Klimaschutzrecht für Wirtschaft und Kommunen. Christoph Palme
anderen Worten müsste eine solche CO2-Komponente auf einem direkten Zusammenhang zwischen den gestaffelten Steuersätzen und der Qualität der Erzeugnisse basieren. Man müsste dann die CO2-Emission als Qualität von Energieerzeugnissen und Strom ansehen, was angesichts der europarechtlichen Verpflichtung nach Art. 11 AEUV zur Integrierung umweltpolitischer Ziele auch in andere Politik aber möglich sein sollte.[252]
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Auch nach deutschem Verfassungsrecht sollte eine solche Fortentwicklung des Energie- und Stromsteuerrechts kein Problem sein, da die bloße Änderung der Bemessungsrundlage nichts an dem Charakter einer Verbrauchsteuer ändern würde.[253]
I. Klimaschutz als Mehrebenen-Aufgabe
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Es wurde bereits mehrfach deutlich, dass Klimaschutz eine Mehrebenen-Aufgabe ist, die nur durch das Zusammenwirken internationaler und europäischer Anstrengungen sowie Anstrengungen auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, aber auch durch Anstrengungen von Wirtschaft und Zivilgesellschaft gelingen kann.
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Dies hat aber zur Folge, dass es auf all diesen Ebenen zu rechtlichen Regelungen kommt, die ihrerseits wiederum zu Verschränkungen der Rechtsordnungen führen. Gerade beim Verhältnis des europäischen Klimaschutzrechts zum nationalen Klimaschutzrecht wird dies besonders deutlich. Denn oft hat die Europäische Union den Anspruch, mit ihren Rechtsakten die Materie abschließend zu regeln und den Mitgliedstaaten daher nur noch begrenzte nationale Spielräume für eigene Gesetze zu belassen. Dies ergibt sich schon aus der Logik eines Binnenmarkts, der ja gerade durch einheitliche, von der Europäischen Union gesetzte Regeln definiert ist.[254]
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Andererseits wird aber auch gerade im Klimaschutz immer wieder bemängelt, dass die Europäische Union hier nicht ambitioniert genug sei. Es stellt sich daher die Frage, welche Spielräume die deutsche Politik[255] hat, national ambitionierteren Klimaschutz über die Vorgaben des europäischen Klimaschutzrechts hinaus zu betreiben.[256] Diese Fragen haben hohe Praxisrelevanz wie die Diskussion etwa um die Einführung einer nationalen CO2-Steuer[257] oder auch um die europarechtliche Zulässigkeit des Brennstoffemissionshandelsgesetzes[258] zeigt.
II. Nationaler Klimaschutz und Binnenmarkt
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Solche unilateralen nationalen Klimaschutzmaßnahmen stellen immer ein Problem für einen einheitlichen Rechtsraum wie den des EU-Binnenmarkts dar. Denn dies führt zu Rechtszersplitterung und läuft dem Harmonisierungsgedanke entgegen. Auch kann so das Ziel einheitlicher Wettbewerbsbedingungen gefährdet werden. Dies kann man auch am Beispiel der deutschen Energiewende studieren, welche zu einer starken Belastung für die stromkostenintensive deutsche Industrie in Verhältnis zu anderen EU Staaten geworden ist.
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Andererseits liegt in einem solchen „Vorpreschen“ einzelner Mitgliedstaaten auch eine Chance. Auch hier kann die trotz aller Kritik letztlich erfolgreiche deutsche Energiewende durch das EEG als Beispiel gelten, denn sie ist inzwischen weltweit ein Vorbild. Nationale Gestaltungsspielräume können daher[259] wertvolle Experimentiermöglichkeiten sein, denen andere Mitgliedstaaten vielleicht irgendwann einmal folgen und langfristig sogar die Möglichkeit besteht, dass sich die ursprünglich unilaterale nationale Maßnahme EU weit durchsetzt. Außerdem ist jede zusätzliche Anstrengung klimapolitisch nicht nur erwünscht, sondern im Pariser Abkommen ausdrücklich aufgefordert. Man muss allerdings aufpassen, dass solche nationalen Maßnahmen nicht zu protektionistischen Zwecken missbraucht werden, etwa um durch Setzung bestimmter Technikstandards ungeliebte Konkurrenz aus dem Ausland fernzuhalten.
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In diesem Spannungsfeld bewegen sich die Regeln zu den nationalen Alleingängen im Klimaschutzrecht. Was hier im Einzelnen möglich ist, hängt ganz entscheidend davon ab, ob der Bereich noch nicht harmonisiert ist und auch sonst keine Sekundärrechtsakte bestehen[260], also noch kein klimapolitischer Sekundärrechtsakt existiert oder ob es bereits eine Harmonisierung oder einen sonstigen Sekundärrechtsakt gibt.[261]
1. Verbot mengenmäßiger Beschränkungen
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Nationale Klimaschutzmaßnahmen bei Fehlen von Sekundärrechtsakten müssen nur mit dem EU Primärrecht vereinbar sein. Hier kommt insbesondere der freie Warenverkehr in Frage. Nach Art. 34 AEUV sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Der Begriff der mengenmäßigen Beschränkungen erstreckt sich auf sämtliche Maßnahmen der Mitgliedstaaten, die sich als eine gänzliche oder teilweise Untersagung der Einfuhr, Ausfuhr oder Durchfuhr darstellen[262], diese also in irgendeiner Weise durch Anknüpfen an Menge, Wert oder Zeitraum mengenmäßig kontingentieren. Solche Maßnahmen dürften indes in der Umweltpolitik und auch beim Klimaschutz kaum eine Rolle spielen.
2. Verbot von Maßnahmen gleicher Wirkung
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Von hoher praktischer Bedeutung ist hingegen ist der Begriff der Maßnahmen gleicher Wirkung bei der Interpretation des Art. 34 AEUV. Seit der grundlegenden Dassonville-Entscheidung versteht der EuGH hierunter „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“[263].
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Klimapolitisch relevant sind hier die Fälle, in denen zwar nicht formell zwischen inländischer und ausländischer Ware diskriminiert wird, aber de facto importierte Waren stärker betroffen sind als inländische Waren und Regeln, die weder de iure noch de facto diskriminierend sind, jedoch Importe erschweren und damit die Warenverkehrsfreiheit als solche einschränken.[264]
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Ein Beispiel für Ersteres wäre die Einführung technischer Produktionsstandards zur CO2-Reduzierung, welche genau mit der deutschen Industrie abgestimmt wurde und daher die deutsche Industrie deutlich besser einhalten kann als die Industrie aus anderen EU Staaten.
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Ein Beispiel für die Erschwerung von Importen könnte die verpflichtende Angabe eines CO2-Fußabdrucks bei der Vermarktung in Deutschland sein.
3. Ausnahmen von der Warenverkehrsfreiheit
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Solche Beschränkungen des freien Warenverkehrs, insbesondere durch Maßnahmen gleicher Wirkung sind aber nicht per se verboten. Sie können aus den in Art. 36 AEUV genannten Gründen ausnahmsweise gerechtfertigt sein. Umweltschutz wird dort aber nicht explizit als Ausnahmegrund genannt, jedoch Ausnahmegründe, die mittelbar umweltschutzrelevant sein können. Hierzu zählen der Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen, Tieren oder Pflanzen. So ist es vorstellbar, dass ein Fahrverbot wegen Feinstaubs, welches unmittelbar dem Gesundheitsschutz betrifft, mittelbar auch dem Klimaschutz dient, über Art. 36 AEUV gerechtfertigt werden könnte, sofern es Auswirkungen auf den freien Warenverkehr hat.
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Allerdings dürfte es aufgrund der enumerativen Aufzählung der