Ius Publicum Europaeum. Paul Craig
Gewalt berufenen Behörden, ihre Beamten, die Gebietskörperschaften der Republik oder solche öffentlichen Einrichtungen, die deren Befehlsgewalt oder Kontrolle unterworfen sind, in Ausübung der Vorrechte öffentlicher Gewalt getroffen haben, die Verwaltungsgerichte zuständig sind.“[8]
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Im Rahmen der Gewaltenteilung beschränkten die Revolutionäre die Rolle der Verwaltung auf den Vollzug der Gesetze. Sie verfügte daher nicht über eine eigene Rechtsetzungsbefugnis. Dennoch ist der aus der Trennung von Verwaltung und ordentlicher Gerichtsbarkeit resultierende Grundsatz, dass die Gerichte nicht über Streitfälle mit Bezug zur Verwaltung entscheiden dürfen, grundlegend für die Entstehung eines spezifischen Verwaltungsrechts. Obwohl das Gerichtsorganisationsgesetz vom 16. und 24.8.1790 in Art. 13 betont, dass „die Funktion der ordentlichen Gerichtsbarkeit und die Funktion der Verwaltung verschieden sind und immer getrennt bleiben“ und „die Richter unter Androhung von Strafe weder die Tätigkeit der Verwaltung in irgendeiner Weise stören noch die Verwaltungsbeamten wegen ihrer Amtsausübung vorladen dürfen“, will es der ordentlichen Gerichtsbarkeit keineswegs die verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten entziehen; es soll sie vielmehr nur dazu anhalten, ihre rechtsprechende Funktion zu wahren, und ihr die Beteiligung an der vollziehenden Gewalt durch Vornahme von Verwaltungsmaßnahmen untersagen. Nichtsdestotrotz haben die historischen Umstände doch zu einem Entzug der verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten geführt: Das Gesetz vom 6., 7. und 11.9.1790 überträgt den gewählten lokalen Verwaltungsbeamten (administrateur locaux élus) die Zuständigkeit für zahlreiche Verwaltungsbeschwerden, und das Gesetz vom 7. bis 14.10.1790 behält dem König als Chef der allgemeinen Verwaltung „die auf die Unzuständigkeit der Verwaltungsbehörden gestützten Beschwerden“ vor. Auf Grundlage dieser Regelungen hat sich während des gesamten 19. Jahrhunderts die Idee einer französischen Konzeption der Gewaltenteilung entwickelt, nach der „das Richten über die Verwaltung immer noch Verwaltung ist“.[9]
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Die Anwendung dieses „Prinzips“ macht den Verwaltungsrechtsstreit zum bloßen Anhängsel der aktiven Verwaltung und lässt den Gedanken aufkommen, die Verwaltung sei (einzige) Richterin in eigener Sache. Anders ausgedrückt: Die Bedingungen und der Grad der Unterwerfung der Verwaltung unter das Recht ändern sich in einem Maße, das an Willkür grenzt. Ausgehend von dem genannten Prinzip wird daher ein Kompromiss angestrebt, der einerseits die Kontrolle der Verwaltung gewährleistet und andererseits ihre Handlungsfreiheit wahrt. Er führt zu einer weiteren Trennung innerhalb der Verwaltung selbst, nämlich jener zwischen Verwaltungsgerichtsbarkeit und aktiver Verwaltung.[10]
bb) Die Trennung von Verwaltungsgerichtsbarkeit und aktiver Verwaltung
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Konsulat und Kaisertum führen zu einer Spezialisierung der Aufgaben innerhalb der Verwaltung. So führt die Verfassung vom 22. Frimaire des Jahres VIII (13.12.1799) den Conseil d’État ein und legt seine drei Hauptaufgaben in den Bereichen Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung fest. In Art. 52 heißt es: Der „Conseil d’État ist betraut mit der Abfassung von Gesetzentwürfen und Verordnungen der öffentlichen Verwaltung sowie der Beilegung von Streitigkeiten, die im Bereich der Verwaltung auftreten“. Infolgedessen äußert sich der Conseil d’État zu Konflikten zwischen der Verwaltung und den Gerichten, zu Rechtsstreitigkeiten, für die vormals die Minister zuständig waren, und über Rechtsbehelfe (recours) gegen Entscheidungen der Präfekturräte (Conseils de préfecture). Ende 1806 wird innerhalb des Conseil d’État mit der Commission du contentieux (Kommission für Rechtsstreitigkeiten) ein auf die Beilegung von Rechtsstreitigkeiten spezialisiertes Organ eingerichtet. Sie ist ein „halb verwaltendes, halb rechtsprechendes Organ“ (Napoléon), das die administrés anrufen können und vor dem ein kontradiktorisches Verfahren stattfindet. Die Kommission wird praktisch zum Richter über rechtliche Streitigkeiten.[11] Diese erste Andeutung einer Trennung zwischen der Verwaltung im engeren Sinne und einem Verwaltungsrechtsstreit innerhalb eines Verwaltungsorgans wird zur Keimzelle der Verwaltungsgerichtsbarkeit und zur Grundlage der modernen Verwaltungsrechtsordnung.
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Diese Organisation ist das gesamte 19. Jahrhundert hindurch Kritik ausgesetzt, vor allem wegen der Trennung von Verwaltungs- und Rechtsprechungsfunktion, die dem Gedanken widerspricht, dass „Richten über die Verwaltung immer noch Verwaltung ist“, und weil sich der Conseil d’État darauf beschränkt, dem Staatschef, der die Entscheidungsgewalt behält, seine Meinung mitzuteilen.[12] Obwohl im Laufe der Zeit das Verfahren des Verwaltungsrechtsstreits verbessert wird und das Kontrollniveau zunimmt, räumt erst die Republik dem Conseil d’État eigene und souveräne Entscheidungsgewalt ein. Was bleibt und von der Republik anerkannt wird (Gesetz vom 24.5.1872), ist die dem Conseil d’État eingeräumte Möglichkeit, eine juristische Doppelfunktion auszuüben: Berater der Regierung[13] einerseits und Verwaltungsrichter erster Instanz andererseits.
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So folgt der Gerichtsstatus des Conseil d’État aus zwei verschiedenen Entwicklungen: zum einen aus der Vertiefung der Trennung von Verwaltungsgerichtsbarkeit und aktiver Verwaltung, zum anderen aus der Ausweitung der effektiven Verwaltungskontrolle.
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Auch wenn der grundlegende Übergang zur gesetzlichen Übertragung von Gerichtsbarkeit (justice déléguée) vom Willen des Gesetzgebers ausgeht, beruhen die Umstände, die zur Bekräftigung seines gerichtlichen Charakters führen, doch auf der Entwicklung des Conseil d’État selbst. Tatsächlich schafft das Gesetz vom 24.5.1872 den rechtlichen Rahmen, innerhalb dessen der Conseil d’État seine Fähigkeit zur Aneignung des Liberalismus entwickelt – und zu einem seiner Glanzstücke wird –, ohne das monarchische Erbe zu verleugnen. Er wirkt darauf hin, dass sich die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Republik etabliert, indem er sie nicht ohne Erfolg zu einem Instrument des Schutzes der Bürger gegen Machtmissbrauch und gleichzeitig zu einem Werkzeug guter Verwaltung macht.
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Das Gesetz vom 24.5.1872 belässt noch eine wichtige Funktion bei der aktiven Verwaltung: Die Verwaltungsbeamten behalten ihre Stellung als Richter, die Minister bleiben ordentliche Richter in Verwaltungsangelegenheiten.[14] Diese Situation lässt sich mit der Vorstellung, die Verwaltung sei dem Gesetz unterworfen, kaum vereinbaren. Sie wird vom Conseil d’État seit den 1880er-Jahren bekämpft und in der Entscheidung Cadot vom 19.12.1889 verurteilt. Nach dieser Entscheidung dürfen von nun an alle verwaltungsrechtlichen Streitigkeiten direkt vor den Conseil d’État gebracht werden. Die Abschaffung der Ministerialgerichtsbarkeit, die die Trennung der Begriffe von Verfahren und Gerichtsbarkeit vornimmt, ermöglicht den Aufstieg des recours pour excès de pouvoir (Anfechtungsklage wegen Überschreitung der Befugnisse) in der Familie der Klagearten. Die Besonderheit dieses recours resultiert vor allem aus den Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit er angenommen und die angegriffene Handlung von einem Richter eingehend geprüft wird. Er soll den Zugang zu Gericht erleichtern und ist durch seine Funktion im System der gerichtlichen Verwaltungskontrolle gerechtfertigt. Diese besteht darin, rechtswidrige Handlungen der Verwaltung zu sanktionieren, damit die Rechte der administrés nicht verletzt werden. Dies erklärt auch seine Bezeichnung als „Prozess, der einem Akt gemacht wird“ (Edouard Laferrière). Erst mit Hilfe dieses besonderen Rechtsbehelfs zeigt der Conseil d’État, dass er seiner gerichtlichen Aufgabe gerecht werden kann.
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Darüber zeigt sich die Unabhängigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die eine demokratische Anforderung an die Richterschaft ist, in einer Ausdehnung der Kontrolle an sich und einer Ausdehnung der Modalitäten dieser Kontrolle. Die Fortschritte, die die Rechtsprechung in diesem „goldenen Zeitalter“ des Verwaltungsrechtsstreits – einer Phase, in der die Grundlagen des modernen Verwaltungsrechts geschaffen worden sind – macht, werden in den folgenden Epochen verstärkt und gefestigt. Die