Grundriss Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht. Andrea Wechsler

Grundriss Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht - Andrea Wechsler


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Werk muss eine persönliche Schöpfung, also eine persönliche Leistung darstellen. Das bedeutet, dass das Werk auf der gestalterischen Tätigkeit eines Menschen, einer natürlichen Person, beruhen muss. Auf Zufall oder auf Fauna oder Flora zurückgehende Gestaltungsformen sind keine menschlich-gestalterischen Tätigkeiten und daher keine persönlichen Schöpfungen. Daher sind keine persönlichen Schöpfungen etwa:

      Beispiele:

- Eine in der Natur gefundene Wurzel, die bizarre Formen aufweist.
- Ein abstraktes „Gemälde“ eines Schimpansen oder ein solches, das durch die Schwanzbewegungen einer Kuh entstand, wobei man an deren Schwanz, unter den man Farbtöpfe gestellt, einen Pinsel gebunden hatte.

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      Der Zentralbegriff von § 2 II UrhG ist das Merkmal Schöpfung. Diese ist Ausdruck der Individualität des menschlichen Gestalters. Individualität ist ein Kernbegriff des Urheberrechts.

      Die Formulierung „nur … Schöpfung“ zeigt, dass dem Urheberrechtsschutz Alltägliches, rein handwerksmäßige oder routinemäßige Leistungen nicht zugänglich sind. Hier ermangelt es der Individualität. Derartige Fälle liegen unterhalb der Grenze der Urheberrechtsschutzfähigkeit.

      Gerade noch etwas oberhalb dieser Untergrenze liegen die Fälle der sog. Kleinen Münze des Urheberrechts. Dies sind die Werke, die mit geringer Individualität gerade noch einen zu tolerierenden Grad an Schöpfungshöhe aufweisen. Schöpfungshöhe, man spricht häufig auch von Gestaltungshöhe, ist ein bedeutsames Kriterium um zu bestimmen, ob Werkcharakter gegeben ist und damit Urheberrechtsschutz besteht.

      Schärfen wir unseren Blick für diese Problematik bezüglich der Werkuntergrenze am Beispiel der Werkart Sprachwerk: Nehmen wir einen zeitgenössischen Roman, etwa „Tod eines Kritikers“ von Martin Walser. Es dürfte wohl kaum jemand daran zweifeln, dass diesem Buch ein hohes Maß an Individualität und Gestaltungshöhe zukommt, und somit ein Urheberrecht besteht. – Setzen wir den Gegenpol: „Heute regnet es den ganzen Tag“. Dies ist ein banaler Satz mit dem Inhalt einer tatsächlichen Begebenheit. Dass dieser Satz mangels Individualität und Schöpfungshöhe als unterhalb der, Untergrenze der Urheberrechtsschutzfähigkeit liegend zu bewerten ist, dürfte wohl kaum in Frage gestellt werden. – Wie steht es aber mit der Karl-Valentin-Sentenz „Mögen hätte ich schon wollen, aber dürfen habe ich mich nicht getraut“? Der Wertung, dass dem Valentin-Satz ein wesentlich höheres Maß an Individualität und Gestaltungshöhe zukommt als dem obigen „Regenwetter-Satz“ ist wohl kaum zu widersprechen. Auch Gerichte haben bestätigt, dass der Valentin-Satz als oberhalb der Untergrenze der Urheberrechtschutzfähigkeit liegend anzusiedeln ist. Dementsprechend wurde diesem schöpferisch formulierten Satz Urheberechtschutz zugebilligt.

      Für die Beurteilung der Frage, ob eine gestalterische Leistung deutlich über, oder gerade noch so über (Kleine Münze), oder unterhalb der Untergrenze des Urheberrechtschutzes liegend zu bewerten ist, ist auf die Auffassung der für die jeweils betroffene Werkart empfänglichen und mit dieser Werkart einigermaßen vertrauten Kreise abzustellen.

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      Die Grenzziehung ist hier im Einzelfall oft recht schwierig. Der Richter, der nicht an starre Regeln gebunden ist, hat ein breites Spektrum an Bewertungsfreiheit. Für die Parteien eines Prozesses wegen einer Urheberrechtsverletzung bedeutet dies: Es ist häufig schwer zu prognostizieren, ob das Gericht die erforderliche Individualität und Schöpfungshöhe und damit die Existenz eines Urheberrechtes als gegeben ansieht. Das Prozessrisiko ist hier oft beträchtlich.

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      Der dem Werk eigene geistige Inhalt ist es, der das Wesen der geistigen Schöpfung ausmacht. Bei den Werken der Literatur und Wissenschaft kommt er im geistigen Gedankeninhalt, bei den Werken der Kunst in deren ästhetischem Gehalt zum Ausdruck. Dieser geistig-ästhetische Inhalt tritt durch schöpferische geistige Leistung zu Tage.

      Bei den Sprachwerken der Literatur und Wissenschaft kann die schöpferische Leistung einerseits in der Gedankenformung und -führung liegen, andererseits aber auch in der Form und Art der Sammlung, Einteilung und Anordnung des dargebotenen Stoffes.

      Bei den Werken der bildenden und angewandten Kunst geht es um den ästhetischen Gehalt, der den durch das Auge vermittelten ästhetischen Farb-/Formsinn anzuregen bestimmt und geeignet ist, bei Werken der Musik insbesondere um den an das Gehör gerichteten ästhetischen Ausdruck der Tonfolge.

      Auf den schöpferischen Gehalt des Inhalts der Darstellung hingegen kommt es nicht an. Der Gegenstand muss auch nicht „neu und eigenartig“ sein. Entscheidend ist allein das Vorliegen einer geistigen Leistung, die auf eigenpersönlicher Schöpfung beruht.

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      Die bloße Nachbildung fremder Vorbilder ist keine geistige Leistung auf Grund eigenpersönlicher Schöpfungskraft.

      Beispiel:

      Eine kunstgewerbliche Werkstatt (W) schnitzt und vertreibt „Museumsskulpturen“. Dies sind Reproduktionen mittelalterlicher Skulpturen, die von Museen hierzu zur Verfügung gestellt worden sind. Von diesen Erzeugnissen des W. hat der Kunstbildhauer (K) Nachbildungen in Holz geschnitzt, insbesondere die „Apfel-Madonna“.

      An den Skulpturen des 15. Jahrhunderts besteht kein Urheberrecht; sie sind gemeinfrei. K. durfte diese nachschnitzen.

      Entscheidend ist demnach, ob W. durch seine Nachbildung ein eigenes Urheberrecht an den Reproduktionen erlangt hat. Dies ist zu verneinen. Derjenige, der eine Skulptur nachschnitzt, schafft nicht aus eigener Vorstellung ein Werk, sondern wiederholt, was der Schöpfer des Originalwerkes auf Grund seiner schöpferischen Tätigkeit bereits geschaffen hat. Darin liegt aber keine persönliche geistige Schöpfung (BGHZ 44, 289, 293 – Apfel-Madonna).

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      Noch einige Ausführungen zum Thema angewandte Kunst. Dies deshalb, weil hier zum Teil massive wirtschaftliche Interessen zutage treten, so dass es nicht verwunderlich ist, dass bezüglich dieser Werkart viele Rechtstreitigkeiten geführt werden.

      Es geht hier um Gebrauchs- und Bedarfsgegenstände mit „künstlerischer Formgebung“ (Mode- und Schmuckschöpfungen, Möbel, Geschirr, z.B. ein Weißbierglas mit gläsernem Fußball …), um Figuren (Playmobil-Figuren, Alf), um Gebrauchsgrafik (Werbegrafik, Signets, Logos), auch um Kunstgewerbe (der Terminus selbst zeigt das Problem: Kunst oder Gewerbe?).

      In allen diesen Fällen geht es insbesondere um das Problem der Kleinen Münze des Urheberrechtes (Rn. 27), also um die Bewertung, ob die betreffende Formgestaltung noch oberhalb der Untergrenze des Urheberrechtsschutzes liegt. Zu diesem Problemkreis hat der BGH jüngst in einem viel beachteten Urteil seine traditionelle Rechtsprechung aufgegeben. Er hat die Messlatte der zu fordernden Gestaltungshöhe für die angewandte Kunst und für die zweckfreie bildende Kunst (Gemälde, Skulpturen) auf die gleiche Höhe gelegt, d.h.: An die Werke der angewandten Kunst dürfen grundsätzlich keine anderen – keine höheren – Anforderungen gestellt werden als an die Werke der zweckfreien bildenden Kunst (BGH v. 13.11. 2013, Az. I ZR 143/12 – Geburtstagszug). Das bedeutet: Für beide Kunstarten reicht in gleicher Weise eine Gestaltungshöhe aus, die es nach Auffassung der für Kunst empfänglichen und mit Kunstanschauung einigermaßen vertrauten Kreise rechtfertigt, von einer künstlerischen Leistung zu sprechen. Allerdings ist dabei zu berücksichtigen, dass bei der Beurteilung der Gestaltungshöhe die ästhetische Wirkung der Gestaltung nur insoweit einen Urheberrechtsschutz begründen


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