Markenrecht. Jennifer Fraser

Markenrecht - Jennifer Fraser


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„jegliche“ lässt nicht den Schluss zu, dass bereits jede noch so geringe, irgendwie geartete Unterscheidungskraft ausreichend wäre, um die markenrechtliche Herkunftsfunktion erfüllen zu können. Vielmehr muss bei der Auslegung berücksichtigt werden, dass die Herkunftsfunktion der Marke stets im Vordergrund stehen muss, während weitere mögliche Funktionen wie etwa eine anpreisende oder produktbeschreibende Funktion daneben nur von untergeordneter Bedeutung sein dürften. Ergeben die Feststellungen keinen eindeutigen Nachweis dafür, dass die Marke die Herkunftsfunktion erfüllen kann und dass diese Herkunftsfunktion im Vordergrund steht, widerspricht die Eintragung dem Allgemeininteresse vor ungerechtfertigten Rechtsmonopolen (BPatG Mitt 2009, 192 – MINI PLUS).

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      Verkehrsauffassung Entscheidend für die Frage, ob eine Marke geeignet ist, als Herkunftshinweis zu wirken, ist die Verkehrsauffassung. Insoweit kommt es nicht auf die Auffassung ausl Verkehrskreise, sondern auf das Verständnis der inländischen Verbraucher an, so dass bei fremdsprachigen Ausdrücken auf das Sprachverständnis der inländischen Verkehrskreise abzustellen ist (BGH GRUR 1989, 666 f – Sleepover), wobei dies nicht zwingend die Verbraucher in ihrer Gesamtheit sein müssen; vielmehr kann auch das Verständnis der am Handel beteiligten Fachkreise ausschlaggebend sein (BPatG PAVIS PROMA 24 W (pat) 110/05 – BAGNO, vgl auch Ströbele FS Ullmann, S 425). Grundsätzlich kommt es auf die informiert und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher an (EuGH GRUR 2004, 674 – Postkantoor). Daneben kann auch nur das Verständnis der am Handel beteiligten Mitbewerber entscheidend sein, was insbesondere bei dem Verständnis fremdsprachiger beschreibender Begriffe von Bedeutung sein kann (BPatG MarkenR 2007, 527, 528 – Rapido). Die Unterscheidungskraft ist nicht erst dann zu verneinen, wenn alle Verbraucher in dem Zeichen keinen Betriebshinweis sehen, wie dies unter Umständen aus dem Tatbestandsmerkmal „jegliche Unterscheidungskraft“ herausgelesen werden könnte. Indes hat diese Voraussetzung der Zurückweisung keine quantitative Komponente, sondern weist nur daraufhin, dass auch sehr schwache, an beschreibende Angaben angelehnte Marken unterscheidungskräftig sein können. Jegliche Unterscheidungskraft kann einem Zeichen deshalb auch dann fehlen, wenn beachtliche Teile des Verkehrs hierin keinen Betriebshinweis sehen (BGH GRUR 1989, 666, 667 – Sleepover; GRUR 1994, 803 f – TRILOPIROX; vgl auch BPatG GRUR 2005, 865, 869 – SPA). Wie dies zahlenmäßig bzw prozentual zu bemessen ist, um von beachtlichen Verkehrskreisen ausgehen zu können, ist weder aus dem Gesetz noch aus der Rspr eindeutig ersichtlich. In Fällen geteilter Verkehrsauffassung müssen die Abnehmer überwiegen, die in dem Zeichen keinen betrieblichen Herkunftshinweis sehen, um die Unterscheidungskraft verneinen zu können (Ströbele/Hacker/Thiering/Ströbele § 8 Rn 124; Ingerl/Rohnke § 8 Rn 72; vgl BGH GRUR 1994, 803, 804 – TRILOPIROX; BPatG GRUR 1996, 489, 490 – Hautactiv; ). Umgekehrt vermag ein geringer Teil, der das Zeichen als Betriebshinweis auffasst, nicht die Unterscheidungskraft zu begründen (BGH GRUR 1990, 453, 454 – L-Thyroxin; BPatG GRUR 1995, 734, 736 – While you wait). Ließe man einen kleinen Teil der Verkehrskreise ausreichen, der in dem Zeichen einen Herkunftshinweis sieht, für die Bejahung der Unterscheidungskraft nach § 8 Abs 2 Nr 1 ausreichen, stünde dies im Widerspruch zu den 50 %, die nach § 8 Abs 3 im Verkehrsdurchsetzungsverfahren für die Überwindung des Eintragungshindernisses fehlender Unterscheidungskraft mindestens erforderlich sind (BPatG GRUR 1996, 489 f – Hautactiv; vgl auch Ingerl/Rohnke § 8 Rn 72). Ein Anteil von 50 % und mehr, der in einem Zeichen einen Hinweis auf die betriebliche Herkunft sieht, ist demgegenüber grds geeignet, die Unterscheidungskraft zu begründen, nicht jedoch ein darunter liegender Wert. Für die Frage, ob in Fällen geteilter Verkehrsauffassung ein allg Freihaltungsbedürfnis der Mitbewerber zur Entsch über das Fehlen der Unterscheidungskraft heranzuziehen ist, schien demgegenüber im Gegensatz zu der früheren Rspr (BGH GRUR 1969, 345, 347 – red-white; GRUR 1991, 136 f – NEW MAN; GRUR 1992, 514 – Olé; BPatG GRUR 1996, 489 f – Hautactiv) zunächst kein Raum mehr zu sein (BGH GRUR 2000, 722 f – LOGO; GRUR 2001, 1042, 1043 – REICH UND SCHÖN; GRUR 2001, 1043, 1045 – Gute Zeiten–Schlechte Zeiten; GRUR 2006, 850, 854-FUSSBALL WM 2006 mit Anm Berlit GRUR 2006, 858; aA Hacker GRUR 2001, 630, 633). Indes erfährt diese Rspr eine Relativierung dadurch, dass EuGH und auch BGH zuletzt davon ausgegangen sind, dass auch das Eintragungshindernis fehlender Unterscheidungskraft im Lichte des Allgemeininteresses zu sehen ist (EuGH GRUR 2003, 604, 608 – Libertel; GRUR 2004, 943, 944 – SAT.2; BGH GRUR 2006, 850, 854 – FUSSBALL WM 2006), dh im Interesse der Allgemeinheit vor unberechtigten Rechtsmonopolen, wozu auch das Freihaltungsbedürfnis der Mitbewerber gehört. Da dem Freihaltungsbedürfnis an ungerechtfertigten Monopolisierungen von unmittelbar beschreibenden Angaben bereits durch § 8 Abs 2 Nr 2 Rechnung getragen ist, kommt dem Allgemeininteresse bei dem Schutzversagungsgrund der fehlenden Unterscheidungskraft nach Nr 1 allenfalls – wenn auch rechtsdogmatisch verfehlt (Hacker GRUR 2001, 630; aA BPatG Mitt 2009, 192 – MINI PLUS; BPatG PAVIS PROMA 27 W (pat) 27 W (pat) 81/10 – Avanti; vgl auch Bender MarkenR 2009, 85 ff) – insoweit praktische Bedeutung zu, als dieses Interesse bei nicht unmittelbar beschreibenden Werbeschlagworten wie „Super“ zu berücksichtigen ist (vgl Ströbele FS Ullmann, S 425, 436).

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      Bei der Frage der Verwechslungsgefahr spielt die gespaltene Verkehrsauffassung indes keine Rolle, weil die gespaltene Verkehrsauffassung mit dem Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr nicht zu vereinbaren ist (BGH MarkenR 2013, 185 – AMARULA/Marulablu).

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      Die Feststellung, ob die Verkehrskreise beachtlich sind, die ein Zeichen als nicht unterscheidungskräftig ansehen, ist schwierig zu treffen, zumal streitig ist, ob auf den Zeitpunkt der Eintragung (BPatG MarkenR 2013, 83, 85 – FLATRATE; BGH GRUR 2009, 411 – STREETBALL, Ingerl/Rohnke § 8 Rn 32) oder auf den Zeitpunkt der Anmeldung (EuG MarkenR 2009, 464 – FLUGBÖRSE; vgl Bender MarkenR 2011, 49, 59 f) abzustellen ist. Letztlich ist die Entsch hierüber im Eintragungsverfahren ebenso wie im Verletzungsprozess, in dem es um die Unterscheidungskraft einer Benutzungsmarke iSv § 4 Nr 2 geht, sehr spekulativ und eine Prognoseentscheidung (vgl Heil GRUR 1981, 669, 703), weil es sich um eine Rechtsfrage handelt, die anhand allgemein kundiger Tatsachen zu entscheiden ist, ohne dass weitere Ermittlungen, insb Verkehrsbefragungen veranlasst wären (BGH GRUR 1976, 587 f – Happy; BPatG GRUR 1996, 489 f – Hautactiv; Ingerl/Rohnke § 8 Rn 71). Derartige Ermittlungen sind mit dem registerrechtlichen Eintragungsverfahren, das auf die Erledigung einer Vielzahl von Anmeldungen ausgerichtet ist, nicht vereinbar; zudem ist das BPatG nach § 73 Abs 1 nicht an Beweisanträge gebunden (BPatG PAVIS PROMA – 25 W (pat) 96/04 – Farbmarke pinkrot). Dies schließt freilich nicht aus, als Anmelder eine Verkehrsbefragung von sich aus im Eintragungsverfahren vorzulegen. Auch wenn das DPMA sowie das BPatG nicht zwingend hieran gebunden sind (BPatG GRUR 1996, 489 f – Hautactiv; krit Ingerl/Rohnke § 8 Rn 71), wird ein positives Umfrageergebnis Prüfer oder Richter unter Umständen nicht unbeeindruckt lassen.

2. Praktische Bedeutung von § 8 Abs 2 Nr 1

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      Erschöpft sich ein Zeichen in einer Sachbeschreibung, die gem § 8 Abs 2 Nr 2 freihaltungsbedürftig ist, wird der Verkehr hierin idR keine unterscheidungskräftige, auf ein Unternehmen hinweisende Marke sehen. Eine praktische Bedeutung von § 8 Abs 2 Nr 1 ist insoweit nicht gegeben, weil das Zeichen schon wegen Bestehens eines Freihaltungsbedürfnisses


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