Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
BGH ist der Arzt nicht verpflichtet, komplizierte technische Geräte vor jedem Einsatz persönlich zu überprüfen und ihre Anwendung laufend zu überwachen[300]. Wörtlich heißt es in der Entscheidung vom 24.6.1975.[301]
„Die Verwendung nichtärztlicher Hilfspersonen ist […] aus dem heutigen Klinikwesen nicht wegzudenken. Es ist auch unvermeidlich, dass diesen Hilfspersonen im Einzelfall ein hohes Maß an Verantwortung zufällt – so im gesamten Bereich der Aseptik, bei hochentwickelten technischen Geräten, deren Funktion verlässlich oft nur von einem Techniker zu kontrollieren ist, oder bei der Bereitstellung von Medikamenten und anderen Chemikalien. In all diesen Bereichen ist dem Arzt ein persönliches Tätigwerden im Einzelfall teils aus Gründen der wirtschaftlichen Arbeitsteilung nicht zumutbar, teils auch wegen der Grenzen seiner fachlichen Kenntnisse gar nicht möglich.
Damit kann sich eine Pflicht des Arztes, solche Tätigkeiten im Einzelfall persönlich auszuüben, nicht schon aus der Schwere der Gefahren ergeben, die eine unsachgemäße Ausführung mit sich bringen kann. Ein persönliches Eingreifen des Arztes ist vielmehr grundsätzlich nur zu fordern, wo die betreffende Tätigkeit gerade beim Arzt eigene Kenntnisse und Kunstfertigkeiten voraussetzt. Dass dies hier der Fall gewesen wäre, ist nicht zu erkennen. Denn es handelte sich darum, die rein mechanische Funktionsfähigkeit eines verhältnismäßig einfachen Gerätes zu prüfen […] Deshalb spricht derzeit alles dafür, dass sich die Sorgfaltspflicht des verantwortlichen Arztes darin erschöpfte, die fachliche und charakterliche Zuverlässigkeit der mit der Prüfung betrauten Hilfskraft zu überwachen […].“
(d) Zulässigkeit der Delegation von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen auf Krankenpflegekräfte
302
Die Bundesärztekammer, die Arbeitsgemeinschaft der Deutschen Schwesternverbände und die Deutsche Krankenhausgesellschaft haben zur Frage der Zulässigkeit der Delegation von Injektionen, Infusionen und Blutentnahmen auf Krankenschwestern, Krankenpfleger und Kinderkrankenschwestern bereits seinerzeit übereinstimmende Stellungnahmen abgegeben, aus denen sich die Abgrenzung der Aufgaben und Verantwortungsbereiche klar ergibt.[302] Danach sind zwar Diagnose und Therapie dem Arzt vorbehalten, doch darf „den Krankenpflegepersonen die Durchführung diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen“ übertragen werden, soweit diese wegen ihrer technischen Schwierigkeit oder ihres hohen Risikos „nicht spezifisch ärztliche Kenntnisse und Erfahrungen“ erfordern. So gibt es z.B. Medikamente, die nur der Arzt injizieren darf, und Patienten, deren Allgemeinzustand eine Aufgabenübertragung auf Pflegekräfte ausschließt.
„Die rechtliche Verantwortung für die Anordnung der Injektion, Infusion oder Blutentnahme und für ihre Übertragung auf das Krankenpflegepersonal trägt der Arzt […] Die Verantwortung für die Durchführung liegt primär bei der Pflegeperson, der sie übertragen ist.“[303]
(e) Richtlinien bezüglich der Vornahme intravenöser und intramuskulärer Injektionen
303
Die weitere Frage, welche Injektionen ärztlichem Hilfspersonal übertragen werden dürfen, ist noch nicht abschließend für sämtliche Fallkonstellationen entschieden, doch ergeben sich aus den bisher vorliegenden Urteilen folgende Maßgaben:
304-
310
1. | Approbierten, also voll ausgebildeten und geprüften Pflegekräften dürfen intramuskuläre Injektionen überlassen werden, wenn der Leitende Arzt sich von ihrer Qualifikation überzeugt hat und außerdem „für die Überwachung und Beaufsichtigung durch die vorhandenen Ärzte“ gesorgt ist[304]. Entscheidend ist stets das individuelle Wissen und Können der Pflegekraft, ihre Erfahrung im Einzelfall. |
2. | Dies gilt auch für intravenöse Injektionen sowie Infusionen und Blutentnahmen aus der Vene. „Die intravenöse Injektion stellt eine rein ärztliche Tätigkeit dar, die in der Praxis nur in Ausnahmefällen an erfahrenes und nach spezieller ärztlicher Anleitung mit Injektionen vertrautes Assistenzpersonal übertragen werden darf, sofern wegen der Art der Erkrankung und der Lokalisierung der Spritze keine besonderen Komplikationen drohen“[305]. |
3. | Die Übertragung von Injektionen auf ausgebildete Krankenpflegehelfer oder -helferinnen mit mehrjähriger Lehrzeit hat der Bundesgerichtshof nicht schlechthin für inakzeptabel und damit sorgfaltswidrig erklärt, doch spricht seiner Ansicht nach „vieles dafür…, weil die fehlerhafte Ausführung von Injektionen zu typischen schwerwiegenden Schäden“ – gemeint sind Lähmungen sowie Spritzenabszesse – „führen kann“[306]. |
4. | Daher wird die Delegation intravenöser Injektionen auf „Assistenzpersonal unterhalb der Schwelle ausgebildeter“ Krankenpflegehelfer und -helferinnen allgemein für „völlig unvertretbar“ gehalten[307]. Keine Pflichtwidrigkeit liegt dagegen vor, wenn Krankenpflegeschüler und -schülerinnen „zum Zwecke der Ausbildung unter unmittelbarer Aufsicht und Anleitung des Arztes oder einer entsprechend qualifizierten Krankenpflegeperson subcutane und intramuskuläre Injektionen vornehmen“. |
5. | Medizinstudenten, auch nicht sog. Famuli kurz vor dem Examen, dürfen mangels ausreichender Erfahrung und Ausbildung keine intramuskulären oder intravenösen Injektionen übertragen werden[308]. Wenn also ein Medizinstudent im 2. vorklinischen Semester als Aushilfspfleger während des Nachtdienstes eingesetzt wird und dabei nach einem nachmittäglichen Probetraining mit einer Apfelsine (!) seine erste intramuskuläre Injektion überhaupt vornimmt, die unglücklicherweise zu einem Spritzenabszess bei dem Patienten führt, so ist dem für die Diensteinteilung und Überwachung verantwortlichen Arzt ein Delegationsfehler vorzuwerfen. |
6. | Die Staatsanwaltschaft Heidelberg führte ein Ermittlungsverfahren unter anderem gegen eine Studentin im Praktischen Jahr wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung.[309] |
Ein Patient litt unter einer akuten lymphoblastischen Leukämie (c-ALL). Die behandelnden Ärzte hatten ein Chemotherapieschema angeordnet, was bedeutete, dass dem Patienten Medikamente intravenös, oral und intrathekal verabreicht werden sollten. Im Behandlungsverlauf war für den Patienten an einem Tag sowohl eine intrathekale als auch eine intravenöse Medikation vorgesehen, wobei beide Lösungen in 10 ml-Spritzen enthalten waren. Die intrathekale Injektion sollte die PJ‚lerin unter Aufsicht und Anleitung des Stationsarztes Dr. X durchführen. Dieser traf am Patienten bereits vorbereitende Maßnahmen zur Punktion. Als die PJ‚lerin kurze Zeit später hinzutrat, war der Patient bereits sitzend gelagert, die Punktionsstelle von Herrn Dr. X markiert und beide tasteten gemeinsam den richtigen Punktionspunkt ab. Nach Abdeck- und Desinfektionsmaßnahmen sowie Lokalanästhesie nahm die PJ‚lerin die Punktion auf, wobei ihr Herr Dr. X nochmals den richtigen Punktionswinkel erläuterte; sie punktierte mit einer Nadel, bis Liquor heraustropfte. Im Weiteren reichte Herr Dr. X das zu injizierende Medikament an, woraufhin die PJ‚lerin die Spritze auf die Nadel setzte und sich insbesondere auf eine richtige Nadelposition konzentrierte, damit diese nicht weiter in den Punktionsbereich hineingleite. Nach Applikation des Medikaments entfernte sie die Nadel samt Spritze, öffnete ihre Hand und erkannte sofort, dass die falsche 10 ml-Spritze Einsatz gefunden hatte, nämlich die intravenös zu verabreichende Medikation (Vincristin). Laut internistischem Fachgutachten realisierte sich aufgrund der fehlerhaften