Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns

Zwangsvollstreckungsrecht, eBook - Alexander Bruns


Скачать книгу
der Verwaltungsakte der Bundesbehörden das Verwaltungsvollstreckungsgesetz (VwVG) vom 27.4.1953 (BGBl. I 157) maßgebend. Von der Finanzverwaltung einzuziehende Forderungen (also insbes. solche aus Steuerbescheiden) werden ausschließlich nach den Bestimmungen der Abgabenordnung vollstreckt (§§ 249 ff. AO). Bedient sich eine Bundesbehörde zur Vollstreckung einer Landesbehörde, so ist das landesrechtliche Verwaltungsvollstreckungsgesetz anzuwenden (§ 5 Abs. 2 VwVG). Bei der Vollstreckung öffentlich-rechtlicher Geldforderungen nach dem VwVG erlässt die Behörde die „Vollstreckungsanordnung“ (§ 3 VwVG); die Beitreibung im Einzelnen richtet sich dann nach der Abgabenordnung (§ 5 Abs. 1 VwVG i.V.m. §§ 249 ff. AO). Verwaltungsakte, die auf ein Handeln, Dulden oder Unterlassen gerichtet sind, bedürfen einer solchen besonderen „Vollstreckungsanordnung“ nicht, sie sind per se vollstreckbar, wenn sie unanfechtbar oder sofort vollziehbar sind (§ 6 Abs. 1 VwVG). Vollstreckungsmittel sind hier die Ersatzvornahme, das Zwangsgeld oder als ultima ratio der unmittelbare Zwang (§§ 9–12 VwVG), jeweils nach vorangegangener schriftlicher Androhung (§ 13 VwVG).

      2.39

      Der entscheidende Unterschied der Verwaltungsvollstreckung zu der Zwangsvollstreckung gerichtlicher Titel besteht darin, dass der Verwaltungsakt selbst die Grundlage für die Zwangsvollstreckung abgibt. Die Verwaltungsbehörde braucht sich also – anders als der Bürger – nicht an das Gericht zu wenden, um einen für die Vollstreckung geeigneten Titel zu erwirken.

      Die Behörde ist „ihr eigenes Vollstreckungsorgan“. Dies ist erträglich[24], weil der Betroffene die Möglichkeit hat, schon den Leistungsbescheid (z.B. den Steuerbescheid) oder den ihn zu einer sonstigen Handlung verpflichtenden Verwaltungsakt (z.B. die Abbruchsverfügung) vor dem dafür jeweils zuständigen Gericht (Finanzgericht, Verwaltungsgericht) anzufechten; die Vollstreckbarkeit ist dann regelmäßig (vgl. § 80 VwGO und die dort genannten Ausnahmen) bis zum Abschluss des Anfechtungsverfahrens aufgeschoben. Die Vollstreckungsakte begreift die h.M. überwiegend als Verwaltungsakte, sodass formelle und materielle Einwände, wie sie §§ 766, 767 entsprechen, durch verwaltungsgerichtliche Klage geltend zu machen sind[25].

      2.40

      Die Vollstreckungsvorschriften des Verwaltungsverfahrensrechts ordnen vielfach die Anwendung des Vollstreckungsrechts der ZPO und des ZVG an. Darüber hinaus sind teilweise auch Organe der zivilprozessualen Vollstreckung im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung zur Mitwirkung berufen. Insgesamt ergibt sich ein recht wirres und uneinheitliches Bild.

      Die Vollstreckungsvorschriften der AO, auf die wiederum § 5 Abs. 1 VwVG für die Vollstreckung von Geldforderungen allgemein verweist, erklären neben einigen allgemeinen Vollstreckungsvorschriften (§§ 262 ff. AO: §§ 737, 739, 740, 741, 743, 744a, 745, 747, 748, 769, 770, 778, 779, 781–784) insbesondere die Pfändungsschutzvorschriften (§ 295 AO: §§ 811 ff.; § 319 AO: §§ 850–852) und die Vorschriften über Immobiliarzwangsversteigerung für anwendbar (§ 322 AO: §§ 864–871, ZVG), ferner die Regeln des Verteilungsverfahrens (§§ 308 Abs. 4, 320 Abs. 2 AO: §§ 853 ff., 873 ff.). Nach § 66 Abs. 1 und 4 SGB X können Sozialbehörden bei der Vollstreckung ihrer Verwaltungsakte zwischen der Vollstreckung nach VwVG und ZPO wählen[26]. Soweit öffentlichrechtliche Forderungen dem ordentlichen Rechtsweg zugewiesen sind, entfällt richtigerweise eine Vollstreckung nach dem VwVG, es gelten ZPO-Regeln (§ 1 Abs. 2 VwVG).

      Die Anwendbarkeit zivilprozessualer Vollstreckungsregeln ist von der Zuständigkeit von Vollstreckungsorganen der ordentlichen Gerichtsbarkeit zu unterscheiden; beides kann, muss aber durchaus nicht zusammenfallen. Wichtige Beispiele der Zuständigkeit ordentlicher Gerichte[27]: Zwangsversteigerung von Grundstücken (§ 322 Abs. 3 AO); Anordnung der Wohnungsdurchsuchung (§ 287 Abs. 4 AO)[28], Ersatzzwangshaft bei Uneinbringlichkeit von Zwangsgeld (§ 334 Abs. 2 AO; anders § 16 Abs. 3 VwVG); Verteilungsstreitigkeiten (§§ 308 Abs. 4, 320 Abs. 2 AO)[29].

      § 3 Die Geschichte der Einzelvollstreckung

      3.1

      Die Beschäftigung mit der Geschichte des Vollstreckungsrechts soll die rechtskulturelle Einbettung veranschaulichen und verhindern helfen, dass dieses Rechtsgebiet als „technisches Recht“ missverstanden, gelehrt und praktiziert wird. Die wissenschaftliche Diskussion um die Grundstruktur, die verfassungsmäßigen Vorgaben und punktuelle oder generelle Reformen des Vollstreckungsrechts sollte die historische Genese des gegenwärtigen Rechts und ihre spezifischen Erfahrungen immer im Auge behalten, will sie nicht alte Irrwege und Irrtümer wiederholen. Auch die Rechtsvergleichung (§ 59), die gerade im Rahmen einer europäischen Einigung und Rechtsangleichung für das Verfahrensrecht wachsende Bedeutung haben wird, lässt sich vor dem Hintergrund gemeinsamer Rechtsgeschichte und ihrer Rezeptionsvorgänge gründlicher und leichter betreiben. Die lehrbuchmäßige Darstellung einer Vollstreckungsrechtsgeschichte wird ähnlich wie im Insolvenzrecht (hierzu Bd. II § 3) dadurch erschwert, dass vielfach neuere Forschungen fehlen, weil das Verfahrensrecht generell und insbesondere das Vollstreckungsverfahren in den letzten Jahrzehnten weniger im Zentrum rechtshistorischer Bemühungen gestanden hat.

      Schrifttum:

      Kaser/Hackl, Das Römische Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1996, §§ 20, 21, 56–61, 76, 96; Endemann, Das deutsche Zivilprozessrecht, 1868, §§ 252 I, 254 I; Wetzell, System des ordentlichen Zivilprozesses, 1878, § 50; Picker, Die Drittwiderspruchsklage in der geschichtlichen Entwicklung als Beispiel für das Zusammenwirken von materiellem Recht und Prozessrecht, 1981, S. 61 ff.; Münch, Anspruch und Rechtspflicht, 1995, § 3; s.a. Rn. 3.29.

      3.2

      Das altrömische Legisaktionenverfahren kannte eine Vermögensvollstreckung (Realexekution) nur ansatzweise. War auf die actio in rem die Rechtsinhaberschaft des Klägers festgestellt, so konnte er auf die Sache zugreifen, dem vorenthaltenden Besitzer drohte die Verfolgung wegen furtum (Diebstahl), bei Immobilien unmittelbarer Zwang. Zur Durchsetzung öffentlicher oder sakraler Ansprüche konnte sich der Gläubiger an einzelnen Vermögensgegenständen eine Art Besitzpfand verschaffen, das den Schuldner zur Auslösung zwang (legis actio per pignoris capionem). Von diesen Ausnahmen abgesehen galt im Grundsatz die Personalvollstreckung, die den Schuldner durch persönlichen Zwang zur Erfüllung oder Auslösung anhalten sollte. Der Gläubiger, der sich auf ein Urteil, ein Anerkenntnis (confessio in iure) oder einen vollziehbaren Anspruch („Libralakt“) berufen konnte, beantragte bei Gericht die Privathaft des Schuldners (legis actio per manus iniectionem); diese actio setzte allerdings voraus, dass eine Lösungssumme in Geld bestimmt war, die dem Schuldner die Haftauslösung gestattete (arbitrium litis aestimandae). Aus dieser Auslösungssumme entwickelte sich später der Grundsatz der Geldhaftung (condemnatio pecuniaria), der dann die Naturalhaftung in der weiteren europäischen Rechtsentwicklung in den Hintergrund treten ließ und im angloamerikanischen Rechtskreis durch specific performance und injunction, im romanischen Rechtskreis durch „astreinte“ erst in der jüngeren Neuzeit entscheidende Beschränkung erfahren hat. Der Schuldner kann sich ursprünglich gegen die manus iniectio nur mittels eines Dritten wehren (vindex), der für ihn die Voraussetzungen der manus iniectio bestreitet, muss dann aber bei Unterliegen das Doppelte zahlen („infitiando lis crescit in duplum“). Fehlt die Auslösung oder unterliegt der vindex, so ordnet der Prätor die Privathaft endgültig an („addictio“): der Schuldner wird 60 Tage gefangen gehalten, kommt es im Laufe dieser Frist oder an ihrem Ende nach dreimaliger Auskündigung nicht zur Lösung, wird der Schuldner getötet oder als Sklave verkauft. Die Härte dieser Regelung der XII-Tafel-Gesetze, deren Realisierung etwas im


Скачать книгу