Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns

Zwangsvollstreckungsrecht, eBook - Alexander Bruns


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Öffentlichkeit Freier Zugang für Dritte oder die Parteien Öffentlichkeit nur ausnahmsweise; Grundsatz der Parteiöffentlichkeit mit Beschränkungen Beschleunigungsgrundsatz Zeitliche Konzentration der Vollstreckungsakte Unvollkommene Verwirklichung, keine Fristen; s. aber §§ 720a, 845 a) Parteiherrschaft über Anfang und Ende der Vollstreckung

      6.6

      Die Vollstreckung setzt immer einen Antrag voraus[6]. Die Rücknahme des Antrags führt zur Aufhebung der Vollstreckungsmaßnahme[7], der Verzicht des Gläubigers auf ein Pfandrecht führt zum Erlöschen oder zur Aufhebung der Pfändung[8]. Der Gläubiger kann schließlich u.U. die bereits begonnene Vollstreckung einstweilen einstellen lassen, wobei die Grenze zur materiellrechtlichen Stundung des vollstreckbaren Anspruchs praktisch zerfließt[9].

Übersicht 5: Die besonderen Verfahrensgrundsätze im Vollstreckungsrecht
Grundsatz Inhalt Verwirklichung, Besonderheiten oder Ausnahmen
Prioritätsgrundsatz Befriedigung nach zeitlicher Reihenfolge (Gegensatz: Gleichrang) Relativ reine Verwirklichung (z.B. §§ 804 ZPO, 11 ZVG; §§ 938 ZPO, 883 ff., 899 BGB)
Naturalvollstreckung und Geldliquidation Befriedigung möglichst in Natur oder nur – wie bei Insolvenz – in Geldwert Weitgehende Verwirklichung (§§ 883 ff., 887 ff.) Freie Wahl des Schadensersatzes (§ 893)
Dezentralisierung oder Zentralisierung? Vielzahl selbstständig arbeitender Vollstreckungsorgane oder zentrales Leitorgan Reine Verwirklichung der Dezentralisierung
Formalisierung Ausschluss der Prüfung materieller Rechtsfragen im Verfahren Weitgehende Verwirklichung gegenüber Parteien und Dritten (§§ 704, 750, 808, 828, 829 ZPO, 28 ZVG; §§ 767, 771). – Probleme: Rechtsmissbräuchliche Vollstreckung; „Evidenzkontrolle“
Numerus clausus der Vollstreckungsarten Typenzwang und Typenfixierung Volle Geltung wegen Gesetzmäßigkeitsgrundsatz
Beschränkter Vollstreckungszugriff Schutz vor Zugriff auf persönliche und existenznotwendige Gegenstände und vor Kosten Geltung beruht auf Schuldnergrundrechten; z.B. §§ 811, 850 ff.; §§ 803 Abs. 2 ZPO, 77 ZVG
Formgebundene Verwertung Verwertung „freihändig“ oder nach festen Regeln Weitgehende Formbindung (§§ 814 ff., 835 ff. ZPO; ZVG); wenige Ausnahmen (z.B. §§ 825, 844)
Effektive Verwertung Schutz vor unterwertiger Veräußerung Zusammenhang zum Verhältnismäßigkeitsgrundsatz; Verwirklichung in §§ 812, 813, 817a ZPO, 30c, 74a, 85, 85a ZVG

      6.7

      

      Die Herrschaft des Gläubigers über Anfang und Ende des Verfahrens gilt im Grundsatz in allen vergleichbaren Staaten[10]. Sie steht in engem Zusammenhang mit der materiellrechtlichen Verfügungsbefugnis und ist Bestandteil der Privatautonomie. Art. 2 Abs. 1 GG garantiert die Möglichkeit des Rechtsverzichts und insoweit auch des Vollstreckungsverzichts, dessen genaue verfahrensrechtliche Einkleidung allerdings dem Gesetzgeber überlassen bleiben muss.

      6.8

      Natürlich kann der Schuldner das Vollstreckungsverfahren durch Befriedigung des Gläubigers beenden, wobei hier das Ende der Vollstreckung die Konsequenz materiellrechtlicher Erfüllung ist[11]. Es gibt für ihn aber auch die Möglichkeit, durch Antrag zeitlichen Aufschub zu erwirken, den er stellen kann, aber durchaus nicht stellen muss[12].

      6.9

      Die Parteidisposition über den Antrag schließt nach h.M. nicht ohne weiteres die Befugnis zur entsprechenden vertraglichen Vereinbarung ein. Der Gläubiger soll zwar in Vollstreckungsverträgen zeitliche Beschränkungen und Modalitäten vereinbaren, auf die Vollstreckung des bestehenden Titels verzichten, aber nicht von vornherein jede Vollstreckung vertraglich ausschließen können[13].

      6.10

      Angesichts möglicher materiellrechtlicher Vereinbarungen erscheint diese Einschränkung zunächst bedenklich, sie gewinnt aber an Sinn, wenn man sich das öffentliche Interesse vergegenwärtigt, schon im Erkenntnisverfahren abschließend zu entscheiden und nicht nach zusprechendem Erkenntnis ein entwertendes vollstreckungsrechtliches Rechtsbehelfsverfahren anzuschließen.

      Einig ist man sich darin, dass der Schuldner nicht im Voraus auf seine dilatorischen Dispositionsmöglichkeiten verzichten kann, wobei sich diese Verfestigung des Sozialschutzes aus individuellen und öffentlichen Interessen gleichermaßen rechtfertigen lässt.

      6.11

      Ganz vereinzelt verwirklicht das positive Recht bei der Entscheidung über Anfang und Ende der Vollstreckung die Offizialmaxime. So kann das Gericht von Amts wegen Räumungsfrist gewähren (§ 721) oder es kann die beantragte Einstellung von Amts wegen an Auflagen knüpfen (§ 30a Abs. 3, 4, 5 ZVG) und damit letztlich ein minus und aliud gegenüber dem Schuldnerantrag anordnen.

      6.12

      Im Erkenntnisverfahren mildert § 139 mit seiner richterlichen Hinweispflicht die Bürde der Parteiverantwortung; die Dispositionsmaxime kann zum Rechtsverlust führen, wenn die Partei falsch disponiert. Dabei soll hier offen bleiben, ob § 139 die Dispositionsmaxime erst richtig erfüllt, indem er durch Information freie Entscheidung ermöglicht[14], oder ob § 139 als Einbruchstelle der Offizialmaxime zu betrachten ist[15]. Die Geltung des § 139 im Vollstreckungsverfahren kann ernsthaften Zweifeln nicht unterliegen: § 139 findet sich im Ersten Buch der „Allgemeinen Vorschriften“ und gilt folglich auch für die „Zwangsvollstreckung“ des Achten Buches, das in § 866 Abs. 1 das ZVG als inhaltlichen Teil der ZPO ausweist (s. Rn. 2.22 ff.).[16] Im Erkenntnisverfahren ist davon auszugehen, dass Parteidisposition und damit Parteiverantwortung ohne jede richterliche Hinweispflicht mit der Gewährleistung eines fairen Verfahrens, wie sie das BVerfG den Grundrechten i.V. mit dem Rechtsstaatsprinzip entnimmt[17], nicht harmoniert[18]. Im Vollstreckungsverfahren kann man schwerlich anderes vertreten. Damit ist der Streit um Inhalt und Grenzen


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