Handbuch der Europäischen Aktiengesellschaft - Societas Europaea. Hans-Peter Schwintowski
ist wiederum der Normenhierarchie des Art. 9 Abs. 1 SE-VO geschuldet.[11] Da Bestimmungen in der Satzung der SE in bestimmten Fällen (Art. 9 Abs. 1 b SE-VO) den Vorschriften des nationalen Rechts, also damit insbesondere § 23 Abs. 5 AktG, vorgehen, sind diese Satzungsbestandteile nicht am – in der Normenhierarchie darunter angesiedelten – deutschen Recht zu messen. In der Sache ändert dies allerdings wenig: Art. 9 Abs. 1 b SE-VO räumt nur denjenigen Satzungsbestimmungen Vorrang vor dem nationalen Recht ein, deren Aufnahme in die Satzung von der SE-VO ausdrücklich zugelassen ist. Da diese Regelungsermächtigungen an den Satzungsgeber eng begrenzt sind, erhält der Satzungsgeber insoweit keinen maßgeblichen Gestaltungsspielraum. Da alle übrigen Bestimmungen am Maßstab des nationalen Rechts, also insbesondere an § 23 Abs. 5 AktG zu messen sind, gilt der Grundsatz der Satzungsstrenge fast gleichermaßen auch für die SE. Dementsprechend ist es irreführend, wenn insoweit von „doppelter Satzungsstrenge“[12] gesprochen wird, denn Art. 9 Abs. 1 b SE-VO stellt keinen Prüfungsmaßstab für Satzungsbestimmungen dar bzw. begrenzt den Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers nicht, sondern regelt ausschließlich die Normenhierarchie.
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Für die Gestaltung der Satzung einer SE gilt damit folgendes: Abweichungen der Satzung von den gesetzlichen Bestimmungen sind nur dann möglich, wenn solche Abweichungen ausdrücklich zugelassen sind. Ist die Abweichung durch die SE-VO ausdrücklich gestattet (Art. 9 Abs. 1 b SE-VO), bildet nur diese und nicht das nationale Recht den Prüfungsmaßstab, so dass in diesen Fällen auch von den nationalen Regelungen abgewichen werden kann. Als Beispiel für diese Fallkonstellation kann auf Art. 55 Abs. 1 HS 2 SE-VO verwiesen werden. Dieser gestattet dem Satzungsgeber ausdrücklich, von den nationalen Bestimmungen abzuweichen, so dass eine etwaige Satzungsbestimmung den nationalen Bestimmungen in § 50 SEAG, § 122 Abs. 1 AktG vorgeht und gerade kein Verstoß gegen den Grundsatz der Satzungsstrenge vorliegen würde, obwohl die entsprechende Satzungsbestimmung von den nationalen Vorschriften abweicht. Ergänzende Bestimmungen der Satzung sind insoweit zulässig, als weder die SE-VO noch das nationale Recht abschließende Regelungen treffen.[13] Für die Frage, wann eine abschließende Regelung vorliegt, ist auch zu prüfen, ob sich dies aus einer ergänzenden Auslegung oder Rechtsfortbildung ableiten lässt.[14]
4 › I › 5. Auslegung der Satzung
5. Auslegung der Satzung
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Wie Satzungen von SE auszulegen sind, ist noch nicht abschließend geklärt. In der Literatur werden insoweit verschiedene Ansätze diskutiert. Neben der Möglichkeit die Satzungsbestimmungen nach europäischen Grundsätzen[15] auszulegen, wird die Auslegung der Satzung nach rein nationalen Auslegungsmethoden[16] oder eine gespaltene Auslegung, je nach dem welche Satzungsbestimmung betroffen ist, diskutiert. Eine h.A. hat sich bislang noch nicht etabliert.[17]
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SE-Satzungen enthalten zwangsläufig sowohl Regelungen, die auf europäischem Recht basieren (Art. 9 Abs. 1 b SE-VO), wie auch Bestimmungen, die sich nach nationalem Recht richten (Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO). Dementsprechend würde es naheliegen, unterschiedliche Auslegungsgrundsätze anzuwenden. Bei Regelungen, die auf der SE-VO beruhen (Art. 9 Abs. 1 b SE-VO), müsste sich die Auslegung nach europäischen Auslegungsgrundsätzen richten.[18] Soweit die auszulegende Satzungsbestimmung auf nationales Recht zurückgeht (Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO), wären nationale Auslegungsgrundsätze anzuwenden.
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Allerdings begegnet eine Auslegung nach europäischen Maßstäben der Schwierigkeit, dass bislang keine einheitlichen europäischen Maßstäbe zur Auslegung von Satzungsbestimmungen supranationaler Rechtsformen entwickelt, geschweige denn durch Rechtsprechung abgesichert wurden.[19] Hinzu kommt, dass die Heranziehung unterschiedlicher Auslegungsmethoden die Rechtsanwendung erheblich verkomplizieren würde. Schließlich stellt sich das Problem, dass die Satzung als einheitliches Regelungswerk bei der Heranziehung unterschiedlicher Auslegungsgrundsätze keiner einheitlichen systematischen Auslegung zugänglich wäre.[20] Denn soweit es um die Auslegung von Satzungsbestimmungen geht, die auf der SE-VO beruhen (Art. 9 Abs. 1 b SE-VO), könnte man schwerlich für die systematische Auslegung auf Satzungsbestimmungen zurückgreifen, die auf nationales Recht zurückgehen (Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO).[21]
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Für die Praxis ist von Folgendem auszugehen: Satzungen von SE können – unabhängig davon, ob europäische oder nationale Auslegungsgrundsätze eingreifen – nur anhand objektiver Maßstäbe ausgelegt werden.[22] Denn dem Gründerwillen oder dem Willen der jeweiligen Aktionäre kann bei Gesellschaften, die darauf ausgelegt sind, dass sich eine unbestimmte Zahl von Aktionären an diesen beteiligen, keine Bedeutung zukommen. Dementsprechend verbleibt es bei SE-Satzungen bei der Wortlautauslegung, der systematischen Auslegung und der Auslegung nach dem Sinn und Zweck der entsprechenden Satzungsregelung.
4 › I › 6. Folgen bei Satzungsmängeln
6. Folgen bei Satzungsmängeln
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Die SE-VO enthält keine Regelungen zu den Rechtsfolgen von Satzungsmängeln.[23] Dementsprechend greift über die Generalverweisung in Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO nationales Aktienrecht ein.[24]
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Nach diesem ist bei Mängeln der Satzung danach zu unterscheiden, ob der Mangel vor oder nach Eintragung entdeckt wird. Das Registergericht hat nach Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO, § 38 Abs. 1 S. 1 AktG bzw. im Fall der Verschmelzung nach Art. 26 Abs. 1 SE-VO vor der Eintragung die ordnungsgemäße Errichtung bzw. die Rechtmäßigkeit der Verschmelzung zu prüfen.[25] Liegt ein Mangel in der Satzung vor, hat es die Eintragung abzulehnen. Handelt es sich um einen heilbaren Mangel, hat das Registergericht die Möglichkeit einer Zwischenverfügung.[26]
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Bei Mängeln, die erst erkannt werden, nachdem die Gesellschaft bereits eingetragen wurde, ist nach der Art des Mangels zu unterscheiden: Die in § 275 AktG genannten Mängel (keine Bestimmung über die Höhe des Grundkapitals oder über den Gegenstand des Unternehmens bzw. unwirksame Bestimmungen über den Gegenstand) können über das Klageverfahren nach Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO, § 275 AktG geltend gemacht werden und können zur Abwicklung der SE nach Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO, § 277 AktG führen. Klagebefugt sind allerdings nach Art. 9 Abs. 1 c ii SE-VO, § 275 AktG lediglich Organmitglieder (Leitungs-, Aufsichts- oder Verwaltungsorgan und wohl auch die geschäftsführenden Direktoren[27]) oder Aktionäre. Außerdem gilt die Ausschlussfrist von drei Jahren seit Eintragung der SE bzw. der entsprechenden Satzungsbestimmung. In den Fällen des § 275 AktG kommt alternativ auch eine Löschung von Amts wegen nach § 397 Abs. 1 FamFG in Betracht.
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Soweit die Satzung der SE keine Regelung zur Firma und zum Sitz der Gesellschaft (§ 23 Abs. 3 Nr. 1 AktG), keine wesentlichen Angaben zur Zerlegung des Grundkapitals (§ 23 Abs. 3 Nr. 4 AktG), keine Bestimmung zu der Frage, ob es sich um Inhaber oder Namensaktien handelt (§ 23 Abs. 3 Nr. 5 AktG), oder keine Angaben über die Zahl der Mitglieder des Vorstands oder die Regeln, nach denen diese Zahl festgelegt wird (§ 23 Abs. 3 Nr. 6 AktG), enthalten sollte, kann das Amtslöschungsverfahren nach § 399 FamFG eingeleitet werden.[28]
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Für