Beschäftigte im Öffentlichen Dienst I. Alexander Block
im Stufenaufbau jeweils höher angesiedelte der in diesem Sinne niederen Regelung vor. Folglich müssen nachrangige Regelungen, um Rechtswirksamkeit zu erlangen, mit denen zu ihnen jeweils höherrangigen Normen harmonieren, sogenanntes Rangprinzip bzw. Hierarchieprinzip. Danach würde eine Regelung zur Länge des Erholungsurlaubes im Gesetz oder im Tarifvertrag einer hiervon abweichenden Regelung im Arbeitsvertrag vorgehen, gleichgültig, welchen Inhalt die verschiedenen Regelungen haben. Im Verhältnis der Rechtsquellen des Arbeitsrechts – bei Konkurrenz auf verschiedenen Rangstufen – gilt jedoch nicht das Rangprinzip, sondern das Günstigkeitsprinzip.[6]
c)Günstigkeitsprinzip
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Die im Aufbau dieser Rangfolge im Verhältnis zu einer höherrangigen jeweils niedere Norm hat jedoch grundsätzlich in den Fällen Vorrang, in denen sie für den Arbeitnehmer konkret günstiger ist (Günstigkeitsprinzip oder Günstigkeitsvergleich).
Dem Günstigkeitsprinzip zufolge findet auf das Arbeitsverhältnis im Falle kollidierender Rechtsquellen nicht die ranghöhere, sondern die für den Arbeitnehmer günstigere Regelung Anwendung. Für das Verhältnis zwischen tarif- und arbeitsvertraglichen Regelungen ist das Günstigkeitsprinzip in § 4 Abs. 3 TVG normiert. Das Günstigkeitsprinzip findet aber etwa auch im Verhältnis zwischen individualvertraglichen Regelungen und Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung Anwendung. Eine Regelung in einer Betriebsvereinbarung tritt deshalb hinter eine günstigere einzelvertragliche Regelung zurück (§ 77 Abs. 3 BetrVG).[7] Wenn also im Arbeitsvertrag eine Regelung enthalten ist, die dem Arbeitnehmer einen längeren Urlaubsanspruch gewährt als der für ihn geltende Tarifvertrag, so ist die Regelung im Arbeitsvertrag anzuwenden.
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Zur Durchführung des Günstigkeitsvergleichs: Im Rahmen des Günstigkeitsvergleichs sind die in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehenden Teilkomplexe der unterschiedlichen Regelungen zu vergleichen (sog. Sachgruppenvergleich). Dabei sind die abstrakten Regelungen und nicht das Ergebnis ihrer Anwendung im Einzelfall maßgebend. Führt ein Günstigkeitsvergleich nicht zweifelsfrei zu dem Ergebnis, dass die vom normativ geltenden Tarifvertrag abweichende arbeitsvertragliche Regelung für den Arbeitnehmer günstiger ist, bleibt es bei der zwingenden, normativen Geltung des Tarifvertrags. Mit Urteil vom 10.12.2014 bestätigt das BAG die abstrakte Betrachtungsweise zur Durchführung des Günstigkeitsvergleichs.[8] Praktisch relevant ist die abstrakte Betrachtungsweise bei einem Günstigkeitsvergleich z.B. auch bei der Kollision von gesetzlichen/tarifvertraglichen mit abweichenden arbeitsvertraglich vereinbarten Kündigungsfristen. Wichtig ist für die Praxis, nicht vorschnell die „individuell günstige Lösung“ zu sehen, sondern einen abstrakten Sachgruppenvergleich durchzuführen. Verbleiben Zweifel, liegt keine Günstigkeit i.S.d. § 4 Abs. 3 TVG vor.
d)Tariföffnungsklausel
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Eine Reihe arbeitsrechtlicher Normen lässt durch sogenannte Tariföffnungsklauseln ausdrücklich die Schaffung anderer von einzelnen gesetzlichen Regelungen im Bereich des Arbeitnehmerschutzrechtes abweichenden Normen durch Tarifverträge zu. Diese Öffnung einzelner gesetzlicher Bestimmungen zur Ermöglichung tarifvertraglicher Selbstgestaltung kann sowohl uneingeschränkt als auch eingeschränkt erfolgen. Im Regelfall enthalten diese Öffnungsklauseln jedoch gewisse Einschränkungen ggf. auch Vorgaben für tarifvertragliche Vereinbarungen.
e)Ordnungsprinzip
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Widersprechen sich Regelungen gleichen Ranges, gilt die nach ihrem Zustandekommen jeweils jüngere Norm, was als Ordnungsprinzip oder Lex posterior-Prinzip bezeichnet wird.
f)Spezialitätsprinzip
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Bei Regelungen ebenfalls gleichen Ranges haben, sofern sowohl allgemeine als auch spezielle Regelungen für denselben Sachverhalt gelten, die speziellen Regelungen Vorrang – lex specialis dominiert lex generalis (Spezialitätsprinzip).
Für Konkurrenzen auf derselben Rangstufe gilt demnach das Spezialitäts- und das Ordnungsprinzip. Danach geht die speziellere der allgemeineren bzw. die neuere der älteren Regelung vor. Für die Anwendung des Günstigkeitsprinzips ist kein Raum.
2.Rechtsquellenübersicht
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Die Rangfolge der den Inhalt des Arbeitsverhältnisses bestimmenden rechtlichen Gestaltungsfaktoren ergibt folgende Hierarchie:
a)Recht der Europäischen Union
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Das Recht der Europäischen Union gewinnt im Arbeitsrecht zunehmend an praktischer Bedeutung. Dieses besteht aus dem Primärrecht, dem EU-Vertrag (EUV) und dem Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union (AEUV), sowie dem Sekundärrecht der von den Unionsorganen erlassenen Normen. Von unmittelbarer Bedeutung für das Arbeitsrecht sind insbesondere die in Art. 45 ff. AEUV geregelten Grundfreiheiten (Freizügigkeit der Arbeitnehmer, Art. 45 ff. AEUV; Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV und Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 ff. AEUV). Von zunehmender Relevanz sind auch die auf europäischer Ebene erlassenen Verordnungen und Richtlinien. Nach Art. 288 Abs. 2 AEUV finden die Verordnungen unmittelbar Anwendung und bedürfen keines weiteren Umsetzungsaktes in nationales Recht, wohingegen die Richtlinien gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV in das innerstaatliche Recht zunächst noch transformiert werden müssen. Kommt ein Mitgliedstaat binnen der gesetzten Frist der Transformation nicht nach, kann sich der Einzelne dennoch gegenüber dem Staat auf die Richtlinie berufen, sofern diese ihm Rechte einräumt. Umsetzung europäischer Richtlinien finden sich etwa in § 613a BGB sowie im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) oder im Teilzeit- und Befristungsrecht (TzBfG).
Eine wichtige Rolle spielt auch der Europäische Gerichtshof (EuGH), speziell im Zusammenhang mit Vorlagebeschlüssen der nationalen Gerichte (Art. 267 AEUV).
b)Verfassungsrecht
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Auch die Grundrechte der Verfassung können im Arbeitsrecht Bedeutung erlangen. Dies rührt daher, dass die wirtschaftliche Überlegenheit des Arbeitgebers die soziale Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers erhöht. An die Normen des Grundgesetzes ist aber nur die staatliche Gewalt gebunden (vgl. Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3, 24 Abs. 1 GG).
Die Normen des Grundgesetzes finden im Arbeitsverhältnis damit keine unmittelbare Anwendung. Die Grundrechte wirken in privatrechtlichen Verhältnis daher nur mittelbar, vor allem über unbestimmte Rechtsbegriffe (z.B. § 138 BGB) oder Generalklauseln (z.B. § 242 BGB) ein. Sie sind in ihrer Rolle als objektive Wertentscheidungen auch bei der sonstigen Auslegung zu beachten.
Besondere Bedeutung haben insbesondere das Grundrecht der Menschenwürde (Art. 1 GG), das Grundrecht der Gleichbehandlung (Art. 3 GG), sowie das Grundrecht der Berufsfreiheit (Art. 12 GG). Aber auch andere Grundrechte wie z.B. die in Art. 14 GG geregelte Eigentumsgarantie (für den Arbeitgeber) und die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG haben im Arbeitsrecht erhebliche Bedeutung. Wichtigstes und mit direkter Wirkung versehenes Grundrecht ist Art. 9 Abs. 3 GG, der die Koalitionsfreiheit als individuelles und kollektives Grundrecht gewährleistet.
Der Staat und seine Träger der öffentlichen Gewalt sind Grundrechtsadressaten. Damit ist die öffentliche Verwaltung in ihrem Handeln unmittelbar grundrechtsgebunden. Bedient sich die staatliche Gewalt zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben zivilrechtlicher Handlungsformen, so bleibt die Grundrechtbindung gemäß Artikel 1 Abs. 3 GG davon unberührt. Dies gilt auch für den Einsatz zivilrechtlicher Handlungsformen, wie der Beschäftigung von Arbeitnehmern in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen. Diese Bindung besteht unabhängig davon, ob es für den Staat vorteilhaft ist. Eine Flucht in das Privatrecht, um der Grundrechtsbindung zu entgehen und Handlungen als Privatsubjekt durchführen zu können, ist allen staatlichen Organen untersagt.[9]
Wichtig für öffentliche Arbeitnehmer ist Art. 33 Abs. 2 GG, wonach gleicher Zugang zu