Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, eBook. Christian Wittmann
e) Sitzung
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Die Zulassungsgremien fassen ihre Beschlüsse in Sitzungen, § 36 Abs. 1 S. 1, § 45 Abs. 3 Ärzte-ZV. Der Antragsteller hat allerdings keinen Anspruch darauf, dass über den Antrag in einer bestimmten Sitzung entschieden wird.[245]
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Erforderlich ist gemäß § 41 Abs. 2 S. 1, § 45 Abs. 3 Ärzte-ZV die vollständige Besetzung des Zulassungsgremiums, also die Anwesenheit aller Mitglieder. Die Beschlussfassung auf anderem Wege, etwa im Umlaufverfahren oder telefonisch, ist durch § 36 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV nicht gedeckt.[246] Ein bspw. im Umlaufverfahren gefasster Beschluss ist nach § 40 Abs. 3 Nr. 3 SGB X aber nicht schon wegen des Verstoßes gegen § 36 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV nichtig, so dass der Verfahrensfehler gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 4 SGB X geheilt werden kann.
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Die mündliche Verhandlung gemäß § 37 Abs. 1 S. 1 und 2 Ärzte-ZV ist Bestandteil der Sitzung, so dass die für die Sitzung geltenden Anforderungen auch für die mündliche Verhandlung gelten. Somit ist auch für die mündliche Verhandlung die vollständige Besetzung des Gremiums erforderlich.
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Nach § 37 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV darf der Zulassungsausschuss über Zulassungen und über die Entziehung von Zulassungen nur nach mündlicher Verhandlung beschließen. In allen anderen Fällen kann der Zulassungsausschuss eine mündliche Verhandlung anberaumen. Eine Zulassungsentscheidung i.S.v. § 37 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV ist auch bei der Auswahl und Zulassung eines Nachfolgers im Rahmen des Nachbesetzungsverfahrens gemäß § 103 Abs. 4 S. 4 ff. SGB V[247] und im Rahmen des Verfahrens gemäß § 26 Abs. 4 Nr. 3 Bedarfsplanungs-Richtlinie bei partieller Öffnung des Planungsbereichs gegeben. Ein Verstoß gegen § 37 Abs. 1 S. 1 Ärzte-ZV kann nach § 41 Abs. 1 Nr. 3 SGB X geheilt werden.
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Eine Besonderheit gilt für das Verfahren vor dem Berufungsausschuss. Nach § 45 Abs. 2 Ärzte-ZV kann der Widerspruch ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen werden, wenn der Berufungsausschuss die Zurückweisung einstimmig beschließt. Dies gilt auch für Zulassungsentziehungsverfahren.[248]
f) Keine Rückwirkung von statusrelevanten Entscheidungen
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Zulassung und Ermächtigung sind statusbegründend, sie vermitteln u.a. das Recht und die Verpflichtung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung (§ 95 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 S. 1 SGB V). Die vom Zulassungsausschuss zu treffenden Entscheidungen begründen oder verändern daher in aller Regel den Teilnahmestatus des Leistungserbringers. Daneben hat sich der Zulassungsausschuss mit Entscheidungen zu befassen, die den Teilnahmestatus betreffen oder eng mit ihm verknüpft sind, wie etwa die Genehmigung der Verlegung des Vertragsarztsitzes gemäß § 24 Abs. 7 S. 1 Ärzte-ZV oder des Wechsels der Facharztbezeichnung gemäß § 24 Abs. 6 Ärzte-ZV. Wegen der vielfältigen Auswirkungen auf den Teilnahmestatus[249] – etwa auf den Behandlungsanspruch des Versicherten, den Anspruch des Leistungserbringers auf Teilnahme und die Verpflichtung der Kassenärztlichen Vereinigung zur Honorarverteilung – können derartige statusrelevante Entscheidungen stets nur mit Wirkung für die Zukunft, und nicht auch für einen zurückliegenden Zeitraum getroffen werden.[250] Dies betrifft Zulassungen[251] und Ermächtigungen[252] und gilt bspw. auch für die Genehmigung der Verlegung des Vertragsarztsitzes,[253] den Wechsel der Facharztbezeichnung,[254] die Anstellung eines Arztes[255] in einer Vertragsarztpraxis oder in einem medizinischen Versorgungszentrum oder die Genehmigung einer Berufsausübungsgemeinschaft.[256] Keine Statusentscheidung ist die Festsetzung oder Änderung[257] von Abrechnungsobergrenzen beim Job-Sharing; eine Änderung solcher Obergrenzen ist deshalb auch rückwirkend möglich.[258]
g) Bindung an Statusentscheidungen dritter Behörden
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Die Befassungskompetenz des Zulassungsausschusses kann durch die Drittbindung[259] an – auch fehlerhafte – Verwaltungsentscheidungen dritter Behörden stark eingeschränkt oder ganz ausgeschlossen sein. Eine solche Drittbindung entfalten konstitutiv-feststellende Statusentscheidungen,[260] wie etwa die Arztregistereintragung[261] durch die Kassenärztliche Vereinigung, die Approbationserteilung[262] durch die Landesbehörde, die Festsetzung der Landeskrankenhausplanung für die betroffene Krankenhausabteilung[263] oder die Feststellung der Aufsichtsbehörde nach § 72a Abs. 1 SGB V. [264]Sie bewirkt, dass der Zulassungsausschuss nicht berechtigt ist, bspw. die rechtswidrige Eintragung in das Arztregister im Zulassungsverfahren aufzugreifen und die Ablehnung der Zulassung auf diesen Umstand zu stützen.[265] Einschränkungen erfährt die Drittbindung nur in Ausnahmefällen, etwa dann, wenn die präjudizierende Entscheidung nichtig ist[266] oder wenn sich aus dem Gesetz die Pflicht zur Prüfung durch den Zulassungsausschuss ergibt.[267]
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„Drittbindung“ entfaltet auch die im Verfahren gemäß § 33 Abs. 3 Ärzte-ZV erteilte Genehmigung einer Berufsausübungsgemeinschaft.[268] Im Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 3a, 4 und 6 SGB V ist deshalb nicht zu überprüfen, ob die Kriterien für eine Berufsausübungsgemeinschaft erfüllt sind und/oder ob die Berufsausübungsgemeinschaft etwa nur deshalb gegründet wurde, um von der Bestimmung des § 103 Abs. 6 S. 2 SGB V zu profitieren.[269] Die von der Genehmigung gemäß § 33 Abs. 3 Ärzte-ZV ausgehende Drittbindungswirkung ist nur dann nicht gegeben, wenn, wie im Verfahren der sachlich-rechnerischen Richtigstellung, das rein duale Verhältnis zur Kassenärztlichen Vereinigung betroffen ist. Im Rahmen eines solchen Verfahrens kann die Frage, ob die Kriterien einer Berufsausübungsgemeinschaft erfüllt waren, erneut zur Überprüfung gestellt werden.[270]
h) Bindungswirkung von rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidungen
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Die Zulassungsgremien sind auch an rechtskräftige gerichtliche Entscheidungen bspw. von Zivilgerichten gebunden. Wurde bspw. ein aus einer Berufsausübungsgemeinschaft ausgeschiedener Vertragsarzt von den verbleibenden Gesellschaftern auf der Grundlage einer entsprechenden Regelung im Gesellschaftsvertrag[271] auf Erklärung des Antrags auf Ausschreibung seines Vertragsarztsitzes und Verzicht auf seine Zulassung in Anspruch genommen und liegt eine nicht mehr angreifbare Entscheidung des Zivilgerichts vor, wird u.a. die Abgabe des Zulassungsverzichts gemäß § 894 ZPO fingiert. Von den Zulassungsgremien wird in einem solchen Fall u.a. das Ende der Zulassung festgestellt.[272] Die im Zivilprozess geltende Verhandlungs- und Beibringungsmaxime und die aus dem Zivilprozess stammende Fiktion des § 894 ZPO stehen nicht im Gegensatz zum Untersuchungsgrundsatz nach § 20 SGB X. Das Amtsermittlungsprinzip nach § 20 SGB X ist allein für die Frage von Bedeutung, ob eine Verzichtserklärung tatsächlich abgegeben wurde oder – wenn der Vertragsarzt zu deren Abgabe verurteilt worden ist – ob die Voraussetzungen des § 894 ZPO gegeben sind. Die materielle Richtigkeit rechtskräftiger Entscheidungen der Zivilgerichte haben die Zulassungsgremien nicht zu überprüfen. Zu prüfen ist allein, ob tatsächlich ein rechtskräftiges Urteil im Sinne von 894 ZPO vorliegt, welches die dort geregelte Wirkung auslöst.[273] Entsprechendes gilt bei einem Schiedsspruch im Sinne von § 1054 ZPO, nachdem er gemäß § 1060 Abs. 1 ZPO rechtskräftig für vollstreckbar erklärt worden ist,[274] sowie für eine nicht mehr anfechtbare gerichtliche Entscheidung im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens.[275]
i) Beurteilungsspielräume
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Den Zulassungsgremien werden von der Rechtsprechung vielfach Beurteilungsspielräume zuerkannt. Die gerichtliche Nachprüfung ist dann beschränkt; das Entscheidungsrecht liegt insoweit bei den Zulassungsgremien[276] Sind die Anforderungen