Kriminologie. Tobias Singelnstein

Kriminologie - Tobias Singelnstein


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des 19. Jahrhunderts ein Observatorium, in dem der homo criminalis in Aussehen, Konstitution und Alltagsverhalten durch Verhaltensforschende und Ärzt:innen studiert werden kann. Die dort mögliche Beobachtung dient der Optimierung der dem Strafvollzug zugedachten Wirkungen: In der Tradition der (wörtlich zu nehmenden) Korrektur-Anstalt und des Zucht-Hauses sucht man in den Strafanstalten Arbeitsdisziplin zu vermitteln. Damit soll innerhalb der Gefängnispopulation eine Auslese getroffen werden zwischen den an die Arbeitsmoral Anpassungsfähigen, [61] die sich alsbald in Freiheit bewähren dürfen, und den Unverbesserlichen. Prägend ist die Vorstellung, dass es neben besserungsfähigen die unverbesserlichen Straftäter:innen gebe, die unschädlich zu machen seien. Von daher ist es nur folgerichtig, dass sich das Augenmerk der Kriminologie nunmehr auf die Identifizierung jener unverbesserlichen Straftäter:innen richtet, deren Natur zum Verbrechen drängt.77

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       Untersuchungen an Sträflingen und teils gewagte, durch Darwins Evolutionstheorie inspirierte Mutmaßungen lassen Lombroso annehmen, Verbrecher:innen seien an ererbten körperlichen und seelischen Anomalien wie einer fliehenden Stirn, hohen Backenknochen, krausem Haar, Gemütsarmut, Grausamkeit, Hemmungslosigkeit und weitgehender Schmerzunempfindlichkeit erkennbar. Delinquent:innen würden einen Rückfall in frühe Entwicklungsstadien der Menschheit verkörpern, ein von tierähnlichen Trieben beherrschtes wildes, atavistisches Wesen. Aufgrund ihrer ererbten und daher unveränderlichen Anlage würde jedenfalls ein Teil der Delinquent:innen (bis zu 35 %) zwanghaft zum Verbrechen getrieben; diese verkörperten den anthropologischen Typus des „geborenen Verbrechers“.

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       Ein solches „sowohl als auch“ ist weithin konsensfähig, weil es sich unter Ausklammerung eines unentscheidbaren wie unergiebigen theoretischen Disputs den kleinsten gemeinsamen Nenner der Theorieannahmen zu eigen macht. Dies entspricht nicht nur dem gerne bemühten „gesunden Menschenverstand“, der schon immer um das Körnchen Wahrheit wusste, das jeder Erklärungsmöglichkeit von Kriminalität eigen ist.

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