationale Verwaltungsprozessrecht teilweise erheblichen Modifikationen ausgesetzt. Diese Entwicklung ist keineswegs abgeschlossen. Das gilt für die Eröffnung des Primärrechtsschutzes, den Bereich des vorläufigen Rechtsschutzes[404] wie auch für die Ermöglichung eines angemessenen Sekundärrechtsschutzes.
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Zur nachhaltigen Orientierung nationaler Rechtsschutzstandards an den Vorgaben von Art. 47 GRCh und Art. 6 und 13 EMRK trägt nicht zuletzt bei, dass die nationalen (Verwaltungs-)Gerichte zugleich funktionale Unionsrichter sind und bei der Entscheidung ihrer Fälle unionale und nationale Maßstäbe zugleich anzuwenden haben. Das legt schon rein faktisch eine parallelisierende Auslegung nahe.[405]
bb) Defizite des unionalen Verwaltungsrechtsschutzes
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Nicht ganz eindeutig fällt dagegen die Beurteilung des unionalen Rechtsschutzes aus. Während teilweise davon ausgegangen wird, das Unionsrecht habe ein „kohärentes Rechtsschutzsystem etabliert, das dem Einzelnen lückenlosen effektiven Rechtsschutz gegen die Unionsgewalt zur Verfügung stellt“,[406] bedürfen vor allem jene Defizite einer verstärkten Aufmerksamkeit, die sich aus den unterschiedlichen Kontrollzuständigkeiten bei ebenen- oder grenzüberschreitenden Fällen im europäischen Verwaltungsverbund ergeben.
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Unbefriedigend wirkt auch, dass der vom Europäischen Gerichtshof gewährte Rechtsschutz gegenüber Akten von Unionsorganen angesichts von Art. 263 Abs. 4 AEUV und dem Festhalten an der sogenannten Plaumann-Doktrin[407] erheblich hinter dem Niveau zurückbleibt, das von den nationalen Verwaltungsrechtsordnungen (zu Recht) gefordert wird.
b) Entmaterialisierung und Prozeduralisierung
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Soweit das unionale Verwaltungsrecht weniger auf materielle denn auf prozedurale Standards setzt und kompensatorisch zugleich qualifizierte Begründungserfordernisse statuiert, drängt es die nationalen Verwaltungsrechtsordnungen, die wie die deutsche durch eine intensive gerichtliche Kontrolldichte gekennzeichnet sind, tendenziell zur Anerkennung großzügigerer Beurteilungs- und Ermessensspielräume.[408]
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Auch hat die kontinuierliche Ausweitung subjektiver Klagerechte die Unterschiede zwischen den dem Individualrechtsschutz verpflichteten und den eher am Legalitätsprinzip orientierten Kontrollansätzen erkennbar eingeebnet. Das wird durch die Einführung von Verbands- und Popularklagen weiter befördert. Zu einem Systemwechsel, gar zum Abschied von einem subjektiv-rechtlich ausgerichteten Rechtsschutz zwingt es jedoch nicht.
Einführung › § 73 Grundzüge des Verwaltungsrechts in Europa – Problemaufriss und Synthese › VIII. Verwaltung und Politik
a) Schwächung der politischen Steuerung
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Die historischen Grundlagen der nationalen Verwaltungsrechtsordnungen in Europa unterscheiden sich zwar zum Teil erheblich. Ihre Leitbilder reichen vom Weber’schen Ideal einer bürokratischen, lediglich gesetzesvollziehenden und apolitischen Verwaltung in Deutschland[409] und Österreich über das „buon andamento“ in Italien[410] bis zur flexiblen und politisch versierten Politikgestaltung in Frankreich und Großbritannien.
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Dabei erscheint das auf das nationale Parlament zentrierte bürokratische Legitimationsmodell – ungeachtet seiner weitgehenden verfassungsrechtlichen Verankerung in den meisten Verwaltungsrechtsordnungen – auf dem Rückzug. Föderalisierung und Dezentralisation, die Schaffung unabhängiger Agenturen[411] und Einrichtungen sowie die Suche nach neuen Steuerungsformen lassen dieses Steuerungs- und Legitimationsmodell veraltet und zunehmend dysfunktional erscheinen.[412] An seine Stelle tritt eine final ausgerichtete, unterschiedliche Belange integrierende, entmaterialisierte und prozeduralisierte politisch gestaltende Verwaltung durch parlamentarisch nicht verantwortliche und nur schwach legitimierte technokratische Akteure.[413] Ob und inwieweit dieser Paradigmenwechsel mit Grundanforderungen des nationalen Verfassungsrechts vereinbar ist und ob seine politischen Kosten nicht zu hoch sind, wird weder auf unionaler noch nationaler Ebene angemessen diskutiert. Dabei birgt diese Entwicklung durchaus das Risiko, dass sich die Bürger Europas mehr und mehr einem von ihnen nicht mehr beeinflussbaren System ausgesetzt sehen könnten, das Züge eines autoritären Regimes trägt.
b) Bedeutungsgewinn der Gerichte
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Zu den Gewinnern von Internationalisierung, Europäisierung und Privatisierung gehören die (Verwaltungs-)Gerichte. Sie haben – was Klagemöglichkeiten, einstweiligen Rechtsschutz, Vollstreckungsmöglichkeiten oder die Zuerkennung von Schadensersatz anlangt – unter dem Einfluss des Unionsrechts sowie von Art. 6 und 13 EMRK in vielen Verwaltungsrechtsordnungen nicht nur eine deutliche Ausdehnung ihrer Zuständigkeiten erfahren bzw. durchgesetzt.[414] Als funktionale Unionsgerichte können sie sich unter Rückgriff auf das Unionsrecht auch über nationale Rechtsanwendungsbefehle hinwegsetzen oder im Rahmen des von ihnen angewandten Methodenkanons Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention auch contra legem Rechnung tragen. Ihre Stellung gegenüber der Politik hat das nachhaltig gestärkt.
a) Die traditionelle Selbstreferentialität der Verwaltung
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Traditionell wird das Verwaltungsrecht schlicht als Recht der Verwaltung begriffen und weist insoweit eine hohe Selbstreferentialität auf. Dass Verwaltung aber kein Selbstzweck ist, dass sie – wie alle staatliche Gewalt – letztlich nur um der Bürger Willen existiert und von daher in größere, häufig verfassungsrechtlich determinierte Zusammenhänge eingebunden ist, ist dem modernen Verwaltungsrecht und seinen Akteuren zwar geläufig. Praktische Konsequenzen werden daraus jedoch kaum gezogen. So bleiben der Einzelne und seine Interessen im Verwaltungsrecht allen rechtsstaatlichen und demokratischen Errungenschaften zum Trotz letztlich doch immer ein wenig „randständig“. Dafür mag auch die in den meisten Staaten des europäischen Rechtsraumes überkommene disziplinäre Trennung von Verfassungs- und Verwaltungsrechtswissenschaft verantwortlich zeichnen, aber auch der Vorrang des Unionsrechts, das selbst einer eher institutionellen Betrachtung des Rechts folgt und die gegenläufigen Vorgaben des Verfassungsrechts und seiner Grundrechte tendenziell verdrängt.
b) Der Einzelne als Rechtsträger, Staats- und Unionsbürger
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Die Konstitutionalisierung des Verwaltungsrechts seit 1949, seine Europäisierung und der Versuch, die Verwaltung als „Dienstleister“ zu begreifen, haben allerdings dazu beigetragen, diesen Bezugsrahmen des Verwaltungsrechts zu verschieben und den Einzelnen stärker in den Mittelpunkt zu rücken. Insofern kann man von einer démocratie administrative im Werden sprechen.[415]
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Konstitutionalisierung und Europäisierung haben das Verwaltungsrecht aus seinem Selbststand befreit und in die größeren Zusammenhänge des Verfassungs- und des Unionsrechts eingeordnet. Sie haben seit Beginn der 1970er-Jahren der Figur des besonderen Gewaltverhältnisses in der Schule, dem Strafvollzug und dem öffentlichen Dienst den Boden entzogen oder ihren Anwendungsbereich doch wesentlich eingeschränkt,[416] einen Ausbau individueller Klagemöglichkeiten vorangetrieben und die Stellung des Einzelnen im Verwaltungsverfahren