Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht. Anne Hahn

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erstreckt sich neben dem Internetzugang mittels Desktopgeräten vor allem auf mobile Endgeräte. In den Fokus geraten ist dabei die kostenlose „Tagesschau-App“[98], eine Applikation für die verschiedenen Betriebssysteme von Smartphones und Tablet-PCs, welche seit Dezember 2010 als zusätzliches Angebot bereitgestellt wird und seither über 10 Millionen mal heruntergeladen wurde.[99]. Dabei werden die Inhalte des Internet-Portals „tagesschau.de“ in Form einer Applikation auf die mobilen Endgeräte übertragen, um eine schnellere Abrufbarkeit des Angebots und eine Anpassung an die kleineren Formate der Smartphones zu gewährleisten. Während der NDR-Rundfunkrat[100] die wichtigste Informationsmarke der ARD auch auf mobilen Plattformen vertreten wissen will, ist die kostenlose App von Verbänden und Verlegern scharf kritisiert worden, weil sie die Geschäftsmodelle der ebenfalls auf diesem Markt aktiven Verlagshäuser bedrohe.[101] Mehrere Zeitungsverlage, deren redaktionelles Angebot auch elektronisch, teilweise über Apps, abrufbar ist, haben daher im Juni 2011 die ARD sowie den für die Produktion zuständigen NDR auf Unterlassung hinsichtlich der Verbreitung der „Tagesschau-App“ verklagt. Nachdem zunächst ein generelles Verbreitungsverbot begehrt worden war, mussten die Verleger aus prozessualen Gründen eine Konkretisierung ihres Unterlassungsantrags auf einen konkreten Tag vornehmen. Damit hatte das LG Köln als erstes Gericht ein Urteil auf Basis des in §§ 11d ff. RStV normierten Online-Auftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu fällen.[102] Im September 2012 gab es der Klage insoweit statt, als die Verbreitung der „Tagesschau-App“ in Form des auf einen bestimmten Tag (15.6.2011) bezogenen Angebots zu unterlassen sei. Zwar sei die streitgegenständliche App als Telemedium anzusehen, welches den Drei-Stufen-Test nach § 11f RStV durchlaufen habe und genehmigt worden sei. Dies ergebe sich aus der Einheitlichkeit der Angebote „tagesschau.de“ und „Tagesschau-App“, die sich lediglich im Rahmen ihrer technischen Aufbereitung unterschieden und daher keiner getrennten Prüfung und Genehmigung bedürften.[103] Allerdings sei die „Tagesschau-App“ in ihrer konkreten zur Überprüfung gestellten Form v. 15.6.2011 ein unzulässiges nichtsendebezogenes presseähnliches Angebot i.S.v. § 11d Abs. 2 Nr. 3 letzter HS RStV[104], welcher eine Marktverhaltensregel gem. § 4 Nr. 11 UWG darstelle.[105] Als presseähnlich könne ein Angebot dann bezeichnet werden, wenn es aus Nutzersicht geeignet sei, als „Ersatz“ für die Lektüre von Presse i.S.d. herkömmlichen Printmedien (Zeitungen oder Zeitschriften) zu dienen, wobei insoweit nicht auf einzelne Beiträge, sondern vielmehr auf das Gesamtangebot abgestellt werden müsse.[106] Presseähnlichkeit sei daher bei einer optischen Dominanz zeitungsähnlicher Textbeiträge ohne ausgewiesenen oder erkennbaren Sendebezug anzunehmen.[107] Weiterführende Verknüpfungen zu audiovisuellen Medien am Ende der Textbeiträge seien insoweit irrelevant, da der Nutzer primär die Informationen wahrnehme, die ihm unmittelbar zugänglich seien.[108] Während die Bedeutung des Urteils in Rundfunk und Presse durchaus unterschiedlich und teils konträr bewertet worden ist,[109] betonte das LG Köln selbst die begrenzte Reichweite seiner Entscheidung, welche die aus der Presseähnlichkeit resultierende Unzulässigkeit der „Tagesschau-App“ ausschließlich für den streitgegenständlichen Tag im Juni 2011 festlege.[110] Dass der vielschichtige Problemkreis rund um das telemediale Betätigungsfeld der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ohnedies noch lange nicht abschließend gelöst ist, zeigt schon die durchwachsene Resonanz auf das Urteil in Wissenschaft und Praxis. Keine Einwände bestehen – jedenfalls im Ergebnis – gegen die Annahme, die „Tagesschau-App“ sei von der rechtsaufsichtlichen Bestätigung des Telemedienkonzepts zu dem Angebot „tagesschau.de“ umfasst.[111] Zwar könnte es sich aufgrund der mit Kosten verbundenen, erforderlichen technischen Veränderung um ein neues oder jedenfalls verändertes Angebot handeln, das einem eigenen Drei-Stufen-Test-Verfahren unterzogen werden müsste. Sofern man – mit den Klägerinnen – ebenfalls von inhaltlichen Änderungen ausgeht,[112] könnte auch I. a) Nr. 4 des ARD-Genehmigungsverfahrens für ein neues oder verändertes Angebot sprechen. Auch würde es sich dann nicht um ein technikneutrales Online-Angebot i.S.v. I. b) Nr. 3 des ARD-Genehmigungsverfahrens handeln, da die betroffenen Inhalte – sofern man im Rahmen der App eine inhaltliche Veränderung annimmt – nicht lediglich auf einem neuen Verbreitungsweg angeboten würden. Für die Einheitlichkeit von „tagesschau.de“ und „Tagesschau-App“ und der damit verbundenen Erstreckung der einmal erteilten Genehmigung auf beide Angebote spricht jedoch die Tatsache, dass bereits im Rahmen des Telemedienkonzepts zu „tagesschau.de“ die Nutzung von Applikationen zur leichteren Zugänglichmachung telemedialer Inhalte auf diversen Endgeräten Erwähnung findet.[113] Kritisiert wurde das Urteil des LG Köln insbesondere im Hinblick auf die Einordnung der „Tagesschau-App“ in die wettbewerbsrechtlich geprägte Kategorie „presseersetzend“, welche der in § 2 Abs. 2 Nr. 20 RStV definierten Presseähnlichkeit als Bestandteil des öffentlichen Medienrechts nicht gerecht werde.[114] Weiterer zentraler Kritikpunkt war die „zweifelsfreie“ Annahme des LG Köln, dass § 11d Abs. 2 Nr. 3 letzter HS RStV eine Marktverhaltensregel und kein Marktzutrittsverbot darstelle, welches vor den ordentlichen Gerichten nicht hätte beanstandet werden können.[115] Einer gesonderten Klärung bedarf die vorgelagerte grundsätzliche Frage, ob digitale Medienangebote wie die „Tagesschau-App“ den Einsatz nicht unerheblicher Rundfunkbeiträge rechtfertigen können. Dies ist nur dann der Fall, wenn das jeweilige Angebot vom öffentlich-rechtlichen Rundfunkauftrag umfasst ist. Bejaht man dies für die „Tagesschau-App“ und vergleichbare Angebote, besteht indes eine nicht zu unterschätzende Verdrängungsgefahr im Hinblick auf die Presse, welche ihre Print- und Internetangebote aus Zeitungsverkäufen und Werbeeinnahmen finanzieren muss.[116]

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