Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, eBook. Christian Wittmann
sie ebenfalls nicht ansehen können. Zu den öffentlich-rechtlichen Vereinigungen, zu denen das BSG die Zulassungsgremien zählt, wurden bisher lediglich Körperschaften des öffentlichen Rechts gerechnet.[37] Die Aufzählung der neben den Leistungsträgern Verpflichteten in § 35 Abs. 1 S. 4 SGB V wird als abschließend angesehen.[38] Die Anwendbarkeit der §§ 67 ff. SGB X auf den von den Zulassungsgremien zu gewährleistenden Datenschutz ist daher fraglich.[39]
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Wird die Anwendbarkeit der §§ 67 ff. SGB X abgelehnt, kommt als Rechtsgrundlage für die Datenverarbeitung durch die Zulassungsgremien nur Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO i.V.m. der entsprechenden Erlaubnisnorm des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes in Betracht. Es handelt sich dabei um subsidiäre, allgemeine Rechtsgrundlagen für die Datenverarbeitung öffentlicher Stellen die – vorbehaltlich spezielleren Datenschutzrechts, wie bspw. der §§ 67 ff. SGB X – für die Datenverarbeitung öffentlicher Stellen in jeglichen Verarbeitungsszenarien Anwendung finden.[40]
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Die Regelungen über den Umgang mit den von den Zulassungsgremien erhobenen personenbezogenen Daten und Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen ergeben sich somit – wenn nicht auf die §§ 67 ff. SGB X zurückgegriffen werden kann[41] – aus Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO i.V.m. der entsprechenden Erlaubnisnorm des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes. § 43 Ärzte-ZV lässt sich immerhin entnehmen, dass die Akten des Zulassungsausschusses fünf Jahre, die Niederschriften und Urschriften von Beschlüssen 20 Jahre aufzubewahren sind. Daraus ergibt sich das Recht zur Speicherung der in diesen Dokumenten enthaltenen Daten, nicht aber das Recht zu deren Verwendung. Insoweit wird man über die Öffnungsklausel in Art. 6 Abs. 3 S. 1 lit. b DSGVO auf die entsprechende Erlaubnisnorm des jeweiligen Landesdatenschutzgesetzes i.V.m. § 95 Abs. 2 S. 4 SGB V, § 19 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV zurückgreifen müssen.
2. Rechtsgrundsätze des Verfahrens vor den Zulassungsgremien
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Die §§ 36 bis 43 Ärzte-ZV enthalten spezielle Verfahrensvorschriften für die Verfahren vor den Zulassungsgremien. Sie sind gegenüber den allgemeinen Verfahrensvorschriften des SGB X leges speciales. Die allgemeinen Verfahrensvorschriften bleiben daneben grundsätzlich anwendbar.[42] Das Verfahren vor den Zulassungsgremien weist einige konstruktive Parallelen zum förmlichen Verwaltungsverfahren gemäß §§ 63 ff. VwVfG auf, auch die §§ 88 ff. VwVfG können ggf. entsprechend angewandt werden.[43] Mit diesem teilt es insbesondere die prozessähnliche Ausgestaltung mit teilweise obligatorischer mündlicher Verhandlung. Gegenüber einem nichtförmlichen Verwaltungsverfahren sind die Verfahrensrechte der Beteiligten stärker ausgestaltet, das Verfahren ist insgesamt stärker formalisiert.[44]
a) Offizialmaxime, Legalitäts- und Opportunitätsprinzip, Antragsgrundsatz
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Bei der Einleitung öffentlich-rechtlicher Verfahren können vier teilweise zusammenwirkende Prinzipien eine Rolle spielen: Offizialmaxime, Legalitätsprinzip, Opportunitätsprinzip und Dispositionsmaxime (Antragsgrundsatz).[45] Diese Prinzipien sind in § 18 SGB X geregelt. Danach entscheidet die Behörde grundsätzlich nach pflichtgemäßem Ermessen, ob und wann sie ein Verwaltungsverfahren durchführt (Offizialmaxime mit Opportunitätsprinzip, § 18 S. 1 SGB X). Dies gilt nicht, wenn die Behörde aufgrund von Rechtsvorschriften von Amts wegen tätig werden muss (Offizialmaxime mit Legalitätsprinzip, § 18 S. 2 Nr. 1 1. Alt. SGB X) oder nur auf Antrag tätig werden muss oder darf und ein Antrag nicht vorliegt (Antragsgrundsatz, § 18 S. 2 Nr. 2 SGB X).
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Das Opportunitätsprinzip gemäß § 18 S. 1 SGB X spielt bei den Verfahren vor den Zulassungsgremien keine Rolle. Diese Verfahren unterliegen entweder dem Legalitätsprinzip (z.B. § 26 Abs. 1, Abs. 2 Ärzte-ZV, § 95 Abs. 6 SGB V i.V.m. § 27 Ärzte-ZV) oder dem Antragsgrundsatz (z.B. § 19 Abs. 1 Ärzte-ZV).[46] Die Aussetzung des Verfahrens durch den Zulassungs- oder Berufungsausschuss kommt angesichts des Gebots der Zügigkeit der Verfahrensgestaltung gemäß § 9 S. 2 SGB X nur ausnahmsweise in Betracht. Die Zulassungsgremien haben hierüber im Rahmen ihres Verfahrensermessens zu entscheiden.[47]
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Bei einem Antrag im Sinne des § 18 S. 2 SGB X (gleiches gilt für den Antragsbegriff im Rahmen des SGB V und der Ärzte-ZV) handelt es sich um eine empfangsbedürftige, verwaltungsrechtliche Willenserklärung.[48] § 18 SGB X selbst sieht zwar keine bestimmte Form vor, Formvorschriften ergeben sich aber für die Verfahren vor dem Zulassungsausschuss in der Regel aus der Ärzte-ZV (vgl. §§ 18 Abs. 1 S. 1, 31 Abs. 6 S. 1 Ärzte-ZV). Soweit es an Formvorschriften fehlt, kann der Antrag schriftlich, mündlich oder konkludent gestellt werden.[49] Neue Kommunikationsformen (z.B. Telefax, E-Mail) können genutzt werden, wenn die Zulassungsgremien diese in ihren offiziellen Schriftstücken oder allgemein zugänglichen Verzeichnissen anführen.[50]
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Der Zulassungsausschuss darf die Entgegennahme von Erklärungen oder Anträgen, die in seinen Zuständigkeitsbereich fallen, nicht deshalb verweigern, weil er die Erklärung oder den Antrag in der Sache für unzulässig oder unbegründet hält (§ 20 Abs. 3 SGB X).[51] Sofern der Antrag unklar ist, reicht es nicht aus, wenn die Zulassungsgremien diesen aus ihrem Empfängerhorizont heraus auslegen. Erforderlich ist die Erforschung des wirklichen Willens des Antragstellers (Untersuchungsgrundsatz).[52] Liegen Anhaltspunkte vor, dass die Erklärung des Antragstellers seinen Willen nicht zutreffend wiedergibt, kann die Erklärung umgedeutet werden.[53] Die Zulassungsgremien sind bei unklarer Antragstellung im begrenzten Maße zur Betreuung (Beratung) des Antragstellers verpflichtet. Ein unterbliebener Hinweis auf erforderliche Anträge etc. kann zu einem sozialrechtlichen Wiederherstellungsanspruch führen. Es ist die Lage herzustellen, die bestanden hätte, wenn nach korrekter Beratung durch die Zulassungsgremien ein Antrag gestellt worden wäre.[54]
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Besondere Probleme kann die Frage der Bindung des Antragstellers an seinen Antrag aufwerfen. Fraglich ist, ob Anträge zurückgenommen oder widerrufen werden können.[55] Dies richtet sich nach der Interessenlage.[56] Die Verwaltungsrechtswissenschaft geht von der grundsätzlich freien Widerrufbarkeit des Antrags bis zum Erlass des verfahrensabschließenden Verwaltungsakts – teilweise bis zum Eintritt der Bestandskraft – aus.[57] Die Bindung an den Antrag soll aber bereits vor diesem Zeitpunkt eintreten, wenn durch den Antrag oder das sich daran anschließende Verfahren bereits irreversible Wirkungen eingetreten sind.[58] Das BSG stellt auf Außenwirkungen für Dritte i.S. einer Änderung der Rechtslage (Gestaltung) ab.[59] Durch den Antrag allein werden in der Regel noch keine Wirkungen im Außenverhältnis, insbesondere im Verhältnis zu Dritten, erzeugt.[60] Ob Außenwirkungen schon vorliegen, wenn der Zulassungsausschuss in einem Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 3a, Abs. 4 SGB V die Auswahlentscheidung zugunsten eines von mehreren Bewerbern getroffen hat, ist umstritten.[61] Nach e.A. erhält der Bewerber durch die zu seinen Gunsten getroffene Auswahl eine Rechtsposition, die der Antragsteller nicht mehr einseitig vernichten kann.[62] Die Bindung an den Antrag gelte ab dem Tag der Bekanntgabe[63] der Entscheidung des Zulassungsausschusses, nicht erst mit der Zustellung des Beschlusses. Werde der von § 103 Abs. 3a, Abs. 4 S. 1 SGB V vorgesehene Zulassungsverzicht nicht nur angekündigt, sondern unter der Bedingung der Zulassung eines Praxisnachfolgers abgegeben, so könne man bereits die Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses – und nicht erst die Zulassungsentscheidung – als Bedingungseintritt ansehen.[64] Nach a.A. ist die Rücknahme des Antrags – allgemeinen Regeln entsprechend – bis zum Eintritt der Unanfechtbarkeit der Zulassungsentscheidung bzw. der Festsetzung der Entschädigung gemäß § 103 Abs. 3a S. 13 SGB V[65] möglich.[66] Das BSG hat nun in Bezug auf den Antrag auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens in einer ausführlich begründeten Entscheidung klargestellt, dass die Rücknahme des verfahrenseinleitenden Antrags auch nach der stattgebenden Entscheidung gemäß § 103 Abs. 3a S. 1 SGB V bis zur Bestandskraft der Auswahlentscheidung gemäß § 103 Abs. 4 S. 4 SGB V möglich ist.[67] Ob eine Antragsrücknahme möglich ist, richtet sich nach dem jeweils anwendbaren Fachrecht und der konkreten Interessenlage.