Jenny. Fanny Lewald

Jenny - Fanny  Lewald


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anbetende Liebe eines Mannes zu begreifen vermag, das in sich auch den Geliebten achtet, muß nothwendig und freiwillig Allem entsagen, was diesen und sie zugleich verletzt. Wer es gefühlt hat, wie wahre Liebe das Männerherz reinigt und veredelt, dem muß es wehe thun, wenn die Mädchen selber sich um den Nimbus bringen, den Sittenreinheit um sie hervorzaubert, und der sie unserm Herzen gerade so theuer macht.

      Er hatte noch nicht geendet, als sein Auge auf die neben ihm sitzende Jenny fiel, die sich hinter der dampfenden Samovare verbarg und vor Bewegung kaum den Thee zu bereiten vermochte. Er fühlte den bittern Tadel, den er unwillkürlich auch gegen die Geliebte ausgesprochen hatte; er wollte einlenken, aber er vermochte es nicht, denn es war seine innerste Ueberzeugung gewesen, die er ausgesprochen hatte. So viel Glück ihm der heutige Abend im Theater gewährt, so weh that es ihm doch, daß ein so schlüpferiges, sittenloses Stück, so leichtfertige Gesänge, zum Boten seiner Liebe bei Jenny geworden waren. Das war der Unterschied zwischen ihm und ihr, daß sie, aufgezogen in den Begriffen der sogenannten großen Welt, trotz ihrer sittlichen Seele, das Gefühl für die Sittenlosigkeit mancher Verhältnisse verloren hatte, oder daß es nicht zum Bewußtsein in ihr gekommen war. Der Figaro, Don Juan und vieles Andere, waren ihr Dinge, an denen sie sich von Kindheit auf erfreut hatte, ohne an das Gute und Böse daran zu denken, und das war ein Zustand, in den weder Eduard noch Reinhard sich zu versetzen vermochten.

      Reinhard war bis zu seiner Universitätszeit in einem Landstädtchen in vollkommener Zurückgezogenheit erwachsen, und seinem Geiste mußten die Eindrücke, die er dann plötzlich in der Gesellschaft und durch das Theater empfing, ganz anders erscheinen, weil er sich der Empfindungen bewußt war, die dadurch in ihm hervorgerufen worden. Eduard hingegen war allmälig durch Nachdenken zu der Ansicht gekommen, die er vertheidigte, und die er, durch Verhältnisse, welche wir später darthun werden, angeregt, heute ungewöhnlich warm ausgesprochen hatte.

      Beide Männer ahnten nicht, mit welcher Verwunderung Madame Meier und die Pfarrerin den Ansichten ihrer Söhne zuhörten, und daß Beide tiefer in den Herzen derselben lasen, als es ihnen lieb sein mochte. Ebenso hatte Reinhard nicht bedacht, wie weh der armen Jenny sein Urtheil thun mußte, die sich in aller Unbefangenheit dem Genusse der Musik hingegeben hatte, und die eben heute diese Oper doppelt liebte, weil ihr während derselben die Ueberzeugung geworden war, daß Reinhard’s Herz ihr angehöre.

      Der Pfarrerin war Jenny’s Bewegung nicht entgangen; sie sah den langen, flehenden Blick, den Reinhard auf sie richtete, nachdem er gesprochen; sie sah, daß Jenny sich zu ihm neigte und ein paar Worte sprach, die ihren Sohn in das höchste Entzücken zu setzen schienen, denn sein Gesicht leuchtete vor Wonne, aber verstehen konnte sie diese leise gesprochenen Worte nicht. Ich werde nie wieder in den Figaro gehen, hatte Jenny zu Reinhard gesagt, und die Pfarrerin überlegte vergebens, weshalb der Ausdruck von Betrübniß auf dem schönen Gesichte des Mädchens trotz Reinhard’s Freude nicht verschwinden wollte.

      Um der Unterhaltung, die für einige Augenblicke ins Stocken gekommen war, wieder fortzuhelfen, bemerkte die Pfarrerin: Mag man nun über die Moral des Figaro, die allerdings locker genug ist, noch so streng urtheilen, es ist nicht zu leugnen, daß die Dichtung Anmuth hat, der bezaubernden Composition gar nicht erst zu denken.

      Das macht sie um so gefährlicher, schaltete Hughes ein, wenn wir die Gefährlichkeitstheorie der beiden Herren überhaupt annehmen.

      Ich bitte Sie, mein Herr, lachte Erlau dazwischen, lassen Sie sich doch von den abgeschmackten Lehren nicht hinreißen. Was so ein Doctor, der längst ein begehrter Heirathscandidat ist, und so ein Candidat der Theologie, der längst Prediger sein möchte, unser Einem vorpredigen und aufdociren möchten, das ist ja deshalb Alles noch nicht wahr. Lassen Sie die Beiden doch lehren, was sie wollen; ich behaupte dennoch, daß im Figaro, im Barbier, im Don Juan, in der ganz vergessenen, lieblichen Fanchon, etwas von der flüchtigen, zierlichen Leichtigkeit des vorigen Jahrhunderts liegt, die uns leider verloren gegangen ist.

      Von einer Leichtigkeit, sagte Eduard, die, in totale Verderbtheit ausgeartet, sinnlos forttänzelte zum Schaffot, trotz der warnenden Stimmen, an denen es nicht fehlte.

      Ja! zum Schaffot, fuhr Erlau fort, auf dem die leichtfertigen Tänzerinnen mit einer Ruhe starben, mit einer Seelengröße, die einer Römerin würdig gewesen wäre. Die Prinzeß Elisabeth starb eben so ruhig als Arria, oder irgend eine andere Heldin Eurer gepriesenen, langweiligen Römerzeit; und der ganze Unterschied ist der, daß die Französinnen liebenswürdig und glücklich waren, und Glückliche machten, während so eine antike Römerin, oder römische Antike in ihrem Frauengemache saß und tugendhaft war, und wollene Toga’s webte. Da lobe ich mir die Französinnen!

      Die alten Damen lachten, und Erlau fuhr dadurch ermuthigt fort:

      Sagt mir nur ehrlich, ist Einer von Euch halb so liebenswürdig, als der Graf Almaviva, oder Don Juan, oder Cherubin, oder der Abbé in Fanchon?

      Du vielleicht, lieber Erlau! sprach Eduard.

      Wollte Gott, ich wäre es. Ich strebe täglich, diese heitern Vorbilder einer fröhlichen Vorzeit zu erreichen, aber kommt man dazu? Kaum hat man sich verliebt und schwelgt in Wonne, so erzählen sie von Actien zu einer Eisenbahn, oder von Entwürfen zu Kleinkinderschulen, in denen lauter Prüden und Pedanten erzogen werden sollen. Denkt man daran, sein Herz frei zu machen, um es bald wieder gefangen zu geben, so soll man einer Corporation zur Befreiung der Negersklaven oder zur Erleichterung der Hunde beitreten; und kein Mensch denkt dabei, daß mich z. B. dies viel mehr ennuyirt, als es irgend einen Neger langweilt, Zuckerrohr zu tragen, oder einen Hund, seinen Karren zu ziehen.

      Es ist freilich nicht allen Menschen möglich, das Leben wie eine Lustpartie zu nehmen, und jedes höhere Interesse als lästiges Hinderniß zu verleugnen, erwiderte Reinhard, dem diese Scherze Erlau’s besonders darum mißfielen, weil Jenny ein Wohlgefallen daran fand, das er nicht billigen konnte.

      Und wie soll man das Leben denn wohl anders nehmen? fuhr der unerschöpfliche Erlau fort. Gott hat uns fraglos für die Freude geschaffen; Gott will, daß wir uns freuen sollen, und daß Ihr mich neulich und heute wieder in meinem besten Vergnügen stört, ist eine wahre Todsünde. Was habt Ihr denn von dem ewigen Moralisiren? Madame Meier und die Frau Pfarrerin hören so andächtig zu, daß ihnen der Thee eiskalt werden wird, und Fräulein Jenny sieht seit der abgeschmackten Unterhaltung so traurig aus, und ist so zerstreut, daß ich noch gar keinen Thee bekommen habe, den schweren Aerger zu ertränken, den Ihr mir verursacht. — Liebes Fräulein, sprach er gegen Jenny gewandt, nur eine doppelte Portion Zucker als Ausgleich für den bittern Verdruß, den Ihr Bruder mir gemacht hat!

      Die kleine Gesellschaft war in ein herzliches Lachen ausgebrochen, das Erlau’s fröhliche Laune hervorgerufen hatte. Auch Jenny riß sich gewaltsam aus den Gedanken heraus, die heute zum ersten Male in ganz neuer Gestalt in ihr erwacht waren. Nur Reinhard blieb in tiefes Sinnen verloren, und sah, aufgelöst in Liebe, zu Jenny hin, die sich eben anschickte, Erlau eine scherzhafte Antwort zu geben, als Joseph und Steinheim in das Zimmer traten. Sie waren zu Fuß aus dem Theater gekommen, und Steinheim entschuldigte ihr spätes Erscheinen mit den parodirten Worten: Spät komm’ ich, doch ich komme; der weite Weg entschuldige mein Säumen.

      Aber warum fuhren Sie nicht auch nach Hause? fragte Jenny.

      Weil leider Freitag Abend ist, antwortete Steinheim, und ich meiner Mutter den Kummer nicht machen wollte, zu fahren. Aus Kindesliebe, aus Frömmigkeit hole ich mir in dem nassen Wetter den Tod, nach dem Echauffement im Theater, und bei meinem reizbaren Nervensystem! Was soll man aber thun?

      Ich habe geglaubt, das Fahren sei nur am Sonnabend verboten, sagte die Pfarrerin.

      O nein! erwiderte Steinheim, der Sonnabend fängt bei uns schon des Freitags an, und alle Ruhe- und Sabbathfeiergesetze müssen von Freitag Abend ab gehalten werden, bis Sonnabends die ersten Sterne blinken.

      Die Pfarrerin erwähnte es lobend, daß Steinheim sich an diese Formen halte. — Mir sind sie ganz gleichgültig, antwortete er, ich halte sie für ein Gesetz, das mißverstanden ist, und befolge es nur meiner Mutter zu Liebe, der ich viele Opfer der Art bringe, obgleich sie meine Gesundheit ruiniren.

      Für solch einen Mustersohn habe ich Sie nicht gehalten, sagte Jenny, die nie der Lust widerstehen konnte, Steinheim zu necken. Ich wußte


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