Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn
Im Gegensatz zur „heute-App“ ist die ebenfalls vom ZDF bereitgestellte „Mediathek-App“[130] aufgrund ihres hohen Anteils an Bewegtbildbeiträgen unter Verzicht auf längere Texte bei den Zeitungsverlegern durchweg auf positive Resonanz gestoßen.[131]
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Neben eigenen Angeboten haben sich ARD und ZDF auch bereits in gemeinsamen Online-Aktivitäten versucht. So hatten sie im April 2012 zusammen mit weiteren Produktions- und Rechtehandelsunternehmen die Video-On-Demand Online-Plattform „Germany‚s Gold“ gegründet. Hiergegen bestanden indes von Anfang an wettbewerbsrechtliche Bedenken des Bundeskartellamtes. Insbesondere die zu erwartende Absprache im Hinblick auf Preise und Auswahl der Videos bereiteten Probleme. Überdies war nach Auffassung des Bundeskartellamtes durch die Beitragsfinanzierung von ARD und ZDF eine erhebliche Wettbewerbsverfälschung auf dem Video-On-Demand-Markt zu befürchten. Nachdem das Bundeskartellamt – bestätigt durch das OLG Düsseldorf[132] – bereits im März 2011 ein vergleichbares Vorhaben der privaten Rundfunkveranstalter RTL und ProSiebenSat1 aufgrund der drohenden Verstärkung des marktbeherrschenden Duopols beider Sendergruppen untersagt hatte,[133] war dies auch für die entsprechende öffentlich-rechtliche Plattform zu erwarten. Daher haben ARD und ZDF die Fortführung des gemeinsamen Projekts nun aufgegeben.
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Mehr und mehr sollen eigens für das Internet produzierte Inhalte verbreitet werden. Es handelt sich dabei etwa um Informations- und Ratgeberangebote für jüngere Internet-Nutzer, auf die im laufenden Programm hingewiesen wird. Hiermit soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass klassische Rundfunkprogramme an Akzeptanz verlieren, während die des Internet spiegelbildlich wächst.[134] Der Blick auf die Netzauftritte der Rundfunkanstalten zeigt dementsprechend ein facettenreiches Bild. Neben Informationen über den zeitlichen Ablauf der Fernseh- und Hörfunkprogramme und die Organisations- und Personalstruktur der Rundfunkanstalten finden sich zahlreiche ergänzende und vertiefende Hintergrundinformationen zu bereits gesendeten Beiträgen sowie Live-Streamings und Podcasts von Beiträgen. Allerdings geht das Angebot auch über programmbegleitendes und -wiederholendes hinaus. Das ZDF bietet unter „heute-Nachrichten“ eine Reihe redaktionell gestalteter Beiträge an, die im Hauptprogramm nicht gesendet werden und von Online-Redakteuren erstellt werden. Es wird die Möglichkeit zum „Chat“ mit Prominenten oder zu „Onlinespielen“ geboten.[135] Ebenfalls in Planung ist die sog. „ZDF-ProgrammApp“, in der neben dem Liveprogramm zahlreiche Mitmachmöglichkeiten im Rahmen herkömmlicher Formate wie Unterhaltungsshows oder „ZDF-Sportstudio“ angeboten werden sollen.[136] Über „Shops“, etwa bei der ARD den WDR-Shop[137] oder den SWR-Shop,[138] wird eine breite Produktpalette vertrieben.[139] Neben Waren, bei denen ein Programmbezug erkennbar ist (z.B. Merchandising-Artikel zur Sendung mit der Maus), finden sich auch solche – etwa Tonträger oder Bücher – deren Bezug zur öffentlich-rechtlichen Sendetätigkeit nicht ersichtlich ist. Diese „Shops“ werden zwar – wie sich aus dem Impressum der jeweiligen Seite entnehmen lässt – nicht unmittelbar von den Anstalten betrieben.[140] Sie sind aber von den Seiten der Anstalten verlinkt und werden von den Rezipienten bei nicht näherem Hinsehen als Angebot der Sender wahrgenommen. Bisweilen wurde der Programmbezug umgekehrt, indem im Fernsehen für ein Internetformat geworben wurde.[141]
2.2 Programmauftrag für Onlinedienste
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Es zeigt sich also, dass es sich bei den Online-Aktivitäten der Rundfunkanstalten nicht um die Nutzung des Internet als weiteren Verbreitungsweg für das klassische Hörfunk- und Fernsehangebot (IP-TV, Webcasting) im Rahmen von § 19 RStV handelt, sondern vielmehr um eine verstärkte und in vielen Fällen beitragsfinanzierte Nutzung des Internet, die jedoch in den Grenzen von § 11d RStV grundsätzlich vom Auftrag der Sender gedeckt ist. Dabei werden teilweise vom Rundfunk gelöste Angebote unter Nutzung der besonderen Möglichkeiten des Internet verbreitet.[142] Es stellt sich hier die Frage nach der rechtlichen Zulässigkeit dieser Aktivitäten im Hinblick auf eine beitragsfinanzierte Benachteiligung von Privatunternehmen innerhalb und außerhalb des Dualen Systems.[143]
2.2.1 Europarechtliche Einordnung
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Im Rahmen der Überprüfung der vormaligen Gebührenfinanzierung (seit 1.1.2013 Beitragsfinanzierung) des öffentlich-rechtlichen Rundfunks anhand der wettbewerbs- und beihilferechtlichen Bestimmungen des EG-Vertrags (heute Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union – AEUV) haben die Europäische Kommission und die Bundesregierung im April 2007 eine Einigung erzielt. Private Wettbewerber hatten insbesondere die Aktivitäten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in den neuen Medien beklagt. Das Verfahren wurde unter verschiedenen Auflagen eingestellt.[144] Ob in der Aussage der Kommission eine Absicherung digitaler Handlungsspielräume in der digitalen Welt gesehen werden kann und Online-Angebote sowie digitale Fernsehprogramme für die Kommission nun zum Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählen, ist indes nicht sicher. Die Aussage der Kommission geht lediglich dahin, dass Online-Angebote der Rundfunkanstalten beihilferechtlich zulässig ausgestaltet werden können. Um die Vereinbarkeit der damaligen Gebührenfinanzierung des deutschen öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit dem europäischen Wettbewerbsrecht sicherzustellen, hatte die Bundesrepublik Deutschland zugesagt, nationale Regelungen zu installieren. Mit dem 12. RÄStV wurden in den §§ 11d–11f RStV spezielle Vorschriften für den Telemedienauftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eingeführt. Nach § 11d RStV dürfen die in der ARD zusammengeschlossen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio bestimmte Telemedien schon kraft Gesetzes anbieten.[145] Die Zulässigkeit anderer Angebote ist gem. § 11f RStV durch eine Prüfung anhand des Drei-Stufen-Tests[146] als besonderes Genehmigungsverfahren für neue oder grundlegend veränderte Telemedienangebote des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sicherzustellen.
2.2.2 Verfassungsrechtliche Einordnung
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Unabhängig von der generellen verfassungsrechtlichen Einordnung der telemedialen Abrufdienste als Rundfunk[147] stellt sich die Frage, bis zu welcher Grenze Aktivitäten in diesem Bereich den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten offen stehen. Für das BVerfG dient der Rundfunk einer umfassenden, freien und individuellen öffentlichen Meinungsbildung. Dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommt hier die Funktion des Grundversorgers zu. Dieser Grundversorgungsauftrag korreliert mit einer Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Teilweise wird das umfassende Online-Engagement des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf diese Entwicklungsgarantie gestützt. Sicherung von Vielfalt und kommunikativer Chancengerechtigkeit im Online-Bereich setze die Gestattung eines multimedialen Angebots, über die Programmbegleitung hinaus, voraus. Dürfe der öffentlich-rechtliche Rundfunk nicht in diesem umfassenden Sinne an neuen, medienübergreifenden Entwicklungen teilhaben, bestehe die Gefahr, dass die Rezipienten anderenfalls das Interesse auch an den klassischen Angeboten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verlören, so dass eine diesbezügliche Restriktion mit einer Annexfunktion der Online-Dienste zu verfassungsrechtlichen Bedenken führe.[148] Ob dieser Ansatz aber im Hinblick auf den für das BVerfG zentralen Gedanken der Vielfaltssicherung übertragbar ist, muss bezweifelt werden.
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Die Ausgestaltung der Rundfunkordnung zur Sicherung der Meinungsvielfalt ist nach Ansicht des BVerfG Aufgabe des Gesetzgebers. Diese Vielfaltsicherung ist „nicht durch den Wegfall der durch die Knappheit von Sendefrequenzen bedingten Sondersituation entbehrlich geworden (…). Dies hat sich im Grundsatz durch die technologischen Neuerungen der letzten Jahre und die dadurch ermöglichte Vermehrung der Übertragungskapazitäten sowie die Entwicklung der Medienmärkte nicht geändert.“[149] Anlass der gesetzlichen Ausgestaltungspflicht der Rundfunkordnung ist zum einen die hohe Suggestivkraft des Fernsehens.[150] Zum anderen erkennt das BVerfG die durch die Werbefinanzierung bedingte Erhöhung von Vielfaltsdefiziten.[151] Schließlich werden im Konzentrationsdruck und im Eingreifen vertikal