Die Nilbraut. Georg Ebers
erbeutet worden war. Sie wußten, daß derselbe ursprünglich 300 Ellen lang und 60 Ellen breit gewesen, und hatten mit Entrüstung vernommen, daß der Chalif Omar, der immer noch wie ein schlichter Karawanenführer wohnte, sich kleidete und nährte und auf dergleichen Prunk mit Verachtung niedersah, dies unschätzbare Kunstwerk in Stücke geschnitten und es unter die Genossen des Propheten verteilt habe.
Der Kaufherr erklärte nun, dies Teppichstück sei der Beuteanteil Alis, des Schwiegersohns des Propheten. Er habe das ganze ungeteilte Wunderwerk in Madain, wo es an der Wand des herrlichen Thronsaales gehangen, und später auch zu Medina vor der Zerschneidung gesehen.
Die Anwesenden forderten ihn lebhaft auf, das nun Fehlende zu beschreiben, er aber schien sich beunruhigt zu fühlen, schaute häufig auf seine nackten Füße, die auf dem feuchten Mosaikboden des Brunnenraums standen, und deren Bekleidung er nach der Sitte seines Volkes im Vorzimmer gelassen.
Der Statthalter war den Bewegungen des alten Herrn, der die Hand oft an die Lippen führte, gefolgt und hatte einem Sklaven, während seine Gattin, Orion und die Witwe Haschim mit Fragen bestürmten, einige Worte zugeflüstert. Gleich darauf war dieser zurückgekehrt und hatte auf Befehl seines Herrn einen länglichen Teppichstreifen vor den braunen, edel, aber zart gebauten nackten Füßen des Arabers ausgebreitet.
Während dies geschah, ging in dem Wesen des Händlers eine eigentümliche Veränderung vor. Mit einer Würde, welche keiner der Anwesenden dem Mann, der das Zimmer demütig betreten und seine kostbare Ware mit beredter Beflissenheit angepriesen hatte, zugetraut haben würde, richtete er sich auf, über sein ruhig mildes Gesicht breitete sich ein zufriedener Ausdruck, um seinen Mund flog ein liebenswürdiges Lächeln, und die guten Augen glänzten feucht wie die eines Kindes, dem man eine Freude bereitet. Dann verneigte er sich vor dem Mukaukas, indem er mit den Fingerspitzen der rechten Hand Stirn, Mund und Brust berührte, um damit zu sagen: »Was ich denke, rede und empfinde, ist Dir geweiht,« und sagte: »Meinen Dank, Sohn des Menas; das war die That eines Muslim!«
»Eines Christen,« rief Orion eifrig; doch sein Vater schüttelte dazu leise das Haupt und sagte nachdrücklich und langsam:
»Nur die eines Menschen!«
»Eines Menschen,« wiederholte der Kaufherr und fuhr dann nachdenklich fort: »Eines Menschen! Ja, das ist freilich das Höchste, so lange wir sind, was wir sein sollten: Ebenbilder des einigen Gottes. Wer ist barmherziger als er, und jeder Barmherzige, den eine Mutter geboren, er gleicht ihm.«
»Wiederum ein christlicher Satz, Du seltsamer Muslim!« fiel ihm Orion ins Wort.
»Und dennoch,« versetzte Haschim mit ruhiger Würde, »entspricht er Silbe für Silbe der Lehre des besten der Menschen, unsers Propheten. Ich gehöre zu denen, die ihn gekannt haben auf Erden. Auch des Bruders kleinster Schmerz erfüllte sein weiches Herz mit freundlichem Mitleid; sein Gesetz fordert Barmherzigkeit auch für das Bäumchen am Wege, nennt es Todsünde, es zu verletzen, und jeder Muslim soll es befolgen. Barmherzigkeit üben, heißt es im Buch des Propheten...«
Hier wurde der Kaufherr plötzlich und jäh unterbrochen; denn Paula, welche bis dahin, an einen Wandpfeiler gelehnt, den Teppich betrachtet und dem Gespräche schweigend gefolgt war, hatte sich dem Araber mit zwei raschen Schritten genähert, wies nun mit geröteten Wangen und flammenden Augen empört auf ihn hin und rief mit bebender Stimme, nicht achtend der erstaunten und unwilligen Anwesenden und des Hündchens, das wüthend auf den Araber einkläffte:
»Ihr, ihr, die Bekenner des Lügenpropheten, ihr, die Genossen des Bluthundes Chalid, ihr und barmherzig! Ich kenn’ euch! Ich weiß, was ihr in Syrien verübt habt! Ich habe euch und eure blutlechzenden Weiber mit diesen Augen gesehen, und den Schaum auf ihren wütenden Lippen! Hier steh’ ich als Zeugin wider euch und rufe Dir ins Gesicht: Ihr habt in Damaskus Verträge gebrochen, und die Opfer eures Betruges — neben den Männern wehrlose Weiber und zarte Kinder — mit dem Schwerte gemordet und mit den Händen erdrosselt. Du, Du — Apostel der Barmherzigkeit, hast Du nichts von Abyla gehört? Du Freund eures Propheten, was hatten euch, die ihr den Baum am Wege so zärtlich schont, die unschuldigen Leute in Abyla gethan, daß ihr sie wie Wölfe, die in die Schafherde dringen, erwürgtet? Ihr, ihr und barmherzig!«
Dabei brach das leidenschaftliche Mädchen, dem niemand Barmherzigkeit erwies, und dem dieses Wort wie ein Hohn in die Seele gegriffen, das seit Stunden von mühsam verhaltenem, peinigendem Groll gemartert, es wie eine Erleichterung empfand, dem quälenden Weh ihrer Seele wie auch immer freien Lauf zu lassen, in ein bitteres Lachen aus und schwang die Hand über sich her, als wolle sie einen Bremsenschwarm vertreiben.
Welch ein Weib!
Orions Blicke hingen schaudernd und doch entzückt an ihr. Ja, die Mutter hatte sie richtig erkannt. So lachte kein gutes, weichherziges Mädchen; aber groß, herrlich, wundervoll war sie auch im Zorne. Sie erinnerte ihn an das Bild der Rachegöttin von der Hand des Apelles, das er in Konstantinopel gesehen. Seine Mutter schaute die Witwe mit einem Blicke des Einverständnisses achselzuckend an, aber auch sein Vater fühlte sich durch ihren Anblick beunruhigt. Dieser wußte, was sie bewegte, doch er empfand, daß er sie nicht gewähren lassen dürfe und brachte die Erregte zur Besinnung, indem er sie halb vorwurfsvoll, halb im Ton des Bedauerns erst leise und dann lauter und strenger bei Namen rief.
Da fuhr sie zusammen wie eine Nachtwandlerin, die plötzlich aus dem Halbschlummer erwacht, strich sich mit der Hand über die Augen und sagte, indem sie sich vor dem Statthalter verneigte:
»Verzeih mir, Oheim! ‘s ist mir leid, daß es so gekommen; aber es war stärker als ich. Du weißt, was hinter mir liegt, und wenn man mich daran erinnert, wenn ich gar das Lob der Schrecklichen höre, die mir Vater und Bruder...«
Hier hemmte lautes Schluchzen den Gang ihrer Rede, und die kleine Maria schmiegte sich mitweinend an sie; Orion aber mußte an sich halten, um nicht auf sie zuzueilen und sie in die Arme zu schließen. O, wie stand der Großen die weibliche Schwäche so wohl, wie zog sie ihn zu ihr hin!
Aber Paula blieb ihr nicht lange unterworfen; denn schon während der Statthalter sie mit freundlichen Worten beruhigte, ward sie Herr ihrer mächtigen Bewegung und bat leise und unter ruhig fließenden Thränen: »Laßt mich auf mein Zimmer, ich bitte!«
»Gute Nacht denn, Kind,« entgegnete der Mukaukas herzlich, und nun wandte sie sich mit einem stummen Gruß an die anderen der Thür zu, doch der Muslim hielt sie zurück und sagte: »Ich weiß, wer Du bist, edle Tochter des Thomas, und ich habe erfahren, daß Dein Bruder der Bräutigam war, der nach Abyla gekommen, um dort Hochzeit mit der Tochter des Präfekten von Tripolis zu feiern. Ach, daß ich, indem ich in meinem Geschäft die Messe bezog, es selbst erleben, selbst mit ansehen mußte, wie eine verruchte Schar der Meinen die friedliche Stadt überfiel. Armes, armes Kind! Dein Vater war der größte und wackerste unter all unseren Feinden. Ob auf Erden oder im Himmel, er ehrt gewiß unser Schwert, wie wir das seine. Aber Dein Bruder, der als Bräutigam in den Tod gesandt wurde, er hat uns sterbend verflucht, und Du bist die Erbin seines Grolles, und wenn der sich gegen mich, den Muslim, aufbäumt, so kann ich nichts thun als mich neigen und die Schuld derer mit büßen, deren Blutes ich bin und zu denen ich mich bekenne. Ich weiß nichts anzuführen, nein, nichts, edle Jungfrau, was die That von Abyla entschuldigt, und doch, nur dort ward es über mein graues Haar verhängt — glaub’ mir, Mädchen, es hat weh gethan — mich der Meinen zu schämen. Der Krieg, die Erinnerung an manchen verbluteten Freund, an leicht erplünderten Reichtum hatte die Leidenschaft entfesselt, und wo sie die Schwingen regt, sei es im Kampfe um das Mein und Dein, sei es um andere Güter, geschieht seit Kain und Abel über- und überall das Gleiche.«
Da schüttelte Paula, die dem Alten bis dahin regungslos gegenübergestanden, das Haupt und sagte herb: »Das alles gibt mir Vater und Bruder nicht wieder. Du selbst siehst aus wie ein milder Mann, doch wenn Du so gerecht bist wie gütig, so überzeuge Dich künftig erst, mit wem Du sprichst, bevor Du von der Barmherzigkeit der Deinen redest.«
Damit wiederholte sie den Nachtgruß und verließ das Gemach, und Orion ging ihr nach: was auch daraus entstand, er mußte ihr folgen. Doch nach wenigen Minuten kehrte er tief atmend und mit fest zusammengebissenen Zähnen zurück. Er hatte ihre Hand ergriffen, hatte ihr alles zu hören geben wollen, was ein liebendes Herz