Verteidigung in Mord- und Totschlagsverfahren. Steffen Stern
verstorben sein soll.
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Um die Überzeugung von der Ursächlichkeit der Tathandlung für den Erfolg zu gewinnen, sei eine mathematische, jede Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ausschließende, von niemandem mehr anzweifelbare Gewissheit nicht erforderlich und die bloße gedankliche, abstrakt theoretische Möglichkeit, dass der Tathergang auch anders gewesen sein könnte, dürfe die Verurteilung nicht hindern[18].
Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › III. Kausalität bei mehraktigem Vorgehen
III. Kausalität bei mehraktigem Vorgehen
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Hat der Täter das Opfer vor dem Todeseintritt an mehreren Tagen (mit womöglich unterschiedlicher Zielrichtung) misshandelt, bedarf die Kausalitätsfrage u.U. einer besonders sorgfältigen Betrachtung; widersprüchliche, miteinander unvereinbare Feststellungen zum Zeitpunkt, zur Entstehung und zur Todesursächlichkeit einzelner Verletzungen gefährden den Bestand des Urteils[19]. Stirbt das Opfer an den Folgen zweier Schüsse, von denen ein jeder auch allein zum Tod geführt hätte, so sind beide Schüsse ursächlich für den Erfolg (sog. alternative Kausalität). Wurde dabei nur der erste Schuss mit Tötungsvorsatz abgegeben, so tritt die im zweiten Schuss liegende fahrlässige Tötung gegenüber der vorsätzlichen Tötung als subsidiär zurück[20].
Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › IV. Unaufklärbarkeit bei Mittätern und Zweifelssatz
IV. Unaufklärbarkeit bei Mittätern und Zweifelssatz
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Wird das Opfer im Verlauf einer turbulenten Schlägerei von einem Beteiligten erstochen, und bleibt ungeklärt, wer das Messer (exzessiv) geführt hat und ob der jeweils Unbewaffnete billigende Kenntnis von dem Messereinsatz des anderen hatte, scheidet nach dem Zweifelssatz eine Verurteilung wegen (gemeinschaftlichen) Totschlags aus[21].
Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › V. Ursachenzusammenhang bei Hinzutreten Dritter
V. Ursachenzusammenhang bei Hinzutreten Dritter
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Ursächlich im strafrechtlichen Sinne (Kumulative Kausalität) bleibt das Täterhandeln selbst dann, wenn ein später handelnder Dritter durch ein auf den selben Erfolg gerichtetes Tun vorsätzlich zu dessen Herbeiführung beiträgt, sofern er nur dabei an das Handeln des Täters anknüpft, dieses also die Bedingung seines eigenen Eingreifens ist[22]. Umgekehrt können auch Verletzungshandlungen durch einen hinzutretenden Dritten, die einem vorausgegangenen todbringenden Gewaltangriff nachfolgen, für den Todeserfolg in seiner konkreten Gestalt unmittelbar ursächlich sein, wenn sie den Sterbevorgang beschleunigt haben[23].
Teil 2 Der Tod und seine strafrechtliche Zurechnung › B › VI. Todesverursachung durch Unterlassen
VI. Todesverursachung durch Unterlassen
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Bei einem Tötungsdelikt durch Unterlassen muss zum Nachweis der Kausalität feststehen, dass der Tod des Opfers, so wie er konkret eingetreten ist, bei pflichtgemäßem Eingreifen „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ verhindert worden wäre. Spricht hierfür nur eine bloße Wahrscheinlichkeit (Vermutung), kommt allenfalls noch ein versuchtes Tötungsdelikt in Betracht[24]. Lässt sich dies nicht feststellen, liegt keine vollendete Tat vor; möglich bleibt lediglich die Verurteilung wegen Versuchs. Maßgebend für die Einschätzung der Rettungschancen, die der Täter auch erkannt haben muss, ist der Zeitpunkt des Tötungsentschlusses[25]. Auch beim Vorwurf des Unterlassens liegt der erforderliche Ursachenzusammenhang vor, wenn der Tod (vielleicht nur um Stunden) früher als im Falle eines pflichtgemäßen Einschreitens eingetreten ist[26].
Anmerkungen
BGH Urt. v. 30.08.2000 –2 StR 204/00, NStZ 2001, 29; grundlegend Urt. v. 30.03.1993 – 5 StR 720/92, BGHSt 39, 195 = NStZ 1993, 386 = StV 1993, 470.
BGH Urt. v. 06.11.2002 – 5 StR 281/01, BGHSt 48, 77 = NStZ 2003, 141 mwN.
BGH Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29.
BGH Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29.
BGH Beschl. v. 20.09.2011 – 1 StR 326/11.
So schon BGH Beschl. v. 24.06.1982 – 4 StR 183/82, NStZ 1982, 478 mwN.
BGH Beschl. v. 06.07.2010 – 3 StR 224/10, NStZ 2010, 699; Urt. v. 10.06.2009 – 2 StR 103/09, NStZ-RR 2009, 309; Beschl. v. 20.05.2008 – 5 StR 15/08, NStZ-RR 2008, 352; Urt. v. 12.06.2001 – 5 StR 432/00, NStZ 2002, 253.
BGH Urt. v. 15.11.1996 – 3 StR 79/96, BGHSt 42, 301= NStZ 1997, 182.
BGH Beschl. v. 21.07.2010 – 5 StR 246/10, NStZ-RR 2010, 309 = StraFo 2010, 385.
BGH Urt. v. 12.11.1997 – 3 StR 325/97, NStZ-RR 1998, 102.
BGH, aaO., unter Hinweis auf BGH Urt. v. 26.02.1997 – 3 StR 569/96, NStZ 1997, 341; BGH Urt. v. 24.01.1995 – 1 StR 707/94, NStZ 1995, 287 = BGHR StGB § 226 Todesfolge 9 – „Medizinische Rarität“.
Unter Verweis auf BGH Urt. v. 12.11.1997 – 3 StR 325/97, NStZ-RR 1998, 102.
Vgl. BGH Urt. v. 30.08.2000 – 2 StR 204/00, NStZ 2001, 29 [30 f]; Beschl. v. 02.10.1985 – 3 StR 376/85, StV 1986, 200.