Reisen in die Felsengebirge Nordamerikas. Balduin Mollhausen
tüchtigen Kaminfeuers; wir unterhielten uns wie Leute, die sich schon seit langen Jahren kennen, denn nirgends werden Bekanntschaften schneller geschlossen als im »Fernen Westen«, und es gab ja nichts, was die allgemeine Fröhlichkeit hätte stören können, wohl aber manches, was sie erhöhte, ja auf ihren Gipfel brachte, und um Mitternacht saßen wir noch an derselben Stelle und berieten uns darüber, auf welche Weise die nächste Zeit am angenehmsten zu verbringen sei. Egloffstein und ich hatten mit dem Aussuchen und der Übernahme der Maultiere nichts zu schaffen, dagegen lag es in unserm Interesse, soviel wie nur irgend möglich von Kalifornien zu sehen und kennenzulernen; wir nahmen daher mit Freuden den Vorschlag von Lieutenant Mercer entgegen: ihn in Gemeinschaft mit Mr. Hinchmann und Mr. Kennedy auf eine Fischexpedition zum Kernsee und zum Kernfluß im Tularetal zu begleiten.
Unser Aufbruch war auf den folgenden Tag festgesetzt worden, und als wir uns am 16. November zum gemeinschaftlichen Frühstück versammelten, stand schon ein mit sechs Maultieren bespannter Wagen bereit, um den einige Soldaten sowie Lieutenant Mercers Neger damit beschäftigt waren, Lebensmittel, Zelte und Fischgerätschaften zu verpacken. Wie eine sorgsame Mutter überwachte Mr. Alexander diese wichtige Arbeit, wobei er gelegentlich dem lebhaften Negerburschen, der uns als Koch begleiten sollte, weise Ratschläge erteilte: »Louis, sind die Flaschen gut gekorkt? Sind die Eier sicher verpackt? Wickle Stroh um die Blechbüchsen, schwarzer Sünder, damit sie nicht entzweigestoßen werden. Stell das Fäßchen aufrecht, Louis, und die Körbe mit den Flaschen so, daß die Herren sie zu jeder Zeit fassen können. Tritt mit deinen Zentnerfüßen nicht so auf dem Mehlsack herum, oder dein dicker Schädel soll mir dafür büßen!« So redete und brummte der gemütliche Mr. Alexander zu dem Neger. Louis nun, entzückt über die in Aussicht stehende Reise und über die Scherze des Mr. Alexander, lachte dermaßen, daß seine Augen sich wie zwei Billardbälle aus ihren Höhlen drängten, dicke Tränen über seine blauschwarzen Wangen rollten und die Mundwinkel sich fast mit den Ohren vereinigten, wobei er es an witzigen Gegenbemerkungen nicht fehlen ließ. Unter den Glückwünschen der Zurückbleibenden kletterten der wohlbeleibte Hinchmann, Egloffstein und ich auf den Wagen; Lieutenant Mercer, Mr. Kennedy, zwei Dragoner und der Neger schwangen sich auf ihre Pferde, die Peitsche knallte, die Hunde bellten, und fort ging es dem nördlichen Ende der Schlucht zu.
Der Weg führte stark abwärts; an den gefährlichsten Stellen desselben war gebaut und verbessert worden, doch konnte wegen der überhängenden Bäume und Felsblöcke sowie wegen der kurzen Windungen des unterwühlenden Sturzbachs nur langsam und mit größter Vorsicht gereist werden, und dies noch um so mehr, als zwischen den dicht zusammengerückten Bergen, die sich über 3000 Fuß hoch über ihrer Basis erhoben, ein Ausweichen vollständig unmöglich war. Die Felsen zeigten hier denselben Charakter wie weiter oberhalb; ich bemerkte nämlich überall Granitformation, und im Bett des Bachs lagen durcheinander mächtige Bruchstücke von Granit, Syenit und metamorphosiertem Gestein; auch Sandstein fand ich hin und wieder, und zwar angefüllt mit fossilen Muscheln. Auf den Höhen bildeten spärlicher Graswuchs und niedrige, kränkelnde Eichen die einzige Vegetation; unten in der Schlucht dagegen schien der aus aufgelöstem Granit und anderem verwitterten Gestein bestehende Boden dem Wachstum der Eichen besonders förderlich zu sein, denn kräftig ragten empor manche der schönen kalifornischen Arten. Doch auch verschiedene Arten von Tannen erblickte ich, vorzugsweise aber die an westlichen Abhängen der Sierra Nevada so häufig vorkommende Pinus ponderosa und die so merkwürdige Zuckertanne (Pinus Lambertiana),Pinus Lambertiana oder die Zuckertanne ist fast durchgängig in allen Gebirgsgegenden von Kalifornien verbreitet, ohne indessen Wälder zu bilden. Dieselbe erreicht nicht selten einen Durchmesser von 10 Fuß und eine Höhe von 200 Fuß und kann mit Recht nach der Wellingtonia-gigantea als die Königin der Tannen bezeichnet werden. Der Name Zuckertanne rührt von dem merkwürdigen Umstand her, daß aus dem Holz und den Wurzeln, vorzugsweise angebrannter und beschädigter Stämme, zuckerähnliches Harz quillt, das in seinen Eigenschaften dem Manna gleicht und von den Minenarbeitern sehr gesucht wird. Diese Substanz ist in dortigen Regionen unter dem Namen Pinite bekannt. deren Harz, besonders bei angebrannten Bäumen, an Süßigkeit dem Zucker fast gleichkommt, und auch vielfältig an dessen Statt gebraucht wird.
Gegen Mittag erreichten wir das Ende der Canada, und das Tularetal lag in seiner ganzen Ausdehnung vor uns. Wir befanden uns noch ungefähr 800 Fuß über der Basis der südwestlichen Spitze der Sierra Nevada, die auch Tejon Mountains genannt wird und durch die der Weg uns auf eine plateauähnliche Abflachung der äußersten Hügel geführt hatte. Links von uns, in schwer zugänglicher Tiefe, rieselte der Bach der Canada de las Uvas; derselbe versinkt nach kurzem Lauf im Tal und bezeichnet zugleich das nördliche Ende der Canada, das unter 34º 54’ 40’’ n. Br. fällt.
Von diesem Punkt aus genoß ich eine weite Aussicht, die im Westen die dunkelblauen Küstengebirge, im Osten die schimmernde Sierra Nevada, im Norden aber wie auf dem endlosen Ozean der Horizont begrenzte. Eine wüstenähnliche Stille und Einförmigkeit, die in nebliger Ferne nur von zwei glänzenden Wasserspiegeln unterbrochen wurde, ruhte auf der weiten Ebene; doch das Tal, die duftige Ferne, die zackigen Gebirgszüge und die gegen Nordosten über diese emporragenden weißen Schneekuppen der Sierra Nevada vereinigten sich zu einem schönen erhabenen Ganzen, von dem der Reisende sich nicht trennt, ohne einen Eindruck fürs ganze Leben mitzunehmen.
In stiller Verwunderung hielten wir einige Minuten, bis Lieutenant Mercer uns zur Eile trieb und einen Punkt an dem ersten See bezeichnete, den wir vor Einbruch der Nacht erreichen müßten. Er nannte die Strecke bis dorthin zwanzig Meilen, also noch ein starker Marsch, doch bewirkten die Klarheit der Atmosphäre und der günstige Standpunkt, daß mir die Entfernung kaum halb so weit erschien. Wir leisteten indessen seiner Aufforderung Folge und wanden uns langsam an den Abhängen der abschüssigen Hügel hinunter.
Das Tularetal, das seinen Namen von der mexikanischen Bezeichnung »Tule« für die an den Seen massenhaft wachsenden Binsen herleitet, kann in mancher Beziehung als die südliche Fortsetzung des großen Tals angesehen werden, das Kalifornien, fast der ganzen Länge nach, zwischen der Sierra Nevada und den Küstengebirgen durchschneidet und das der San Joaquin und der Sacramento von ihren Quellen bis zu ihrer Mündung durchströmen. Bei genauer Untersuchung stellt es sich indessen heraus, daß das Tularetal durch eine geringe Erhebung des Bodens von dem Flußgebiet des San Joaquin getrennt wird. Die Flüsse und Seen im Tularetal haben ihr eigenes System, wodurch allein schon die Absonderung bestimmt wird, wenn auch wirklich in sehr nassen Jahreszeiten der San Joaquin Wasser aus den überfließenden Seen in sich aufnimmt. Das Tularetal würde demnach mit Recht ein Becken genannt werden können, dessen nördliche Grenze mit dem 37. Breitengrad zusammenfällt und das sich von dort gegen Süden bis zum 35. Grad oder den Tejon-Gebirgen erstreckt. Die Breite wechselt zwischen fünfzig und siebzig Meilen, wodurch ein Flächenraum von ungefähr 7500 Quadratmeilen hergestellt wird. Diese weite Ebene ist indessen keineswegs eine horizontale Fläche, denn die Erhebung der Talränder nahe der Basis der Gebirge wechselt zwischen 1400 und 1600 Fuß über dem Meeresspiegel, während der Spiegel des Kern Lake, des südlichsten der Seen, nur 398 Fuß hoch liegt. Selbst ohne diesen Höhenunterschied zu kennen, der sich gleichmäßig auf so weite Strecken verteilt, ist doch die allmähliche Senkung des Bodens nach der Mitte zu dem bloßen Auge wahrnehmbar. Eine Reihe flacher Seen durchzieht von Norden nach Süden dieses Tal; die bedeutendsten sind der Tularesee, der Buena Vista und der Kern Lake, die in dortiger Gegend auch unter den indianischen Namen Tache, Cholam und Tolumne bekannt sind. Alle stehen durch natürliche Kanäle miteinander in Verbindung und empfangen ihr Wasser durch zahlreiche, nie versiegende Bäche und Flüsse, besonders aus der schneebedeckten Sierra Nevada. Der Charakter aller Seen ist immer derselbe, die Ufer sind niedrig und morastig, und weithin ist das Gebiet des Wassers an den dunkelgrünen, schlanken Binsen, die eine Höhe von 10 bis 15 Fuß erreichen, erkennbar. In trockenen Jahreszeiten bieten diese dichten Binsenwälder dem Elk sowie dem schwarzschwänzigen HirschDiese beiden verschiedenen Arten sind lange und vielfach für eine und dieselbe gehalten worden, wozu die Ähnlichkeit in der äußeren Erscheinung Veranlassung gegeben hat. Es bedarf auch in der Tat einer genauen Untersuchung, um diese beiden schwarzschwänzigen Hirsche mit gleicher Geweihbildung voneinander zu trennen. Professor J. S. Baird in Washington hat nach langem Forschen die beiden Spezies als abgesondert voneinander hingestellt, und zwar als Mule deer und Black-tailed deer. einen sicheren Zufluchtsort, wohin ihnen der Jäger nur schwer nachfolgen kann. Unglaubliche Wassermassen werden den Seen während des