Klimaschutzrecht für Wirtschaft und Kommunen. Christoph Palme

Klimaschutzrecht für Wirtschaft und Kommunen - Christoph Palme


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Wissenschaftlichkeitsprinzip

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      Eine letzte wichtige inhaltliche Vorgabe enthält Art. 191 Abs. 3 Spiegelstrich 1 AEUV. Danach hat die EU bei ihrer Umweltpolitik – und damit auch bei ihrer Klimaschutzpolitik – die verfügbaren wissenschaftlichen und technischen Daten zu berücksichtigen.[16] Dies spielt in der Klimaschutzpolitik insoweit eine zentrale Rolle, als jahrelang und von manchen bis heute die Tatsache des menschengemachten Klimawandels geleugnet wurde. Solche Einwände bleiben aufgrund Art. 191 Abs. 3 Spiegelstrich 1 AEUV in der Klimaschutzpolitik der Europäischen Union außer Betracht. Maßgeblich ist vielmehr die wissenschaftliche Meinung des UN Klimaschutz-Expertenrates IPCC.[17] In diesem Gremium herrscht inzwischen Konsens, dass es den menschengemachten Klimawandel gibt und dass die Weltgemeinschaft massiv gegensteuern muss.

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      Neben diesen klassischen, nicht klimaschutzspezifischen, aber doch für das Klimaschutzrecht relevanten Prinzipien wurde durch den Vertrag von Maastricht sogar ein speziell die Thematik Klimaschutz adressierendes Prinzip eingefügt. So statuiert jetzt in Art. 190 Abs. 1 Gedankenstrich 4[18] folgende Verpflichtung der EU: Förderung von Maßnahmen auf internationaler Ebene zur Bewältigung regionaler oder globaler Umweltprobleme und insbesondere zur Bekämpfung des Klimawandels.

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      Die Bedeutung dieser expliziten Aufnahme des Klimaschutzes in das Umweltkapitel liegt in der besonderen politischen Betonung dieser Aufgabe. Man kann diese Aussage zwar als kosmetische Verdeutlichung ansehen, da die Bekämpfung des Klimawandels bereits von der allgemeinen Aufgabenbeschreibung erfasst wird.[19] Vorzugswürdig ist aber eine andere Interpretation. Denn es macht sehr wohl auch juristisch einen Unterschied, ob Klimaschutz abstrakt als Teil der europäischen Umweltpolitik ein Thema von vielen ist, welches man auch in gewisser Weise „wegabwägen“ kann oder ob die EU ausdrücklich nicht nur dazu verpflichtet wird, Klimaschutzpolitik zu betreiben, sondern sie dies auch in exakt den internationalen Formen wie der Klimarahmenkonvention mit all ihren Entwicklungen bis heute inklusive dem Pariser Abkommen von 2015 tun muss. Für den Fall, dass in der EU Rechtspopulisten, die bekanntlich den wissenschaftlich bewiesenen Klimawandel als „fake news“ ansehen, an die Macht kämen, käme Art. 191 Abs. 1 Gedankenstrich 4 AEUV durchaus Bedeutung zu.

7. Beschlusskompetenzen

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      Während Art. 191 AEUV die inhaltlichen Vorgaben für die hier interessierende europäische Klimaschutzpolitik macht, legt Art. 192 AEUV fest, nach welchen Gesetzgebungs- und Beschlussverfahren die Maßnahmen bestimmt und umgesetzt werden. Dabei geht es vor allem darum, ob Einstimmigkeit erforderlich ist oder auch Mehrheitsentscheidungen möglich sind. Außerdem wird festgelegt, welche Organe und Institutionen an diesen Beschlussfassungen beteiligt werden müssen und wie ihre Durchführung und Finanzierung erfolgt. Generell zu beachten ist, dass die EU Klimaschutzkompetenzen nicht nur für natürliche und juristische Personen, die in der Union ihren Sitz haben, gelten, sondern auch für nicht in der Union ansässigen Personen, soweit sich deren Tätigkeiten in der Union auswirken (Auswirkungsprinzip). Insbesondere verstößt die Union damit nicht gegen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen.[20] Auch dieser Punkt ist von großer Bedeutung für die EU-Klimaschutzpolitik. Er spielte z.B. beim Versuch des Einbezugs der Airlines von Drittstaaten in das EU-ETS eine Rolle.[21]

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      Die Verwendung des Begriffs „Tätigwerden“ in Art. 192 Abs. 1 AEUV ermöglicht der EU das gesamte Maßnahmen-Instrumentarium des EU-Rechts. Zulässig sind daher nicht nur die Klassiker wie der Erlass von Richtlinien, Verordnungen, Entscheidungen und Empfehlungen nach Art. 288 AEUV. Möglich sind auch freiwillige Absprachen zwischen den Unionsorganen und den mitgliedstaatlichen Behörden und Wirtschaftsverbänden über die Einhaltung bestimmter umweltpolitischer Vorgaben wie z.B. die seinerzeitige Einigung der Kommission mit den Verbänden der Fahrzeughersteller zur Reduktion des CO2-Flottenverbrauchs für neue, in der Europäischen Union in Verkehr gebrachte Fahrzeuge ab 2008/2009.[22]

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      Auch die Inhalte solcher Maßnahmen können vielfältig sein. Sie erstrecken sich von unbestimmten, allgemein gehaltenen oder planenden Vorhaben (z.B. Aktionsprogramme) bis hin zu Regelungen, die Handlungsverpflichtungen der Organe, der Mitgliedstaaten oder der Einzelnen in allen Einzelheiten genau festschreiben wie z.B. CO2-Grenzwerte für Fahrzeuge.

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      Art. 192 AEUV unterscheidet zwei Rechtssetzungsverfahren: Im Regelfall entscheiden Rat und Parlament im Mehrheitsbeschluss nach Art. 192 Abs. 1 und Abs. 3 AEUV im Wege des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens gem. Art. 289 Abs. 1 i.V.m. Art. 294 AEUV nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses (WSA) sowie des Ausschusses der Regionen.

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      In den Fällen des Art. 289 Abs. 2 AEUV beschließt der Rat Maßnahmen hingegen auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Parlaments, des WSA sowie des Ausschusses der Regionen nach dem Einstimmigkeitsprinzip. In Bezug auf den Klimaschutz ist dies insbesondere relevant für Maßnahmen überwiegend steuerlicher Art nach Art. 192 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a AEUV wie z.B. Ökosteuern oder auch eine CO2-Steuer. Außerdem einstimmig zu beschließen sind nach Art. 192 Abs. 2 Satz 1 Buchst. c AEUV Maßnahmen, welche die Wahl eines Mitgliedstaats zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur seiner Energieversorgung erheblich berühren. Damit sind Maßnahmen gemeint, welche die Grundstruktur der Energieversorgung betreffen. Dies ist z.B. dann der Fall, wenn es um die Verdrängung eines Energieträgers, wie etwa um den Ausstieg aus der Atomenergie oder um den Kohleausstieg geht.[23]

IV. Kompetenzen für Energiepolitik

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      Wie bereits eben dargestellt gibt es Überschneidungen zwischen Umweltkompetenzen und Energiekompetenzen.[24] Kompetenznorm für die Energiepolitik ist Art. 194 AEUV. Diese Norm enthält zwar nicht ausdrücklich die Zielsetzung Klimaschutz. Sie betrifft aber mit den Themen Funktionieren des Energiemarkts[25], Energieversorgungssicherheit[26], Energieeffizienz[27], Energieeinsparungen[28], erneuerbare Energiequellen[29] und Interkonnektion der Energienetze[30] Bereiche mit unmittelbarer Relevanz für die Klimaschutzpolitik und ist daher die nach den Umweltkompetenzen zweitwichtigste EU-Kompetenz im Bereich Klimaschutz.

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      Allerdings dürfen solche Maßnahmen nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die Bedingungen für die Nutzung ihrer Energieressourcen, ihre Wahl zwischen verschiedenen Energiequellen und die allgemeine Struktur ihrer Energieversorgung zu bestimmen, berühren.[31] Dies schränkt die Handlungsfähigkeit der EU-Energiepolitik nicht unerheblich ein, so dass lediglich folgende Maßnahmen zulässig sind:

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      Zulässig ist nur die Förderung der Energieeffizienz und von Energieeinsparungen sowie die Entwicklung neuer und erneuerbarer Energiequellen. Der Anwendungsbereich des Art. 194 AEUV ist also insofern beschränkt. Vieles spricht daher dafür, dass in Bezug auf die Energieeffizienz und Energieeinsparungen nur


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