Markenrecht. Jennifer Fraser

Markenrecht - Jennifer Fraser


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soeben dargestellte traditionelle deutsche Rechtsauffassung zur Verkehrsdurchsetzung wird aufgrund der Chiemsee-Entsch des EuGH, in der dieser bei der Bestimmung der Unterscheidungskraft einer geographischen Bezeichnung das Kriterium des Freihaltebedürfnisses für irrelevant erklärte und eine deutliche Distanz gegenüber der Verbindlichkeit bestimmter Prozentsätze der Verkehrsdurchsetzung erkennen ließ (EuGH GRUR 1999, 723, 727 Nr 48, 52), in Frage gestellt. Während ein Teil der Lit die Anwendung der zur Registermarke ergangenen Chiemsee-Entsch aus Gründen der Einheit des Kennzeichenrechts auch auf Unternehmenskennzeichen anwenden will (Ingerl/Rohnke § 5 Rn 53 iVm § 8 Rn 313 ff), hält eine aA auch nach dem Chiemsee-Urt an der bisherigen Rechtsauffassung fest (Ströbele/Hacker/Thiering § 4 Rn 50; Goldmann § 6 Rn 31). Bei näherem Hinsehen lässt sich das Chiemsee-Urt jedoch mit der bisherigen Rechtslage in Deutschland vereinbaren. So wurde die Forderung, festen Prozentsätzen der Verkehrsgeltung nicht zu hohes Gewicht beizumessen, in Deutschland auch schon früher erhoben (vgl GK-Teplitzky § 16 Rn 217) und steht mit dem geltenden Recht insofern in Übereinstimmung, als die oben (Rn 65 f) angegebenen Prozentsätze ohnehin nur als Anhaltspunkte verstanden werden. Auch darf man die Chiemsee-Entsch nicht dahin missverstehen, dass das Freihaltungsinteresse der Mitbewerber im Rahmen der Schutzfähigkeit eines Kennzeichens nunmehr keine Rolle mehr spielt. Vielmehr hat der EuGH in einem neueren Urteil zur Unterscheidungskraft einer Farbmarke ausdrücklich die Berücksichtigung des Freihaltebedürfnisses anderer Marktteilnehmer gefordert (EuGH GRUR 2003, 604, 607 f Nr 54 f, 60 – Libertel; ähnlich und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die Chiemsee-Entsch BPatG GRUR 2006, 509, 510 – PORTLAND). Selbst wenn der EuGH – was äußerst zweifelhaft ist – das Kriterium des Freihaltebedürfnisses verworfen hätte, würde dies die in Deutschland geltenden Rechtsgrundsätze nicht umstürzen, da ein hohes Freihaltebedürfnis der anderen Marktteilnehmer regelmäßig einer geringen originären Kennzeichnungskraft entspricht (oben Rn 64). Die Gründe, die für die Beurteilung des Freihalteinteresses der Mitbewerber von Bedeutung sind, verlangen demnach auch im Rahmen der Kennzeichnungskraft Berücksichtigung. Die Bedeutung der Chiemsee-Entsch dürfte in erster Linie darin liegen, dass der EuGH im Rahmen einer umfassenden Prüfung der Verkehrsdurchsetzung verschiedene Entscheidungskriterien festlegt (EuGH GRUR 1999, 723, 727 Nr 51 – Chiemsee). Überträgt man die Chiemsee-Entsch auf Unternehmenskennzeichen, so kommt es im Rahmen der Verkehrsgeltung auf den Markterfolg eines Unternehmens, auf die Intensität, geographische Verbreitung und Dauer der Benutzung eines Unternehmenskennzeichens und auf die Erklärungen von Industrie- und Handelskammern und anderen Berufsverbänden an (Goldmann § 6 Rn 21). Neben diesen vom EuGH hervorgehobenen Kriterien bleibt jedoch eine bestimmte Verkehrsgeltungsquote nach wie vor relevant. Auch wenn die oben mitgeteilten Prozentsätze (Rn 65 f) nach dem Chiemsee-Urt einen Teil ihrer vorentscheidenden Bedeutung eingebüßt haben mögen, so sind sie zumindest als Richtwerte nach wie vor brauchbar (so iE auch Goldmann § 6 Rn 63 ff).

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      Die Verkehrsgeltung eines Kennzeichens oder eines Kennzeichenbestandteils ist nicht nur davon abhängig, welche Verbreitung das Zeichen erfahren hat, sondern auch davon, ob und in welchem Umfang dasselbe Kennzeichen oder derselbe Kennzeichenbestandteil auch von Mitbewerbern benutzt worden ist (BGH GRUR 1955, 481, 483 – Hamburger Kinderstube; BGH NJW 1961, 1018, 1020 – Almglocke). Wird die parallele Verwendung desselben Kennzeichens durch andere Unternehmen häufig die Verkehrsgeltung erschweren oder auch ganz ausschließen, so besteht dieser Grundsatz nicht ausnahmslos. Die Benutzung eines Kennzeichens durch mehrere kann dessen Verkehrsgeltung sogar fördern (vgl BGH NJW 1956, 1595 f – Ihr Funkberater; BGH NJW 1961, 1018, 1021 – Almglocke). Voraussetzung dafür ist, dass ein die gemeinschaftliche Benutzung desselben Kennzeichens rechtfertigender rechtlicher oder wirtschaftlicher Zusammenhang zwischen den verschiedenen Unternehmen besteht (so zB bei Konzernen oder Schwesterfirmen) und für den Verkehr mit genügender Deutlichkeit erkennbar wird; in diesem Fall kommt die Verkehrsgeltung des gemeinsamen Zeichens jedem einzelnen Benutzer zugute (BGH NJW 1961, 1018, 1021 – Almglocke). Der Verkehr muss keine Kenntnis von den rechtlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen im Einzelnen haben, solange die Unternehmen nicht als miteinander konkurrierend erscheinen (BGH NJW 1956, 1595 f – Ihr Funkberater; BGH NJW 1961, 1018, 1021 – Almglocke; vgl auch GK/Teplitzky § 16 Rn 224 f). Die Verkehrsgeltung eines innerhalb einer Unternehmensgruppe einheitlich benutzten Unternehmenskennzeichens kommt auch dem einzelnen Mitgliedsunternehmen zugute, wenn der Verkehr das Kennzeichen auch diesem zuordnet (BGH GRUR 2005, 61, 62 – CompuNet/ComNet II).

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      Eine regional begrenzte Verkehrsgeltung reicht für einen regional begrenzten Kennzeichenschutz aus (BGH GRUR 1954, 195, 197 – KfA; GRUR 1957, 426 f – Getränke-Industrie; GRUR 1960, 83, 87 – Nährbier; BGH WRP 2007, 1200, 1202 f – Cambridge Institute; Ingerl/Rohnke § 5 Rn 55). Voraussetzung einer regional begrenzten Verkehrsgeltung ist das Vorliegen eines einheitlichen Wirtschaftsraumes, der nach Umfang und wirtschaftlicher Bedeutung eine Sperre gegenüber verwechslungsfähigen Bezeichnungen rechtfertigt (BGH GRUR 1979, 470, 472 – RBB/RBT; Fezer § 4 Rn 129 f). Für die Annahme eines einheitlichen Wirtschaftsraumes spricht es, wenn das Gesamterscheinungsbild des Unternehmens, insb seine Vertriebsstruktur und sein Absatzgebiet, den Bezug zu einer bestimmten Region (zB einer Stadt oder eines Bundeslandes) deutlich macht, gegenüber der eine über die Region hinausgehende Tätigkeit des Unternehmens nur untergeordnete Bedeutung zukommt (Ingerl/Rohnke § 5 Rn 55; GK/Teplitzky § 16 Rn 228). Unternehmen mit einem lokalen oder regionalen Wirkungskreis weisem mit ihrer Präsenz im Internet nicht notwendig darauf hin, dass sie ihre Waren oder Leistungen nunmehr jedem bundesweit anbieten wollen (BGH GRUR 2005, 262 – soco.de; BGH GRUR 2006, 159, 160 – hufeland.de). Erst nach der Feststellung einer regionalen Verkehrsdurchsetzung stellt sich die weitere Frage, ob einem Mitbewerber, der unter seinem Kennzeichen im gesamten Bundesgebiet tätig ist, der Gebrauch des Kennzeichens (nur) in dem räumlich begrenzten Bereich untersagt werden kann (BGH GRUR 1979, 470, 472 – RBB/RBT; GK/Teplitzky § 16 Rn 229).

6. Das Erlöschen des Kennzeichenschutzes

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      Der Schutz von Name, Firma und bes Geschäftsbezeichnung (Abs 2 S 1), der durch Benutzungsaufnahme oder Verkehrsgeltung entsteht, erlischt mit Beendigung der Benutzung des Kennzeichens (GK/Teplitzky § 16 Rn 121; Ingerl/Rohnke § 5 Rn 69 f; BGH GRUR 2005, 871, 872 – Seicom). Bei Kennzeichen, die erst mit Verkehrsgeltung Schutz genießen, kommt neben der Beendigung der Kennzeichenbenutzung auch ein Verlust der Verkehrsgeltung als Erlöschensgrund in Betracht (vgl Rn 74). Neben der Auswechslung eines Kennzeichens durch ein anderes (vgl dazu Rn 75) hat vor allem die Einstellung der geschäftlichen Betätigung eines Unternehmens die Beendigung der Benutzung des Unternehmenskennzeichens zur Folge (GK/Teplitzky § 16 Rn 122). Kennzeichenschutz nach den §§ 5, 15 können daher nur „lebende“, am Geschäftsverkehr beteiligte Unternehmen in Anspruch nehmen (BGH GRUR 1960, 137, 139 – Astra; BGH GRUR 1962, 419, 420 – Leona; BGH GRUR 1985, 566, 567 – Hydair; OLG Frankfurt WRP 1972, 386, 387). Wird der Geschäftsbetrieb (endgültig) nicht mehr ausgeübt, entfällt der Kennzeichenschutz (BGH GRUR 1962, 419, 420 – Leona; BGH GRUR 2005, 871, 872 – Seicom; BGH GRUR 2002, 967, 969 – Hotel Adlon; GRUR 2005, 871, 872 – Seicom; GRUR 2013, 1150 Rn 29 – Baumann I; OLG Frankfurt


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