Praxiswissen für Kommunalpolitiker. Franz Dirnberger

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Kommunalrecht und auch das traditionell deutsch-österreichische Verständnis von Selbstverwaltung und Subsidiarität gerät mit Blick auf vorranginge europäische Normen immer häufiger unter Druck. Der europäische Binnenmarkt (Art. 14 EG) unterliegt einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb (Art. 4 Absatz 6 EG). Daraus folgt eine Unterwerfung unter die 4 Marktregeln und die Wettbewerbsregeln (Art. 28 ff. EG; Art. 81 ff. EG).

      Das gilt grundsätzlich auch, wenn Leistungen von Hoheitsträgern, erbracht werden, (Art. 86 Absatz 1 EG). Erst durch die von der Sorge um die services publics durch Frankreich vorgetragenen Bedenken, die öffentliche Daseinsvorsorge den strengen Wettbewerbsregelungen zu unterwerfen und die später ergänzende Remonstration Deutschlands führte zu einer Sensibilisierung der europäischen Gremien. Dadurch kam es für Unternehmen, die mit Dienstleistungen im allgemeinen Interesse betraut waren zu Ausnahmen (Art. 86 Absatz 2 EG; Art. 90 Absatz 2 EG) (Vertrag von Amsterdam).

      Erst mit der Amsterdamer Vertragsregelung wurden mit Art. 16 EG, die Unternehmen, die Dienstleistungen im allgemeinen Interesse erbringen, besonders privilegiert.

      Europa greift also in die Selbstverwaltung ein. Europäisches Recht beeinflusst die Selbstverwaltung nach deutschem Verständnis unmittelbar wie unter anderen auch die neuesten Urteile zum sogenannten Einheimischenmodell belegen. Europäische Normen gehen nationalen Normen, also dem Grundgesetz, der Bayerischen Verfassung und den kommunalrechtlichen Vorschriften vor.

      Nur bestimmte Bereiche der Daseinsvorsorge sind in engen Grenzen nicht den strengen Wettbewerbsregeln Europas unterworfen.

      Vergleiche weiterführend Teil 2 Kapitel 6.

      Im Folgenden werden wir uns mit einigen konkreten Ausformungen des Selbstverwaltungsrechts näher befassen. Das Recht, die eigenen örtlichen Angelegenheiten zu regeln, entspricht konkreten Aufgaben, denen sich die Gemeinden zu widmen haben. Dazu gehören beispielsweise: Einrichtung und Unterhaltung von Schulen, Kindergärten, Wasserversorgungsanlagen, Schwimmbädern, Theatern, Mütterbetreuungsstellen, Sportstätten.

      Aus Art. 6 GO leitet sich ab, dass die Gemeinden grundsätzlich für alles zuständig sind, was in ihren Ortsbereichen an öffentlichen Aufgaben anfällt.

      Art. 6 GOAllseitiger Wirkungskreis

      (1) Den Gemeinden steht in ihrem Gebiet die Erfüllung aller öffentlichen Aufgaben zu. Ausnahmen bedürfen eines Gesetzes.

      (2) Die Gemeindeaufgaben sind eigene oder übertragene Angelegenheiten.

      Da die Finanzausstattung der Kommunen gemessen an den ständig zunehmenden Aufgaben (von einigen Kommunen abgesehen) nicht sehr üppig ist, gehört es zum täglichen Brot des Mandatsträgers zu entscheiden, welchen Aufgaben er welche Priorität zuordnet. Denn alles lässt sich in der Regel nicht finanzieren. Der Grundsatz lautet in diesem Zusammenhang Pflichtaufgaben sind vor freiwilligen Aufgaben zu erledigen. Vgl. hierzu Näheres in Teil 4 Kapitel 1.

      Bestimmte, z. T. lebensnotwendige Aufgaben (Pflichtaufgaben) müssen von den Kommunen mit Vorrang erledigt und erfüllt werden.

      Beispiel Gemeinden:

      Pflicht auf Einrichtung und Unterhaltung einer hygienisch einwandfreien Trinkwasserversorgung, das Aufstellen von Bebauungsplänen, die Sicherung der Bestattung, die Unterhaltung der Grund- und Hauptschulen, die Herstellung und Erhaltung von Gemeindestraßen, die Pflicht zur Abwasserbeseitigung oder aber auch die Sicherstellung des Feuerschutzes.

      Die einschlägigen Vorschriften benennen diese ausdrücklichen Pflichten der Kommunen.

      Erst wenn alle notwendigen Pflichtaufgaben auch erfüllt sind, können die Kommunen im Rahmen einer selbst gewählten Reihenfolge andere Aufgaben erfüllen. Diese anderen Aufgaben nennt man freiwillige Aufgaben, vgl. hierzu Art. 57 GO.

      Sofern eine Kommune leistungsfähig ist, kann sie zusätzliche Aufgaben freiwillig erfüllen. Einige Beispiele, wie Schwimmbäder, Eislaufplätze, Altenheime, Büchereien sind in Art. 57 Abs. 1 GO (Art. 51 Abs. 1 LKrO, Art. 48 Abs. 1 BezO) genannt. Ob und welche freiwilligen Aufgaben die Kommune übernimmt und welchen finanziellen Aufwand sie dafür betreibt, steht im Ermessen der Kommune. Hier eröffnet sich das eigentliche Spielfeld der „Politik“ oder besser des Verwaltungshandelns für die Mandatsträger.

      Kommunale Pflichtaufgaben

      Wichtig!

      Bei der Abwägung, in welcher Reihenfolge Aufgaben zu erledigen sind, gilt: Pflichtaufgaben, die die Rechtsordnung vorgibt, sind zuerst zu erfüllen. Kann es sich die Kommune dann noch leisten, so liegt es im Ermessen der Entscheidungsträger, welche Aufgaben und mit welchem Kostenaufwand diese freiwillig erfüllt werden.

      Kommunale freiwillige Aufgaben

      Pflichtaufgaben vor freiwilligen Aufgaben

      Beispiel:

      Im Wahlkampf wurde den Jungwählern die Errichtung einer modernen Kletterwand für 50.000 € versprochen. 14 Tage nach Installation des neuen Gemeinderats stellt sich heraus, dass die Trinkwasserversorgung mit einem Kostenaufwand von 150.000 € saniert werden muss, weil die einzuhaltenden Grenzwerte für das Trinkwasser nicht mehr erfüllt werden können. Der Kämmerer betont, dass mit Rücksicht auf die laufenden Projekte nur entweder die Kletterwand oder die Trinkwassersanierung erfolgen kann.

      Lösung: Hier besteht keinerlei Entscheidungsermessen! Die Pflichtaufgabe Trinkwasser muss zwingend mit Vorrang erledigt werden.

      Wenn eine Kommune auch die örtlichen Angelegenheiten selbst regeln darf, heißt das freilich nicht, dass der Gemeinderat kraft Mehrheitsentscheidung schalten und walten kann, wie er will.

      Die Mandatsträger müssen sich bei ihren Entscheidungen trotz Selbstverwaltungsrechts (Art. 1 GO; Art. 28 Abs. 2 GG; Art. 11 Abs. 2 BV) im Rahmen der Gesetze bewegen.

      Die Grenzen des Selbstverwaltungsrechts werden vor allen Dingen in der kommunalen Bauleitplanung sehr deutlich, wo z. B. Schutzvorschriften, etwa zur Planung und Errichtung eines Lärmschutzwalls zwingen, auch wenn er hässlich ist.

      Die Verpflichtung, die Rechtsordnung zu beachten, gilt im Übrigen generell und immer, also auch da, wo die Kommune übertragene Aufgaben wahrnimmt, z. B. im Pass- oder Meldewesen.

      Insofern spricht man vom allgemein übergeordneten Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die in Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 56 BayGO niedergelegt ist.

      Art. 20 Abs. 3 GG

      Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.

      Art. 56 BayGOGesetzmäßigkeit; Geschäftsgang

      (1)


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