Arztstrafrecht in der Praxis. Klaus Ulsenheimer
m.w.N. Matt/Renzikowski/Gaede § 15 Rn. 21 ff., 24 f.
Kapitel 1 Das materielle Arztstrafrecht Vorbemerkung › Teil 1 Fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB)
Teil 1 Fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB)
Inhaltsverzeichnis
I. Der Deliktsaufbau der Fahrlässigkeitstat
II. Die Elemente des Unrechtstatbestandes
III. Begriff und Erscheinungsformen des Behandlungsfehlers
IV. Organisationsfehler, insbesondere im Rahmen der Arbeitsteilung
V. Aufklärungsmängel und ihre strafrechtliche Bedeutung
VI. Die Aufklärung als Wirksamkeitsvoraussetzung der Einwilligung
VII. Die Zurechenbarkeit des Erfolges
VIII. Die objektive Vorhersehbarkeit des Erfolges
IX. Die praktisch relevanten Rechtfertigungsgründe im Arztstrafrecht
X. Voraussetzungen des Schuldvorwurfs wegen fahrlässiger Körperverletzung oder Tötung
XI. Die Körperverletzungsdelikte §§ 223 ff., § 340 StGB
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In eingreifend wirkenden Wunsch- oder Heilbehandlungen liegt nach der Rechtsprechung regelmäßig eine immerhin tatbestandlich erfasste Körperverletzung nach den §§ 223 ff. StGB (näher hierzu Rn. 596 ff.), die der bewusst agierende Arzt im Sinne des Strafrechts vorsätzlich verwirklicht. Weil der Arzt aber regelmäßig von einer hinreichenden Einwilligung ausgehen (zum oft begründeten Erlaubnistatbestandsirrtum Rn. 501) und weder den Tod noch einen Behandlungsfehler in Kauf nehmen wird (siehe schon Rn. 44 ff.), stehen in der Praxis nicht die Vorsatzdelikte im Vordergrund. Ist ein Todesfall möglicherweise behandlungsbedingt eingetreten, ist vielmehr die fahrlässige Tötung gem. § 222 StGB das primär zu erwägende Delikt. Steht die körperliche bzw. gesundheitliche Beeinträchtigung des Patienten im Übrigen in Rede, stellt sich die Frage nach einer fahrlässigen Körperverletzung gem. § 229 StGB. Für beide Delikte müssen Grundlagen und Details der Fahrlässigkeitstat bekannt sein. Sie werden vor allem anhand des besonders erheblichen Tatvorwurfs der fahrlässigen Tötung behandelt, der nach diversen Behandlungsfehlern erhoben werden kann. Abschließend werden auch die verschiedenen vorsätzlich begangenen Körperverletzungsdelikte behandelt.
Kapitel 1 Das materielle Arztstrafrecht Vorbemerkung › Teil 1 Fahrlässige Tötung (§ 222 StGB) und fahrlässige Körperverletzung (§ 229 StGB) › I. Der Deliktsaufbau der Fahrlässigkeitstat
I. Der Deliktsaufbau der Fahrlässigkeitstat
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Die Prüfung der fahrlässigen Erfolgsdelikte erschöpft sich keineswegs, wie man bisweilen bei der Lektüre von Anklageschriften, Verteidigerschriftsätzen und Gerichtsurteilen meinen könnte, in der Feststellung einer Sorgfaltspflichtverletzung und des Erfolgseintritts. Schon der Gesetzeswortlaut in §§ 222 und 229 StGB formuliert: Wer „durch“ Fahrlässigkeit den Tod oder die Körperverletzung eines Menschen verursacht, wird bestraft. Er verlangt damit eine kausale und zurechenbare Verknüpfung zwischen fahrlässigem Verhalten und Rechtsgutsverletzung.
Fahrlässig im Sinne des Strafrechts handelt auch im Sinne der Rechtsprechung nur derjenige, der die objektiv gebotene Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen und nach seinen persönlichen Verhältnissen verpflichtet und imstande ist, und gerade durch das pflichtwidrige Tun/Unterlassen den inkriminierten Erfolg herbeiführt, der objektiv und für den Täter subjektiv voraussehbar und vermeidbar war.[1] Hat dieser die Möglichkeit des Erfolgseintritts nicht erkannt, spricht man von „unbewusster“, anderenfalls von „bewusster“ Fahrlässigkeit (wenn sein Vertrauen, „es werde schon gut gehen“, vorwerfbar ist).[2]
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Im Einzelnen setzt der Deliktsaufbau der Fahrlässigkeitstat folgende Elemente voraus:[3]
1. | Auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit: a) Eintritt des tatbestandlichen Erfolges (Tod oder Körperverletzung des Patienten, gerade zu letzterem näher Rn. 596 ff.) durch Tun oder Unterlassen gebotener Maßnahmen und deren naturwissenschaftliche Kausalität für den Erfolg (conditio sine qua non); b) Die Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt (objektiver Sorgfaltspflichtverstoß); c) Die objektive Vorhersehbarkeit der Tatbestandsverwirklichung; d) Die objektive Zurechenbarkeit des Erfolges unter insbesondere diesen vier Blickwinkeln: aa) dem sog. Pflichtwidrigkeitszusammenhang, d.h.: Der eingetretene Erfolg (Tod, Körperverletzung) muss gerade auf die Sorgfaltspflichtverletzung zurückzuführen, also bei pflichtgemäßem Verhalten des Arztes zu vermeiden gewesen sein; bb) der Prüfung der Frage, ob der eingetretene Erfolg im Rahmen des Schutzzwecks der verletzten Rechtsnorm liegt; cc) den Einschränkungen der Erfolgszurechnung auf Grund einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung oder -schädigung und schließlich dd) unter dem Aspekt des verdrängenden, insbesondere vorsätzlichen Dazwischentretens Dritter. |
2. | Auf der Ebene der Rechtswidrigkeit: Das Fehlen von Rechtfertigungsgründen (z.B. Einwilligung, mutmaßliche Einwilligung, rechtfertigende Pflichtenkollision, rechtfertigender Notstand) und Unrechtsausschlussgründen (z.B. nach Ansicht vieler der Erlaubnistatbestandsirrtum und die von der Rechtsprechung anerkannte hypothetische Einwilligung). |
3. |
Auf der Ebene der Schuld:
a)
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