Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
trägt also einerseits den durch die Digitalisierung sowohl der Fernseh- (DVB-T bzw. seit 2017 DVB-T2[72]) als auch der Hörfunksignalübertragung (DAB) bewirkten Veränderungen Rechnung, indem sie den Normadressaten hinsichtlich der Auswahl der zur Verbreitung genutzten Übertragungswege Ermessen einräumt. Andererseits begrenzt sie das Ermessen durch eine Bindung an die Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit (§ 19 S. 2 RStV). Das heißt, es wird nicht ein Übertragungsweg (z.B. digitale Terrestrik) bevorzugt, sondern an erster Stelle stehen wirtschaftliche Erwägungen. Um einen Rückschritt hin zur analogen terrestrischen Verbreitung aus Kostengründen zu vermeiden, bestimmt § 19 S. 3 RStV, dass bereits in digitaler Form verbreitete Programme nicht mehr analog verbreitet werden dürfen. Das Ermessen erstreckt sich folglich darauf nicht.
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Unter Bezugnahme auf die in § 19 RStV normierte Wahlfreiheit waren mehrere unterinstanzliche Klagen verschiedener Kabelnetzbetreiber gegen die ARD auf Entgeltzahlung für die Einspeisung von öffentlich-rechtlichen Programmen abgewiesen worden.[73] Der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks schreibt den Veranstaltern keine Signalweiterleitung speziell durch die Einspeisung in Kabelnetze vor, sondern weist ihnen im Gegenteil ein Auswahlermessen hinsichtlich der Übertragungswege zu.[74] Dies hat im Juni 2015 und im April 2016 auch der BGH entschieden.[75]
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Die in Deutschland geltenden Bestimmungen über die Belegung analoger und digitaler Kabelnetze beruhen auf der Richtlinie 2002/22/EG (Universaldienstrichtlinie (UDRL). Die Bestimmung des § 31 Abs. 2 UDRL sieht insoweit keine grundsätzliche Entgeltpflicht für Rundfunkveranstalter vor, sondern ermöglicht es den Mitgliedstaaten lediglich, unter bestimmten Voraussetzungen ein Entgelt zugunsten der übertragungspflichtigen Netzbetreiber festzulegen. Im Rahmen der nationalen Gesetze bzw. Staatsverträge besteht indes keine Vorschrift i.S.d. Art. 31 Abs. 2 UDRL, die ein angemessenes Entgelt als Äquivalent für die Übertragungspflicht der Netzbetreiber vorschreibt. Aus den unterschiedlichen landesrechtlichen Regelungen ergibt sich nur, dass die für das jeweilige Bundesland gesetzlich bestimmten Rundfunkprogramme vorrangig in die Kabelanlagen eingespeist werden müssen. Zwar erklärt etwa § 18 Abs. 10 LMG NRW im Hinblick auf Tarife und Entgelte die Vorschriften des RStV in der jeweils geltenden Fassung für entsprechend anwendbar.[76] Allerdings beschäftigt sich § 52d RStV lediglich mit der diskriminierungsfreien Ausgestaltung von zivilrechtlich vereinbarten Entgelten und Tarifen, ohne jedoch einen rundfunkrechtlichen Kontrahierungszwang zugunsten der Netzbetreiber zu statuieren.[77] Da ein Anspruch auf Zahlung eines Einspeiseentgelts somit weder aus dem Rundfunk- oder Telekommunikationsrecht, noch aus dem allgemeinen kartellrechtlichen Missbrauchsverbot abzuleiten ist, können die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter die Einspeiseleistung auf Grundlage der Must-carry-Pflicht[78] unentgeltlich in Anspruch nehmen.[79] Die den Kabelnetzbetreibern insoweit entstehenden Kosten können diese an ihre Endkunden weitergeben. Anders als bei Anbietern von Satelliten- und Terrestrikübertragung, welche lediglich eine technische Dienstleistung gegenüber den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten erbringen, nutzt ein Kabelbetreiber die öffentlich-rechtlichen Programme zugleich als Vorprodukte zu seinem Kabelangebot an die Endkunden.[80] Dies hat der BGH 2015[81] und erneut 2016[82] unter Zurückverweisung an die Vorinstanzen[83] bestätigt. Der klagenden Kabelnetzbetreiberin steht demnach gegenüber der beklagten Rundfunkanstalt kein Anspruch auf Fortsetzung des Einspeisevertrages bzw. auf Neuabschluss eines solchen Vertrages zu unveränderten Bedingungen zu. Eine solche Kontrahierungspflicht lasse sich weder den Regelungen des Rundfunkrechts noch Art. 14 GG und Art. 12 GG entnehmen. Aus der bestehenden Pflicht der beklagten Rundfunkanstalt, die Programmsignale zur Verfügung zu stellen und der Pflicht der klagenden Kabelnetzbetreiberin zur Einspeisung dieser Signale aus § 52b RStV folge nicht eine Verpflichtung der Beklagten zur Zahlung eines bestimmten Entgelts als Gegenleistung für die Einspeisung der Programmsignale. Auch ein Rückgriff auf kartellrechtliche Bestimmungen komme nicht in Betracht, da zwar von einer marktbeherrschenden Stellung der Beklagten auszugehen sei, nicht jedoch von einem missbräuchlichen Verhalten i.S.d. § 19 Abs. 2 GWB. [84] Der BGH hat die Sache 2015 zurückverwiesen weil eine ausreichende Feststellung dazu fehlte, ob die Beklagten zusammen mit den anderen beteiligten Rundfunkveranstaltern unter Verstoß gegen § 1 GWB die Beendigung dieses Vertrages vereinbart und die Kündigung Folge einer solchen Absprache war.[85]
2. Programmauftrag und Neue Medien
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Durch das Internet verlagert sich das Konkurrenzverhältnis über die Grenzen des dualen Rundfunksystems hinweg.[86] Es entsteht angesichts von Internet-Aktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zunehmend ein Nebeneinander von öffentlich-rechtlichen Online- Angeboten und solchen privater Anbieter, die nicht notwendig Rundfunkveranstalter sein müssen.[87] In diesem Zusammenhang wird die Auslegung des Programmauftrags durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und namentlich die Digitalisierungsstrategie der ARD[88] heftig kritisiert.[89] Strategisch geht es dabei um die Funktion und Position des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beim Übergang der dualen Rundfunk- in eine duale und digitale Medienordnung.[90]
2.1 Online-Aktivitäten
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Weil die Verbreitungswege für den Rundfunk durch das Nebeneinander der herkömmlichen Verbreitung und des Internets sich künftig zu einem Netz entwickeln werden, betreiben die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine Reihe von Aktivitäten im Online-Bereich. ARD, ZDF und Deutschlandradio hatten sich im Jahre 2004 im Rahmen einer Selbstbindungserklärung auf Grundlage von § 3 Abs. 3 S. 3 RFinStV (§ 3 Abs. 1 S. 4 RFinStV a.F.) dazu verpflichtet, ihre Ausgaben für das Online-Angebot auf 0,75 % ihres Gesamtaufwandes zu beschränken.[91] Eine Überprüfung der KEF für den nachfolgenden Bericht ergab indes Überschreitungen dieser Selbstbindung. Daraufhin erklärten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, dass sie ihre Selbstbindungserklärungen über das Jahr 2008 nicht erneuern werden. Sie waren ferner der Ansicht, dass eine Überschreitung der Selbstbindungserklärung nicht vorliege, da bestimmte Aufwandsbereiche bei der Überprüfung außen vor bleiben müssten.[92] Auch in jüngerer Zeit ist eine offensive Digitalisierungsstrategie der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zu beobachten.
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Das Dachportal ARD.de steht für ein Online-Angebot mit den Webseiten ARD.de/home, tagesschau.de, sportschau.de, boerse.ARD.de, ratgeber.ARD.de, wissen.ARD.de, kultur.ARD.de, kinder.ARD.de und intern.ARD.de, das durch eine gemeinsame Navigationsleiste verbunden ist. Die Kategorien Fernsehen und Hörfunk sind unter dasErste.de bzw. radio.ARD.de verfügbar, daneben gibt es die ARD-Mediathek. Das ARD Online-Angebot wird von Redaktionen mit abgegrenzten Themenbereichen betreut. Die Intendanten der ARD einigten sich bereits 2007 auf ein Strategiepapier („Digitalisierungsstrategie“)[93] für verschiedene digitale Vertriebswege.[94] Die Inhalte betrafen etwa HDTV, Handy-TV, Audio- und Videoportale sowie digitale Zusatzangebote im Hörfunk. Bei der Verbreitung von Inhalten über die neuen Verbreitungskanäle spielt die „Tagesschau“ eine besondere Rolle. 2010 begann der Einstieg in HDTV-Übertragungen.[95]
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Die Anstalten stellen in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Anforderungen gem. § 11d RStV im Internet Angebote zu Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zur Verfügung.[96] Die Gremien des öffentlich-rechtlichen Rundfunks überprüfen seit 2009 sämtliche Online-Angebote von ARD und ZDF auf ihre Übereinstimmung mit dem öffentlich-rechtlichen Auftrag. Die Regelung verlangt insbesondere vor dem Hintergrund der beitragsfinanzierten Konkurrenz für private Telemedien, dass nur Angebote mit publizistischem Mehrwert in das öffentlich-rechtliche Onlineangebot aufgenommen werden. Dazu ist das sog. Dreistufentestverfahren nach § 11 f Abs. 4 RStV zu durchlaufen. Das mit dem 12. RÄStV eingeführte Genehmigungsverfahren[97] stellt in drei Stufen fest, ob bestimmte Online-Angebote der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten von deren Auftrag erfasst sind. Andernfalls dürfen die Rundfunkanstalten ihre Inhalte in der Regel nicht länger als sieben Tage nach der Sendung zum Abruf bereithalten.
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