Die Nilbraut. Georg Ebers
hatte sich nicht bloß, um Kühlung zu suchen, ins Freie begeben; nein, es verlangte sie besonders, ihr empörtes, bedrängtes Herz einem andern zu öffnen, und es gab in den Dienerhäusern zwei Wesen, von denen das eine sie verstand, kannte und liebte, und ein anderes, das ihr ergeben war wie ein treuer Hund und Aufträge für sie besorgte, welche dem Statthalterhause und seinen Bewohnern verborgen bleiben sollten.
Das eine war ihre Amme, die sie nach Aegypten begleitet, das andere der freigelassene Stallvorsteher ihres Vaters, welcher die Frauen mit seinem halberwachsenen Sohne begleitet und sie beschützt hatte, als sie nach der Metzelei von Abyla aus ihrem Versteck hervorgetreten waren und nach einem längeren Aufenthalt in einem Libanonthal keinen besseren Rat gefunden hatten, als nach Aegypten zu fliehen und sich dort unter den Schutz des Mukaukas Georg zu stellen, dessen Schwester die erste Gattin ihres Vaters gewesen. Sie selbst entstammte der zweiten Ehe desselben mit einer vornehmen Syrerin, welche eine Verwandte des Kaisers Heraklius gewesen, und die kurz nach ihrer Geburt in jungen Jahren gestorben.
Beide Diener hatte man von ihr getrennt.
Die Amme Perpetua war von der Statthaltersfrau, welche in ihr bald eine ungewöhnlich kunstfertige Weberin erkannt hatte, verwendet worden, um den am Webstuhl beschäftigten Sklavinnen des Hauses vorzustehen, und die Alte hatte dies Amt gern übernommen, obgleich sie frei von Geburt war; aber es kam ihr alles darauf an, in der Nähe ihres teuren Pfleglings zu bleiben.
Auch der Stallvorsteher Hiram war mit seinem Sohne unter die Leute des Mukaukas aufgenommen worden, zunächst um die fünf schönen Pferde aus dem Stall ihres Vaters, welche die Fliehenden nach Aegypten gebracht hatten, zu pflegen, dann aber auch, — denn man hatte seine guten Kenntnisse bald erkannt — um als Tierarzt und beim Roßhandel zu Rate gezogen zu werden.
Mit beiden hatte Paula zu reden, und sie wußte genau, wo sie zu finden waren, aber sie konnte nicht, ohne sich Widerwärtigkeiten auszusetzen, zu ihnen gelangen; denn die freien Bediensteten des Mukaukas, ihre Freunde und nun auch nach Thoresschluß die Soldaten der Wache saßen noch immer plaudernd in verschiedenen Gruppen beisammen und gingen gewiß noch lange nicht auseinander; denn einige Sklaven brachten der Wachmannschaft erst jetzt das Nachtmahl.
Auf dem Hofe hörte das Kommen und Gehen nicht auf; denn jeder, dem es erlaubt war, genoß die Kühlung der Nacht. Nur die Sklaven gehörten nicht zu diesen, da sie gleich nach dem Verschluß des Gesindethors in ihre Wohnungen getrieben worden waren, doch auch aus ihrem Quartier ließen sich noch Stimmen vernehmen.
Paula suchte klopfenden Herzens alles, was ihren scharfen Augen und Ohren erreichbar war, zu erfassen. Der zunehmende Mond beleuchtete die eine Hälfte des Hofes, die andere lag, so weit der Schatten der Statthalterei reichte, im Dunkeln. In der Mitte des ersten Halbkreises, zu dem sich die freien Diener zusammengeschart hatten, brannte ein Feuer, das schnell wechselnde Lichter über ihre braunen Züge warf, und, wenn es mit neuen Pinienäpfeln gespeist ward, hoch aufloderte und auch den dunklen Teil des weiten Raumes vor ihr erhellte. Dies steigerte die Besorgnis der Lauschenden, die den Hof überschreiten mußte und doch nicht bemerkt werden durfte; denn so unschuldig und natürlich auch alles war, was sie vorhatte, wußte sie doch, daß ihres Oheims Gattin ihren nächtlichen Gang schmählich mißdeuten werde.
Anfänglich hatte diese den Gemahl aufgefordert, Paula in ihren Nachforschungen nach dem Vater zu unterstützen, von dessen Tode niemand sichere Kunde besaß; aber die Aufmunterung der Statthaltersfrau wäre nicht nötig gewesen; denn ihr Mann hatte aus freien Stücken ein volles Jahr lang alles aufgeboten, um bei Christen und Muslimen nach Leben oder Tod des Verlorenen zu forschen; doch seit vielen Monaten war jede weitere Bemühung in dieser Sache zuerst von Frau Neforis für thöricht erklärt worden, und bald hatte dann auch ihr willensschwacher Gatte diese Ansicht geteilt und den Verschollenen verloren gegeben.
Von den Gütern ihres Vaters hatte der Statthalter nicht ohne persönliche Opfer manches für sie gerettet, die liegenden Gründe zu ihren Gunsten verkauft, ausstehende Summen, wo es noch anging, eingetrieben und ihr Rechnung über alles Zurückerlangte ablegen wollen. Aber sie wußte das Ihre in seiner Hand wohl aufgehoben und es genügte ihr die Mitteilung, daß sie, wenn auch nicht reich im Sinne des ägyptischen Krösus, so doch im Besitz eines ansehnlichen Vermögens sei. Als sie einmal und noch einmal einen Teil desselben forderte, um die Nachforschungen fortzusetzen, ließ der Mukaukas ihr das Verlangte sofort auszahlen; beim drittenmal weigerte er sich dagegen in guter Absicht mit aller Festigkeit, ihr den Willen zu thun. Er nannte sich dabei ihren Kyrios. Der beratende Freund der Frau, welcher sie auch vor Gericht zu vertreten hatte. In seiner Begleitung stand das Weib im damaligen Aegypten vor dem Gesetze dem Manne gleich. und natürlichen Vormund und erklärte es für seine Pflicht, sie zu verhindern, einem Hirngespinnst zu gefallen; denn das sei dies vergebliche Forschen schon lange geworden, sich um ein Vermögen zu bringen, das ihr einmal willkommen, ja vielleicht nötig sein werde. Das bisher Verausgabte habe er aus seiner Kasse ersetzt.
Dies empfand sie als eine edle That, aber sie drang doch wieder und wieder in ihn, ihr den Willen zu lassen, doch schon lange vergebens; denn mit aller Entschiedenheit legte er Hand auf das ihm anvertraute Gut und bewilligte ihr für das einzige, teuerste Ziel ihres Lebens keinen Solidus mehr.
Sie fügte sich scheinbar, aber ihr Vorsatz, alles aufzubieten, um die Spur des Verschollenen aufzufinden, kam in ihrer festen Seele doch nicht ins Wanken.
Für den Erlös einer Perlenschnur, die sie besessen, hatte ihr treuer Hiram eine weite Fahrt unternommen und darauf eine Reihe von Boten nach verschiedenen Ländern entsandt. Jetzt konnte wenigstens einer recht wohl mit neuen Nachrichten heimgekehrt sein, und sie mußte den Freigelassenen sprechen.
Aber wie ungesehen zu ihm gelangen? Minutenlang spähte und horchte sie nach einem günstigen Augenblick, um über den Hof zu kommen.
Da fiel ein Lichtstrahl — auf ein Antlitz. Es war das des Hiram.
Jetzt lachte der muntere Halbkreis wie mit einer Stimme laut auf, und sie faßte einen raschen Entschluß, zog das Kopftuch fester zusammen, durchkreuzte schnell den beschatteten Teil des Hofes und eilte dann in gebückter Haltung durch den Mondschein dem Sklavenquartier entgegen.
Am Eingang desselben blieb sie atemlos und mit klopfendem Herzen stehen. Hatte man sie bemerkt? Nein! Kein Ruf erscholl, kein Schritt nahte, die Hunde kannten sie alle; die Wächter, welche sonst hier aufgestellt waren, hatten ihren Posten verlassen und saßen am Feuer bei den Genossen.
Das lange Haus ihr zur Linken war die Weberei, und im oberen Stockwerk desselben wohnte Perpetua, ihre Amme.
Auch hier galt es Vorsicht üben; denn die Statthaltersgattin kam oft gerade hieher, erteilte den Arbeiterinnen Aufträge und sah zu und beurteilte, wie und was auf den hundert Stühlen, die von früh bis spät in Bewegung standen, hergestellt wurde. Bemerkte man sie hier, so konnten die Weberinnen ihren nächtlichen Besuch nur zu leicht verraten.
Sie waren noch nicht zur Ruhe gegangen; denn aus den großen, auf allen Seiten offenen, nur mit einem Dache versehenen Schuppen, wo die Bottiche der Färber standen, scholl ihr wiederum lautes Gelächter entgegen. Auch dieser Teil des Gesindes genoß nach dem glühenden Tage die Kühlung der Nacht; auch die Mädchen hatten ein Feuer entzündet.
Paula mußte an ihnen durch den Mondschein vorüber, aber dazu war der Augenblick noch nicht gekommen, und sie schmiegte sich an das Strohzelt, welches die großen thönernen Wasserkrüge bedeckte, die hier zur Tränkung der Sklavinnen ausgestellt waren. Es warf einen dunklen, dreieckigen Schlagschatten auf den staubigen, im Mondlicht leuchtenden Boden, und dieser entzog sie den Blicken der Weberinnen; sie aber hörte und sah, was in dem Schuppen vorging.
Ein schwerer, qualvoller Tag, der mit einem schrillen Mißklang für sie geendet, lag hinter ihr, und hinter diesem eine Reihe seliger, neues Glück verheißender Stunden, denen eine lange Zeit der Demütigung als Gefolge des schmerzlichsten Unglücks vorangegangen war.
Wie froh und sonnig war ihre Kindheit, wie köstlich ihre erste Jugend gewesen! Es hatte Jahre für sie gegeben, in denen sie jeden Morgen zu neuer Freude erwacht, in denen sie jeden Abend mit Dankgebeten zur Ruhe gegangen war, die ihr so frei und notwendig der Seele entquollen, wie den Rosen der Duft. Wie so oft hatte sie damals ungläubig und verdrossen das schöne Köpfchen geschüttelt,