Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns

Zwangsvollstreckungsrecht, eBook - Alexander Bruns


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Anträge oder unvollkommene Artikulationen entsprechenden Parteiwillens vorliegen; völlig neue Anträge sollte das Vollstreckungsorgan nur anregen, wenn die Partei anwaltlich nicht vertreten ist oder existenzielle Gefahr droht.

      6.13

      

      Beispiele:

      Führt eine Teilungsversteigerung (hierzu Rn. 34.7) zu einem untragbaren Ergebnis, so kann das Versteigerungsgericht gemäß § 139 verpflichtet sein, auf die Möglichkeit der Antragsrücknahme bzw. Einstellungsbewilligung hinzuweisen[20]. Noch weitergehend hat das BVerfG eine Pflicht des Versteigerungsgerichts zur Vertagung eines Termins kraft Amtes bejaht, um dem Versteigerungsschuldner die Möglichkeit zu geben, vollstreckungsschützende Anträge zu stellen[21].

b) Parteiherrschaft über Vollstreckungsart und Vollstreckungsgegenstand

      6.14

      Das positive Vollstreckungsrecht geht im Grundsatz von der freien Disposition des Gläubigers über Vollstreckungsart und -gegenstand aus. Man könnte insoweit ähnlich wie bei der Gesamtschuld von der „Paschastellung“ des Gläubigers sprechen.

      Der Gläubiger kann wählen, ob er in bewegliche Sachen, Forderungen oder Immobilien vollstreckt, ohne eine Reihenfolge („gradus executionis“)[22] einzuhalten. Er kann sich ferner bei gleicher Vollstreckungsart zwischen mehreren möglichen Modalitäten entscheiden, also z.B. zwischen Überweisung zur Einziehung oder an Zahlungs statt (§ 835 Abs. 1) oder zwischen Sicherungshypothek, Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung (§ 866 Abs. 2). Er kann zumindest in den Grenzen einer Übersicherung kumulieren.

      In den §§ 888 Abs. 1, 890 entspricht die Wahl zwischen Geld und Haft als Zwangs- bzw. Ordnungsmittel zwar dem Wortlaut des Gesetzes. Hier wird man jedoch – eine Auswirkung des Verhältnismäßigkeitsprinzips – vom grundsätzlichen Vorrang des Geldes als Zwangs- und Ordnungsmittel auszugehen haben, sodass der Dispositionsgrundsatz insoweit durchbrochen ist (s. Rn. 7.7 ff.; 40.28, 40.38).

      6.15

      

      Die freie Wahl des konkreten Vollstreckungsgegenstandes folgt bei der Forderungs- und Rechtspfändung aus der Notwendigkeit der antragsmäßigen Individualisierung (§§ 828, 829) ebenso wie bei der Vollstreckung in Immobilien (§ 16 Abs. 1 ZVG); der ausnahmsweise Zugriff auf pfändungsgeschützte Forderungen unterliegt regelmäßig der Gläubigerdisposition[23]. Ein Sonderfall ist das Bestimmungsrecht des Gläubigers hinsichtlich des maßgeblichen Pfändungsschutzkontos, wenn der Schuldner gesetzeswidrig mehrere Girokonten als Pfändungsschutzkonten unterhält (§ 850k Abs. 9).

      Weniger klar ist die Befugnis zur Auswahl konkreter beweglicher Sachen durch den Gläubiger[24]; überwiegend geht man allerdings davon aus, dass der Gläubiger seinen Vollstreckungsantrag gegenständlich begrenzen kann und im Rahmen gesetzlicher Grenzen ein Wahlrecht hat[25]. Ein Wahlrecht des Gläubigers normiert die ZPO ausdrücklich bei der Austauschpfändung (§§ 811a f.), wo der Gläubiger ein Ersatzstück präsentieren muss. Das Wahlrecht des Gläubigers bei beweglichen Sachen ergibt sich letztlich aus einer Gesetzesauslegung, die auf Rechtsanalogie und Dispositionsmaxime zurückgreift, nicht aus dem positiven Recht unmittelbar; z.T. folgt es allerdings aus den Begrenzungen örtlicher Zuständigkeit des Gerichtsvollziehers (§ 154 GVG).

      6.16

      Eine Disposition des Schuldners über die Vollstreckungsart gibt es nicht, wohl aber in einzelnen Fällen eine Disposition über den konkreten Vollstreckungsgegenstand.

      Der Schuldner kann durch Antrag den Kreis vollstreckungsgeschützter Forderungen erweitern (§§ 850f, 850i, 851a, 851b) sowie den Umfang des durch das Pfändungsschutzkonto vermittelten Schutzes ausdehnen (§ 850k Abs. 4). Der Gerichtsvollzieher kann nach § 58 Abs. 2 GVGA auf Schuldnerwünsche Rücksicht nehmen, soweit Gläubigerinteressen nicht widersprechen – eine in ihrer Tragweite und Zulässigkeit fragwürdige Regelung. Eine Disposition des Schuldners über den Vollstreckungsgegenstand liegt letztlich auch vor, wenn der Schuldner bei wirksamer, aber fehlerhafter Pfändung keine Erinnerung einlegt (§ 766) und die Vollstreckung ihren Lauf nehmen lässt[26].

      6.17

      Einverständliches Parteihandeln in Vollstreckungsverträgen und damit gemeinsame Disposition im Voraus ist nach h.M. wirksam möglich bei gegenständlicher Beschränkung, nicht aber bei gegenständlichen Erweiterungen zulasten des Schuldners[27]. Die Einschränkung rechtfertigt sich gleichermaßen aus öffentlichen und individuellen Interessen, nämlich dem Schutz vor Sozialhilfefälligkeit und Übereilungsschutz[28].

      6.18

      Die Freiheit der Wahl der Vollstreckungsarten und des Gegenstandes der Vollstreckung harmoniert mit dem dezentralisierten Verfahren, in dem der Gläubiger die Art des Vorgehens bestimmt. Rechtsvergleichend[29] halten sich Länder mit oder ohne „gradus executionis“ in etwa die Waage, die Adhäsion zentralisierter Vollstreckung zu einer festgelegten Vollstreckungsfolge ist unverkennbar. Es ist bereits darauf hingewiesen, dass das Vollstreckungsrecht der früheren DDR einen gradus executionis kannte (Rn. 4.35). Auch im öffentlichen Vollstreckungsrecht der Bundesrepublik taucht er abgeschwächt auf[30]. Aus dem verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz lässt sich zu Gunsten eines gradus executionis jedenfalls insoweit nichts herleiten, als der Schuldner der schweren Vollstreckungsmaßnahme jederzeit dadurch ausweichen kann, dass er die mildere Liquidationsform selbst wählt und vollzieht[31]. Eine Reform sollte die Flexibilität der Vollstreckung nicht durch einen gradus executionis lähmen (Rn. 4.7; 4.10).

      6.19

      Man ist sich heute im Grundsatz darüber einig, dass die präventive Parteidisposition über das Vollstreckungsverfahren insoweit ausgeschlossen ist, als öffentliche Interessen in Gestalt von Rechtssicherheit, Rechtsklarheit und Schuldnerschutz betroffen sind.

      Es ist deshalb unmöglich, in Prozess- bzw. Vollstreckungsverträgen Vollstreckungsvoraussetzungen zu derogieren oder den numerus clausus der Vollstreckungsarten bzw. den vollstreckungsrechtlichen Typenzwang zu modifizieren[32]. Der Schuldnerschutz ist sicher grundsätzlich im Voraus unabdingbar – der Streit geht hier mehr ums Detail. Der Gesetzgeber hat die Disposition über Verfahrensmodalitäten ausdrücklich nur in Ausnahmefällen zugelassen (§§ 816 Abs. 2, 825). Die Disposition durch Nichteinlegen von Rechtsbehelfen nach Verfahrensfehlern bleibt den Parteien hingegen stets möglich. Die Situation unterscheidet sich nicht im Grundsatz vom Erkenntnisverfahren, wohl aber in der Häufigkeit, mit der öffentliches Interesse einverständlichem Parteihandeln entgegensteht. Dies mag mit der Unmittelbarkeit des Eingriffs zusammenhängen, die das Vollstreckungsrecht vor dem Erkenntnisverfahren auszeichnet und das öffentliche Interesse an fester Form verstärkt und rechtfertigt.

      6.20

      Unter


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