Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns

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Einbezogene Dritte

      5.27

      In bestimmten Fällen greift die Vollstreckung in Rechtsverhältnisse des Vollstreckungsschuldners zu Dritten ein und gestaltet sowohl die prozessuale Stellung als auch die materiellrechtlichen Rechtsverhältnisse um, indem sie Rechte und Pflichten der Parteien verändert. Typische Beispiele sind die Stellung des Drittschuldners bei Forderungspfändungen (§§ 829 Abs. 1 S. 1, 836, 840–842, 847, 848, 850k), die Stellung des drittberechtigten Gläubigers bei verschleiertem Arbeitseinkommen (§ 850h), das Kündigungsrecht bei Gesellschaftsbeteiligung (§ 725 BGB) oder das Aufhebungsrecht bei Gemeinschaftsbeteiligung (§ 751 S. 2 BGB). Die Normen sind unabhängig vom Ort ihrer Kodifikation entsprechend der Typik ihrer Rechtsfolgen dem materiellen Recht oder Prozessrecht zuzuordnen.

      § 6 Grundsätze der Einzelvollstreckung

      Schrifttum:

      Stürner, Prinzipien der Einzelvollstreckung, ZZP 99 (1986), 291 ff.; Gaul, Rechtsverwirklichung durch Zwangsvollstreckung aus rechtsgrundsätzlicher und rechtsdogmatischer Sicht, ZZP 112 (1999), 135 ff.

      S. Übersichten 4 und 5, Rn. 6.5 und 6.6.

I. Verfahrensgrundsätze und Dogmatik des Einzelvollstreckungsrechts

      6.1

      Die Lehre von Verfahrensgrundsätzen hat im Einzelvollstreckungsrecht ähnlich wie im Insolvenzrecht[1] keine oder doch nur sehr kurze Tradition. Gleichwohl beginnt sich die Erkenntnis von der Sinnhaftigkeit solcher Grundsätze mehr und mehr Bahn zu brechen[2]. Die Verfahrensgrundsätze sind der Maßstab für Gleichbehandlung und Differenzierung bei der Einzelfalllösung. Sie sind kein einförmiges Schema, das dem Einzelfall schablonenhaft übergestülpt wird; denn nur selten ist ein Verfahrensgrundsatz rein verwirklicht, oft lässt eine gesetzliche Regelung gegenläufigen Prinzipien mehr oder weniger Raum. Wo indessen die Frage nach den Leitlinien einer rechtlichen Regelung verstummt, geht früher oder später ihr Verständnis verloren, die Rechtsregel wird zum leeren Formalismus. Auch eine Reformdiskussion kann sinnvoll nur vor dem Hintergrund historisch gewachsener Grundsätze eines Rechtsgebietes geführt werden.

      6.2

      Wenn man von Grundsätzen der Einzelvollstreckung spricht, so sind diese Grundsätze und ihre Ausgestaltung notwendigerweise auf das „eigentliche“ Vollstreckungsverfahren bezogen, gelten also nicht für die Rechtsbehelfsverfahren zur Kontrolle der Vollstreckungsakte bzw. ihrer Verweigerung[3]. Die Verfahren der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe sind weithin von Grundsätzen beherrscht, wie sie vom zivilprozessualen Erkenntnisverfahren oder vom verwaltungsgerichtlichen Verfahren bekannt sind.

      6.3

      Manche Grundsätze des Vollstreckungsverfahrens beschreiben gesetzgeberische Grundentscheidungen, wie sie bei jedem Parteiverfahren zu treffen sind, und begegnen deshalb auch in der Dogmatik des Erkenntnisverfahrens, ohne dass allerdings ihre Ausgestaltung und Wirkung im Erkenntnis- und Vollstreckungsverfahren gleich wäre (z.B. Parteidisposition, Partei- und Amtsbetrieb, Verhandlungs- und Inquisitionsgrundsatz, Einseitigkeit und rechtliches Gehör etc.). Andere Grundsätze wiederum sind Ausdruck spezifisch vollstreckungsrechtlicher Fragestellung, Parallelen finden sich u.U. im Insolvenzverfahren (z.B. Zentralisierung – Dezentralisierung, Formalisierung, Priorität und Gleichrang, beschränkter Vollstreckungszugriff, effektive Verwertung etc.)[4].

      6.4

      Natürlich beansprucht die Verfassung auch im Vollstreckungsverfahren Geltung (hierzu Rn. 7.1 f.). Insbesondere im Eingriffsverhältnis zwischen Staat und Schuldner (Rn. 5.12 ff.), aber auch im Verhältnis zwischen Gläubiger und Staat sind die Grundrechte und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die verfassungsrechtliche Problematik ist durch die Grundrechtskollision zwischen Gläubiger und Schuldner gekennzeichnet. Die Verfassung mit ihren Grundsätzen gilt aber in jedem Bereich einfachen Rechts, ihre Konkretisierung fällt jedoch sehr unterschiedlich aus. Die Grundsätze der einzelnen Rechtsgebiete wollen diese Konkretisierung leisten, sie sind folglich gegenüber dem breiten Maßstab der Verfassung die spezifischeren Größen. Es ist deshalb nicht sachgerecht, verfassungsrechtliche Grundsätze, wie z.B. die Verhältnismäßigkeit oder das rechtliche Gehör, zu Prinzipien des Vollstreckungsrechts zu erklären[5]. Auf den Zusammenhang einzelner vollstreckungsrechtlicher Grundsätze mit verfassungsrechtlichen Grundlagen wird im Einzelnen zurückzukommen sein.

II. Allgemeine Verfahrensgrundsätze

      Schrifttum:

      Wieser, Die Dispositionsbefugnis des Vollstreckungsgläubigers, NJW 1988, 665.

      6.5

      Die Dispositionsmaxime beschreibt die Parteiherrschaft über das „Ob“, den Gegenstand und das „Wie“ des Verfahrens. Im Geltungsbereich der Offizialmaxime bestimmen hingegen Behörden oder Gerichte über Anfang, Ende und den Gegenstand des Verfahrens.

Übersicht 4: Die allgemeinen Verfahrensgrundsätze im Vollstreckungsrecht
Grundsatz Inhalt Verwirklichung, Besonderheiten oder Ausnahmen
Parteidisposition Herrschaft der Parteien über „Ob“, Gegenstand und „Wie“ des Verfahrens Herrschaft der Parteien über Verfahrensbeginn und Verfahrensende – Hilfestellung durch Vollstreckungsorgane (§ 139) – freie Wahl der Vollstreckungsart und des Gegenstandes durch Gläubiger – Einschränkung von Parteivereinbarungen durch öffentliches Interesse
Amtsbetrieb oder Parteibetrieb? Verantwortlichkeit für Fortgang des Verfahrens Amtsbetrieb mit nur ganz singulären Ausnahmen (z.B. § 829 Abs. 2 S. 1)
Beibringung oder Inquisition? Einbringung der Tatsachen und Beweismittel durch Parteien oder Vollstreckungsorgane Grundsatz der Beibringung durch die Parteien – Abmilderung durch § 139 – Inquisition als Ausnahme (z.B. Gerichtsvollzieher, §§ 802a ff.)
Einseitigkeit oder kontradiktorisches Verfahren? Gehör des Schuldners vor Verfahrensakt oder Gehör nur des Gläubigers Grundsatz der Einseitigkeit mit regelmäßig nachträglichem Gehör des Schuldners
Schriftlichkeit oder Mündlichkeit? Form der Antragstellung und Entscheidungsvorbereitung Antragstellung früher größtenteils formfrei, z.T. schriftlich,
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