Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns
aus der Friedlosigkeit und außergerichtlichen Pfandnahme Formen der Reaktion auf den Rechtsbruch, die eher vollstreckungsrechtlichen Vorstellungen entsprechen. Die Gläubigerpfändung beweglicher Habe wird entweder an richterliche Erlaubnis und einschränkende Voraussetzungen gebunden oder ganz verboten. Neben sie oder an ihre Stelle tritt die Pfändung durch den „Grafen“ als Gerichtsperson. Die Pfändung verwandelt sich mehr und mehr in Konfiskation zum Zwecke der Gläubigerbefriedigung. Aus der Friedlosigkeit, die die Person rechtlos stellte und dabei auch das Grundvermögen der Allgemeinheit zufallen ließ, entstanden Grundstücksbann und Fronung: Immobilien, die nach Friedlosigkeit dem König verfallen sind, werden zu Gunsten der Gläubigerbefriedigung ganz oder teilweise verwendet, nach und nach setzt eine Verselbstständigung dieses Zwangsmittels zu einer Art Liegenschaftsvollstreckung ein. In manchen Rechten entwickelt sich eine Befriedigungsreihenfolge: zuerst Fahrhabe, dann Liegenschaften. Als Form der Personalvollstreckung kennen die Volksrechte – wohl eine Fortentwicklung der Friedlosigkeit – die Preisgabe des Schuldners: er wird in persönliche Verwahrung genommen und bei fehlender Auslösung dem Gläubiger überliefert. Die Preisgabe ist wiederum der historische Vorläufer der Schuldhaft, die den Schuldner zum persönlichen Pfand bis zur Auslösung macht, und der Schuldknechtschaft, die den Schuldner seine Schuld abarbeiten lässt.
2. Mittelalterliche Rechtsentwicklung
3.11
Die mittelalterliche Rechtsentwicklung, wie sie sich in Rechtsbüchern, Stadtrechten und Weistümern präsentiert, ist reichlich unübersichtlich und aus vielerlei Quellen und Traditionen gespeist, wobei das Vordringen des italienisch-kanonischen und römischen Verfahrensrechts eine rein „germanische“ Entwicklung ausschließt. Jedoch lassen sich einige vollstreckungsrechtliche Grundlinien nachzeichnen.
Man muss wohl drei Grundsysteme des Vollstreckungszugriffs unterscheiden, die sich in den einzelnen Rechtsgebieten teilweise ausschlossen, in anderen nebeneinanderstanden und sich im historischen Ablaufe ablösten. Die erste Form des Vollstreckungszugriffs ist das Ungehorsamsverfahren, das bei Verweigerung des Gehorsams gegen gerichtliche Ladungen und bei Ungehorsam gegenüber Schuldurteilen greift; es handelt sich um eine Form der Personalvollstreckung, welche in der Friedlosigkeit des frühen germanischen Rechts ihre Grundlage haben könnte: wer das Urteilserfüllungsgelöbnis brach oder dem richterlichen Gebot auf Urteilserfüllung nicht folgte, wurde mit Stadtverweisung, Bußgeld, Haft etc. bestraft. Bei anerkannter oder offenkundiger Schuld konnte der Richter auch ohne Urteilsspruch ein entsprechendes Gebot mit Strafsanktion erlassen. Die zweite wichtige Form des Vollstreckungszugriffs ist die außerprozessuale Gläubigerpfändung. Sie ist bereits als Form frühzeitlicher Selbsthilfe und Pfändung vorgestellt, und manches spricht für historische Kontinuität von der Frühzeit bis zum Mittelalter. Diese Gläubigerpfändung bedurfte aus Gründen des Rechtsfriedens nach und nach richterlicher Erlaubnis und wurde formalisiert (Richterstab, Richterbote, Stadtknecht, Weibel etc.). Die Rückdrängung der Eigenmacht des Gläubigers zeigte sich auch darin, dass die Voraussetzungen solcher Pfändung vielfach und stetig erschwert wurden: Beschränkung auf nicht geleugnete Schuld („gichtige Schuld“); Zwischenschaltung eines Prüfungsverfahrens (Zeugen, Schuldner – Verhör etc.: „kundliche Schuld“); Beschränkung auf öffentlich beurkundete Schuld; widerspruchslose förmliche Mahnung oder richterliche Zahlungsaufforderung, welche die Schuld unleugenbar macht. Die Zwischenschaltung des provisorischen Prüfungsverfahrens zeigt einen fließenden Übergang zum ordentlichen Prozess auf Widerspruch des Schuldners gegen die außergerichtliche Pfändung. Erleichterungen der außerprozessualen Pfändung folgen aus der Generalhypothek und aus exekutivischen Klauseln. Die Generalhypothek gestattete dem Gläubiger vor allem den erleichterten Zugriff auf Immobilien, die nicht ohne weiteres außergerichtlicher Pfändung unterlagen; die Pfändungsklausel enthielt den Verzicht auf Widerstand gegen die Pfändung. Die dritte Form des Vollstreckungszugriffs ist die Pfändung auf gerichtliches Verfahren, die vor allem in den Stadtrechten des Spätmittelalters die außergerichtliche Pfändung voll verdrängte und teilweise neben dem Ungehorsamsverfahren stand, teilweise mit ihm eigenartige Verbindung einging, teilweise auch das Ungehorsamsverfahren ganz ablöste.
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Die Pfändung erfolgt zuerst durch den Gläubiger mit richterlicher Erlaubnis, in der weiteren Entwicklung immer mehr durch den Richter selbst bzw. seinen Büttel, vereinzelt dann auch durch Pfändungsbeamte in eigener Verantwortung. Um Überpfändungen zu vermeiden, gab es Schätzungsleute, die den Wert der Pfändungsgegenstände schätzten; vermutlich haben sie sich aus den Pfändungszeugen der Parteien entwickelt, waren aber später amtlich bestellt (Schöffen), bis ihre Funktion schließlich von Pfändungsbeamten wahrgenommen wurde. Die Auswahl der Pfändungsgegenstände lag beim Gläubiger, nur vereinzelt hatte der Schuldner oder der Richter Auswahlrechte. Unpfändbare Gegenstände kannte das Mittelalter nicht oder kaum, die Pfändungsbeschränkungen mancher Volksrechte für Vieh überlebten nicht bis ins Mittelalter. Dritte konnten regelmäßig der Pfändung widersprechen, wenn die Fahrnis entwehrt oder ihr Eigentum notorisch war. Die Höhe der Pfändung war anfangs noch vom Strafgedanken der Fehde und Friedlosigkeit mitbestimmt, sodass der doppelte Betrag der Schuld pfändbar war (Doppelpfändung), ein Rechtsgedanke, der sich in vielen Gebieten lange hielt, teilweise in Gestalt der Erhöhung um ein Drittel (Drittpfennigsrecht); in manchen Rechten waren später neben der Schuldhöhe die Pfändungskosten miteinzurechnen, wie sie mit dem Wegfall unentgeltlicher Rechtspflege allmählich entstanden. Nach der Pfändung – sie erfolgt regelmäßig durch Wegnahme, seltener als symbolische Pfändung – hat der Schuldner ein Einlösungsrecht. Die Frist liegt zwischen einer Woche und sechs Wochen, es gibt aber Fristkürzungen und Fristwegfall bei bestimmten Pfandgegenständen und Rechtssachen (z.B. Säumnissachen). Manche Rechte steigern das Einlösungsrecht zur Pflicht des Gläubigers zum Einlösungsangebot vor Pfandverfall bzw. Pfandverkauf. Als Verwertungsform ist der Pfandverfall zum Schätzpreis historisch älter als der Pfandverkauf durch den Gläubiger, vereidigte Verkäufer, den Weibel oder das Gericht. Für den Westen und Süden typisch ist das Wiederkaufsrecht des Schuldners beim Käufer des Pfandes. Die Pfandwehr des Schuldners führte zu einer richterlichen Überprüfung der Pfändungsvoraussetzungen, die bei außerprozessualer Pfändung bis zum Prozess über die Schuld reichen konnte. Die unberechtigte Pfandverweigerung hatte Ungehorsamsstrafen zur Folge, also letztlich Personalexekution (Landesverweisung, Gefängnis etc.); Zwangspfändung mit Einsatz unmittelbarer Gewalt kennt erst das Spätmittelalter.
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Die Liegenschaftsvollstreckung, die sich aus der Fronung der Karolingerzeit entwickelte, soll nach den meisten mittelalterlichen Quellen der Pfändung der Fahrhabe nachfolgen. Die Personalvollstreckung in Gestalt der Schuldhaft und der Schulddienstbarkeit mit Abarbeitung der Schuld ist regelmäßig subsidiär.
III. Der italienisch-kanonische Prozess
Schrifttum:
Endemann, Das deutsche Zivilprozessrecht, 1868, § 252 II; Picker, Die Drittwiderspruchsklage in ihrer geschichtlichen Entwicklung als Beispiel für das Zusammenwirken von materiellem Recht und Prozessrecht, 1981, S. 87 ff.; Münch, Vollstreckbare Urkunde und prozessualer Anspruch, 1989, S. 24 ff.; s.a. Rn. 3.29.
3.14
Die Vollstreckung des italienisch-kanonischen Prozesses, wie er sich auf der Basis des römischen Rechtes in Oberitalien auszubilden begann und vor allem durch die – auch weltliche Sachen erfassende – kirchliche Gerichtsbarkeit nach Deutschland gelangte, ist anders als das Erkenntnisverfahren weniger beschrieben und erforscht. Die Vollstreckung knüpft an die Autorität des Gerichtes und greift voll auf das Privatvermögen zu, allerdings unter tunlichster Schonung des Schuldners. Grundlage des Vollstreckungsverfahrens ist die kognitiale Vollstreckung des römischen Rechts. Die Vermögensvollstreckung ist – außer bei Überschuldung – Einzelvollstreckung. Neben der Vollstreckung auf Herausgabe bestimmter Sachen steht die Geldkondemnationsvollstreckung durch Pfändung. Vorab zu pfänden ist Geld,