Zwangsvollstreckungsrecht, eBook. Alexander Bruns
formal abgegrenzt: Im zivilprozessualen Zwangsvollstreckungsverfahren, also nach den Vorschriften des 8. Buches der ZPO, werden die Urteile der Zivilgerichte und die anderen in § 794 genannten Titel vollstreckt. Gleichgültig ist es, ob der in dem Titel verbriefte Anspruch dem öffentlichen oder dem privaten Recht angehört.
Diese Feststellung ist bedeutsam, weil den Zivilgerichten durch die Gesetze verschiedentlich auch die Entscheidung über öffentlichrechtliche Ansprüche zugewiesen ist. Auch Urteile über solche Ansprüche sind nach den Vorschriften der ZPO zu vollstrecken.
b) Entscheidungen in Familiensachen sowie der freiwilligen Gerichtsbarkeit
2.29
Die Vollstreckung der Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit sowie von Entscheidungen in Familiensachen richtet sich grundsätzlich nach dem FamFG, wobei umfassende Verweise die Anwendbarkeit der Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung vorsehen. So bestimmt § 120 Abs. 1 FamFG, dass die Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und Familienstreitsachen den Vorschriften der ZPO unterliegt. Im Übrigen richtet sich die Vollstreckung nach den §§ 86 ff. FamFG. Die Notwendigkeit einer Vollstreckung im Bereich des FamFG besteht nur bei gerichtlichen Anordnungen oder sonstigen Vollstreckungstiteln, die sich an Privatpersonen richten und von ihnen ein Handeln, Dulden oder Unterlassen fordern. Die Durchsetzung derartiger Anordnungen erfolgt in Verfahren, die von Amts wegen eingeleitet werden können, ebenfalls von Amts wegen, also ohne Initiative der durch die Anordnung Begünstigten (§ 87 Abs. 1 S. 1 FamFG). Weiter wird unterschieden zwischen der Vollstreckung von Entscheidungen zur Herausgabe von Personen oder über die Regelung des Umgangs (§§ 88–94 FamFG) und der Vollstreckung sonstiger Entscheidungen (§ 95 Abs. 1 FamFG: Vollstreckung wegen Geldforderung, Herausgabevollstreckung, Handlungs- und Unterlassungsvollstreckung, Abgabe einer Willenserklärung), deren Vollstreckung ebenfalls der ZPO unterliegt.
c) Ansprüche der Justizbehörden
2.30
Ansprüche der Justizbehörden (z.B. Geldstrafen, Gerichtskosten) werden nach der Justizbeitreibungsordnung v. 11.3.1937 (BGBl. III 365-1) vollstreckt; die Landesgesetzgebung verweist dabei für die Landesjustizbehörden auf diese originär nur für Bundesbehörden geltenden Vorschriften. §§ 6, 7 JBeitrO regeln die Anwendung des Vollstreckungsrechts der ZPO und des ZVG.
3. Entscheidungen anderer Gerichte
2.31
Urteile und sonstige Entscheidungen anderer als der Zivilgerichte sind nach den Vorschriften zu vollstrecken, die in den für diese Gerichte maßgebenden Verfahrensgesetzen (ArbGG, SGG, VwGO, FGO, BVerfGG) enthalten sind. Diese Gesetze greifen allerdings durchweg in mehr oder weniger weitem Umfang auf die Regeln über das zivilprozessuale Zwangsvollstreckungsverfahren zurück.
a) Arbeitsgerichte
2.32
So begnügt sich § 62 Abs. 1 ArbGG damit, die vorläufige Vollstreckbarkeit nicht rechtskräftiger arbeitsgerichtlicher Titel zu verschärfen. Im Übrigen findet gemäß § 62 Abs. 2 ArbGG das 8. Buch der ZPO in vollem Umfang Anwendung. Vollstreckungsgericht ist also auch hier das Amtsgericht, nicht etwa das Arbeitsgericht; Arbeitsgerichte sind nur zuständig, soweit das Prozessgericht Vollstreckungsorgan ist oder Rechtsbehelfe beim Prozessgericht einzulegen sind (z.B. § 767)[14].
b) Allgemeine und besondere Verwaltungsgerichte
2.33
Für die Vollstreckung verwaltungsgerichtlicher, sozialgerichtlicher und finanzgerichtlicher Titel[15] ist jeweils das 8. Buch der ZPO für entsprechend anwendbar erklärt, soweit sich aus den jeweiligen Gesetzen nichts anderes ergibt (§ 167 Abs. 1 S. 1 VwGO, § 198 Abs. 1 SGG, § 151 Abs. 1 S. 1 FGO). Vollstreckungsgericht ist nicht das Amtsgericht, sondern das jeweilige Gericht des ersten Rechtszugs (§ 167 Abs. 1 S. 2 VwGO, § 151 Abs. 1 S. 2 FGO)[16].
2.34
Dabei ist allerdings zu beachten, dass auch hier nur Leistungsurteile einer Zwangsvollstreckung zugänglich sind. Gestaltungsurteile (z.B. die Aufhebung eines Verwaltungsakts, eines Rentenbescheids oder einer Steuerfestsetzung auf Anfechtungsklage hin) bedürfen keiner Vollstreckung. Ebensowenig haben Feststellungsurteile einen vollstreckungsfähigen Inhalt. In all diesen Fällen kommt deshalb eine Zwangsvollstreckung allenfalls bezüglich der Kosten in Betracht. Außerdem richtet sich die Vollstreckung zu Gunsten von Behörden nach den Verwaltungsvollstreckungsgesetzen bzw. der Abgabenordnung (§§ 249 ff. AO), sodass insoweit kein Unterschied zwischen gerichtlichen und „verwaltungseigenen“ Vollstreckungstiteln gemacht wird (§§ 169 VwGO, 200 SGG, 150 FGO)[17]; auf die „verwaltungseigenen“ Titel wird gleich ausführlicher einzugehen sein (unter 4).
2.35
Der Verweis auf die subsidiär anzuwendenden Vorschriften der ZPO ist deshalb im Wesentlichen bei der Zwangsvollstreckung gegen Behörden bedeutsam, sofern kein Verpflichtungsurteil (§ 172 VwGO), sondern allgemeines Leistungsurteil ergangen ist[18] (s.a. § 170 VwGO). Bei der Vollstreckung von Urteilen zu Gunsten der Behörde, die naturgemäß nicht Verwaltungsakte betrifft[19], finden u.U. Rechtsbehelfe der ZPO Anwendung: Erhebt der Betroffene etwa Einwendungen gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung, rügt er also die Verletzung vollstreckungsrechtlicher Vorschriften, so ist die Erinnerung entsprechend § 766 der richtige Rechtsbehelf. Macht er dagegen geltend, der durch das Urteil festgestellte und jetzt zur Vollstreckung gebrachte Anspruch bestehe überhaupt nicht mehr, muss er eine Vollstreckungsgegenklage entsprechend § 767 anstrengen[20].
c) Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof
2.36
Sehr freie Hand hat das BVerfG bei der – nur ganz selten notwendigen – Vollstreckung seiner Entscheidungen: es bestimmt nach seinem gesetzlich nicht näher eingeengten Ermessen, durch wen und in welcher Weise eine Vollstreckung erfolgt (§ 35 BVerfGG). Entscheidungen des EuGH waren ursprünglich nicht im eigentlichen Sinne vollstreckbar, auch soweit sie z.B. Vertragsverletzungen eines Staates feststellten. Der ausbleibende Urteilsvollzug konnte nur Gegenstand einer neuen Vertragsverletzungsklage sein. Letztlich vertraute der EG-Vertrag auf den Gehorsam der Vertragsstaaten. Fehlte er, so blieb nur die politische Sanktion[21]. Nach Maßgabe des Vertrages von Lissabon kann die Kommission beim EuGH bei Nichtumsetzung von sich aus einem Urteil des EuGH ergebenden Maßnahmen einen Pauschalbetrag oder ein Zwangsgeld beantragen (Art. 260 Abs. 2 AEUV). Im Übrigen sind Urteile nach nationalem Zivilverfahrensrecht zu vollstrecken (Art. 280, 299 AEUV)[22].
a) Anwendungsbereich der Verwaltungsvollstreckung
2.37
Bisher wurde die Vollstreckung von Titeln erörtert, die aus gerichtlichen Verfahren hervorgegangen sind oder ihnen gemäß § 794 gleichstehen. Nun muss man sich vergegenwärtigen, dass auch nichtgerichtliche staatliche Akte einer Vollstreckung bedürfen. Man denke etwa an den Steuerbescheid eines Finanzamtes, an die von einem Bauordnungsamt erlassene Abbruchsverfügung, an einen Gebühren- oder Beitragsbescheid usw. In allen diesen Fällen handelt es sich um Verwaltungsakte. Sollen Verwaltungsakte vollstreckt werden, so spricht man von Verwaltungsvollstreckung.
b) Rechtsgrundlagen der Verwaltungsvollstreckung
2.38
Die Verwaltungsvollstreckung ist wegen der bundesstaatlichen Struktur der Bundesrepublik nicht einheitlich geregelt; man hat daher – inhaltlich allerdings weitgehend übereinstimmende