Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren. Steffen Stern
mehrfach solche Strafrahmenverschiebungen im Heimtücke-Bereich bestätigt, sofern die Tat den Stempel des Außergewöhnlichen trug[13], so etwa beim Heimtückemord durch die Ehefrau, die vom Ehemann schwer misshandelt worden war und die sich in einer ausweglos erscheinenden Situation befand[14] sowie beim Heimtückemord am gewalttätigen und körperlich überlegenen Erpresser[15].
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Hingegen hat der BGH bei einem Habgiermord eine Strafrahmenverschiebung abgelehnt[16]. Ob bei dem täterbezogenen Mordmerkmal der „niedrigen Beweggründe“ überhaupt eine Strafrahmenverschiebung in Betracht kommen kann, hat der BGH im Fall eines NS-Täters offen gelassen, bei dem sich die „Außergewöhnlichkeit“ des Sachverhalts aus der Zeitspanne von 60 Jahren ergeben hat, die zwischen den Mordtaten und deren Aburteilung verstrichen war. Jedenfalls für NS-Morde hat der BGH eine Absenkung des Strafrahmens ausgeschlossen[17].
Teil 3 Grundzüge des materiellen Kapitalstrafrechts › A › IV. Urteil und Vollstreckungsdauer
1. Zusammentreffen mehrerer lebenslanger Freiheitsstrafen
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Beim Zusammentreffen mehrerer lebenslanger Freiheitsstrafen wird gem. § 54 Abs. 1 S. 1 StGB auf nur eine lebenslange Strafe als Gesamtstrafe erkannt. Das Gleiche gilt, wenn „Lebenslang“ als Einzelstrafe neben einer gesamtstrafenfähigen Zeitstrafe verwirkt ist.
2. LL und rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung
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Rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen rechtfertigen es in aller Regel nicht, von der Verhängung einer lebenslangen zugunsten einer zeitigen Freiheitsstrafe abzusehen[18].
3. Besondere Schuldschwere, § 57a StGB
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Die Bestimmung des § 57a StGB ist eine Eigentümlichkeit des Kapitalstrafrechts. Sie ist im Zuge des 20. StrÄndG[19] am 01.05.1982 in Kraft getreten[20]. Sie ermöglicht – bei günstiger Sozialprognose und Einwilligung des Verurteilten – die Aussetzung des Strafrestes bei lebenslanger Freiheitsstrafe frühestens nach einer Mindestverbüßungszeit von 15 Jahren (§ 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StGB). Der Gesetzgeber hat zwar im Grundsatz an der lebenslangen Freiheitsstrafe festgehalten, hat zugleich aber eine Regelung geschaffen, mit der ein konkreter Zeitpunkt für eine mögliche Aussetzung des Strafrestes unter Berücksichtigung des Unrechts- und Schuldgehalts der zugrunde liegenden Taten festgelegt wird. Eine nach 15 Jahren eingreifende „Entlassungsautomatik“ selbst bei günstiger Kriminalprognose sollte dadurch vermieden werden[21]. Mit einer Gesetzesinitiative des Freistaates Bayern war sogar die Anhebung der Mindestvollstreckungszeit bei der lebenslangen Freiheitsstrafe auf 20 Jahre angestrebt. Sie ist im Plenum gescheitert[22]. Gem. § 57a Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB kommt eine Aussetzung des Strafrestes einer lebenslangen Freiheitsstrafe nur dann in Betracht, wenn nicht die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet.
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Die Strafaussetzung ist zu versagen, wenn (und solange) die besondere Schwere der Schuld des Verurteilten die weitere Vollstreckung gebietet, wenn auch nicht zeitlebens. Ist die durch die besondere Schwere der Schuld bedingte Zeit verbüßt, kommt die Aussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe nur in Betracht, wenn dies unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit verantwortet werden kann (§ 57a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 i.V.m. § 57 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB). Bei der Entscheidung sind die in § 57 Abs. 1 S. 2 StGB angeführten Umstände zu berücksichtigen (§ 57a Abs. 1 S. 2 StGB)[23]. Die Bewährungszeit ist dann verbindlich vorgeschrieben und beträgt 5 Jahre. In der Regel wird der Betreffende zugleich der Bewährungshilfe unterstellt.
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Das BVerfG hatte in seinem richtungweisenden Urteil zur Lebenszeitstrafe vom 21.06.1977[24] das Gebot menschenwürdigen Strafvollzuges und die im Rechtsstaatsprinzip wurzelnde Verpflichtung hervorgehoben, dem lebenslänglich Verurteilten die Chance auf Rückkehr in die Freiheit zu erhalten. Die Verfassungshüter erlegten dem Gesetzgeber auf, die Voraussetzungen einer Vollstreckungsaussetzung der lebenslangen Freiheitsstrafe sowie das insoweit anzuwendende Verfahren zu normieren. Bis dahin war der Verurteilte auf den Gnadenweg beschränkt, der unabhängig von der Aussetzungsmöglichkeit gem. §§ 57, 57a StGB nach wie vor beschritten werden kann. Bei gnadenweiser Aussetzung wurde früher üblicherweise die lebenslange Haftstrafe – unter Aussetzung des Strafrestes – in eine zeitige Freiheitsstrafe umgewandelt[25]. § 57a StGB kennt diese Umwandlungslösung nicht. Ausgesetzt wird vielmehr der gesamte, nur durch das Lebensende begrenzte Strafrest[26].
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Nicht nur an Stammtischen wird seitdem der Irrglaube kolportiert, „Lebenslängliche“ kämen in Deutschland praktisch automatisch nach 15 Jahren frei[27]. Wahr ist hingegen, dass, obwohl über die tatsächliche Verbüßungsdauer bei lebenslanger Freiheitsstrafe keine offizielle Statistik existiert[28], zuverlässigen Quellen zufolge Lebenslängliche in Deutschland im statistischen Durchschnitt erst nach rund 20 Jahren (bedingt) entlassen werden[29] und damit einen unrühmlichen europäischen Spitzenrang einnehmen. Es sind in Einzelfällen drakonische Mindestverbüßungszeiten von 25, 30 oder 40 bis hin zu 50 Jahren festgelegt worden. Bemerkenswerterweise hat die damalige Gesetzesnovellierung im Vergleich zur Gnadenpraxis zu einer Verlängerung der Verbüßungsdauer geführt[30]. Dem BVerfG lagen jedenfalls schon Verfassungsbeschwerden mit Vollstreckungszeiten von mehr als 30[31] oder sogar 35[32] Jahren vor. Das OLG Hamm hatte über eine Zeitspanne von 40 Jahren für einen NS-Mörder zu entscheiden[33]. Einer Studie des KrimZ[34] zufolge hatte ein Lebenslänglicher beinahe 50 Jahre im Strafvollzug verbracht, als er 2008 im Alter von 71 Jahren verstarb. Ein weiterer verstarb im Alter von 87 Jahren nach einer Vollzugsdauer von 48 Jahren.
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Von 91 Strafgefangenen, deren lebenslange Freiheitsstrafe im Jahr 2008 beendet wurde, wurden 63 nach Aussetzung des Strafrestes gem. § 57a StGB bedingt in Freiheit entlassen. Dies entsprach einem Anteil von 3,2 % der am Stichtag 31. März 2008 einsitzenden Gefangenen mit lebenslanger Strafe. Weitere 16 ehemalige Gefangene wurden aus Deutschland ausgewiesen oder sonst ausländischen Behörden überstellt, zehn verstarben im Vollzug, darunter begingen zwei Suizid. Die Hälfte der 2008 aus dem Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe Entlassenen hatte mehr als 16 Jahre verbüßt. Durchschnittlich waren diese Gefangenen 18 Jahre im Justizvollzug. Bei den Entlassenen handelte es sich weit überwiegend um Männer im Lebensalter von durchschnittlich 49 Jahren, die wegen Tötungsdelikten verurteilt worden waren; sie besaßen fast alle die deutsche Staatsangehörigkeit. Die genannten Unterbringungszeiten betreffen allerdings nur die damals tatsächlich Entlassenen. Für weiterhin inhaftierte, zu lebenslanger Freiheitsstrafe Verurteilte, gab es keine statistischen Angaben über deren bisherige Verbüßungsdauer[35].
4. Feststellungspflicht zur Schuldschwere im Erkenntnisverfahren
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Die Feststellung der „besonderen Schwere der Schuld“ nach § 57a Abs. 1 Nr. 2 StGB hat der Grundsatzentscheidung des BVerfG v. 03.06.1992 zufolge bereits das erkennende Gericht[36] im Urteilsspruch zu treffen, und zwar, so der BGH in seiner richtungweisenden Entscheidung vom 21.01.1993[37], sowohl im Urteilstenor als auch in den Gründen. Das gilt nicht nur bei vollendetem Mord, sondern immer dann, wenn lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wird, gleichgültig