Die Nilbraut. Georg Ebers

Die Nilbraut - Georg  Ebers


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einsamen Stunden, in jeder schlaflosen Nacht fragte sie sich, ob das ein guter, väterlich liebender Gott sein könne, der ein Kind geboren werden und heranwachsen ließ, es mit jeder Hoffnung erfüllte, um ihm dann alles, was ihm lieb und wünschenswert war, ja selbst die Hoffnung zu rauben.

      Aber die fromm erzogene Unglückliche betete und glaubte noch immer; und es hatte ja jüngst den Anschein gehabt, als wolle ihr der Himmel das gewähren, wonach ihr warmes Herz am meisten bangte: die Liebe eines geliebten, liebenswerten Menschen. Und nun, und nun?

      Da stand sie in der trostlosen Empfindung der ödesten Herzensleere und wenn sie vor Orions Heimkehr elend gewesen, jetzt war sie es noch mehr; denn aus der Vereinsamten war sie nun auch eine Betrogene geworden, sie, die Tochter des Thomas, die Verwandte, der Gast des reichsten Hauses im Lande; und neben ihr erklang in dem roh gezimmerten, fleckigen Färberschuppen, aus der Brust armseliger, der Peitsche des Vogtes verfallener Sklavendirnen, ein so lautes, lebens- und jugendfrohes Gelächter, daß sie hinhören und den Blick auf diejenigen heften mußte, denen eine so überquellende Fülle von Uebermut und Frohsinn beschert war.

      Unter dem mit Palmzweigen bedeckten, weiten Raum der Färberei waren viele Mädchen vereint, hübsche und häßliche, braune und weiße, kleine und große, gerade und von der schweren, früh begonnenen Arbeit im Webstuhle gekrümmte, aber alle jung, keine älter als achtzehn Jahre. Die Sklaven waren ein Kapital, die Zinsen, die es trug, ihre Arbeit, und ihre Kinder. Jedes unfreie Mädchen wurde bald, nachdem es erwachsen, mit einem Sklaven vermählt. In der Weberei waren Mädchen und Frauen thätig, aber die letzteren schliefen im eigenen Quartier bei Mann und Kindern, die ledigen Arbeiterinnen dagegen übernachteten in Schlafsälen, die sich an die Werkstätten schlossen.

      Jetzt genossen sie des Feierabends und hatten sich in zwei Gruppen geteilt. Die einen sahen einem ägyptischen Mädchen zu, das allerlei auf eine Tafel kritzelte, die anderen belustigten sich mit einem harmlosen Spiel. Dies bestand darin, daß jede Dirne den Schuh über den Kopf hinweg schleuderte. Flog er über einen Kreidestrich, dem die Werfende den Rücken zukehrte, so bekam sie bald den Geliebten zum Mann, blieb er zwischen ihr und der gezogenen Grenze liegen, ohne sie zu erreichen, so hatte sie sich noch zu gedulden oder wurde mit einem Schicksalsgenossen verbunden, den sie nicht mochte.

      Die kritzelnde Dirne, um die sich wohl zwanzig Mädchen scharten, hatte Muster für die Weberei abzuzeichnen und besaß das schon ihren heidnischen Ahnherren eigene Geschick, jedes Antlitz in der Seitenansicht und mit wenigen Strichen so darzustellen, daß es, wie sehr es auch komisch verzerrt ward, leicht erkennbar erschien. Dies Kunststück verrichtete sie mit Hilfe eines Wachstäfelchens und eines kupfernen Stiftes, und für die anderen galt es zu erraten, wen sie gemeint.

      Ein einziges Mädchen kauerte einsam an dem hintersten Pfosten des Schuppens und blickte stumm in den Schoß.

      Paula überschaute das alles und verstand auch, was da vorging, obgleich kein zusammenhängender Satz geredet wurde und es nichts zu hören gab als Gelächter, lautes, herzliches, unwiderstehliches Lachen. Warf eine Dirne den Schuh weit genug, so lachte die junge Schar aus vollem Halse, und jede rief fröhlich den Namen dessen, den sie der Genossin zum Gatten bestimmte; fiel die Sohle vor dem Strich zu Boden, so ging es noch munterer her, und die Namen der ältesten und garstigsten Sklaven wurden gerufen. Einer braunen Syrerin war es nicht gelungen, den Strich zu erreichen, aber sie griff keck nach der Kreide und zog eine neue Linie zwischen sich und der Sohle, so daß diese nun doch hinter einem Striche zu liegen kam, und jetzt erreichte die Fröhlichkeit den Gipfel, denn viele stürzten sich auf die falsche Linie, um sie zu verlöschen, ein übermütiger, nubischer Krauskopf warf den Schuh in die Luft und fing ihn wieder auf, während andere sich über den guten Spaß vor Vergnügen gar nicht beruhigen konnten und den Namen dessen ausriefen, dem zu gefallen ihre Genossin dem Schicksalsrad so verwegen in die Speichen gegriffen.

      Es war als habe ein lustiger Kobold in dem zugigen Schuppen sein Quartier aufschlagen; denn um die Zeichnerin ging es nicht weniger munter her als unter den anderen. Ward ein Gesicht erkannt, so freuten sich alle, wenn nicht, so riefen die Dirnen die Namen verschiedener Personen, die es vorstellen konnte. Welch schallender Beifall lohnte das wohlgelungene Zerrbild des strengsten Sklavenvogtes. Wer es sah, hielt sich die Seiten vor Lachen, und wie toll ging es her, als ein Mädchen der Zeichnerin das Täfelchen entriß und andere es überfielen, um sich mit ihm darum zu balgen.

      Paula hatte dem allen anfänglich befremdet und kopfschüttelnd zugesehen. Wie konnte man sich an solchem Tand, an so unsinnigen Dingen so lebhaft freuen! Freilich, als sie noch klein war, hatte auch sie sogar über nichts lachen können, und diese erwachsenen Mädchen, waren sie in ihrer Unwissenheit und der engen Beschränktet ihres Geistes nicht gleichfalls allesamt Kinder?

      Die Mauern der Statthalterei umschlossen ihre Welt, über den gegenwärtigen Augenblick sahen sie nicht hinaus, ganz wie die Kleinen, und so konnten sie auch lachen wie diese. »Das Schicksal,« dachte Paula, »hält sie jetzt schadlos für das Unglück ihrer Geburt, und tausend saure Tage, und hernach gehen sie müde und fröhlich zu Bette. Ich könnte diese armen Geschöpfe beneiden! Wenn es anginge, mischte ich mich unter sie und würde noch einmal zum Kinde!«

      Da war das komische Bildnis des Vogtes fertig geworden, und eine kleine, dicke Dirne brach nun vor allen anderen in ein ausgelassenes, langanhaltendes Gelächter aus, und das kam ihr so natürlich aus der tiefsten Tiefe der vollen Brust, daß Paula, die wahrlich nicht hieher gekommen war, um zu lachen, sich plötzlich angesteckt fühlte und, mochte sie wollen oder nicht, mitlachen mußte. Kummer und Elend waren vergessen, es gab für sie kein Erwägen und Grübeln mehr, und minutenlang fühlte sie nichts, als daß sie lache, herzlich und unaufhörlich lache, wie ein junges, gesundes Menschenkind, das sie ja war. Ach, wie wohl es doch that, sich einmal selbst zu vergessen! Sie sagte es sich nicht, aber sie fühlte es und lachte noch fort, wie die Sklavin, welche allein an dem Pfosten gesessen, sich zu den anderen gesellte und etwas in die fröhliche Schar hineinrief, das, unverständlich für Paula, die Heiterkeit der anderen neu belebte.

      Die schlanke Gestalt des stillen Mädchens stand jetzt am Feuer. Paula hatte es noch nie gesehen, und dennoch war es weitaus die Schönste von allen, aber es sah nicht heiter aus, und vielleicht fühlte sie Schmerzen; denn ein Tuch umschloß ihr Haupt und war, als litte sie an Zahnweh, auf dem Scheitel über dem vollen blonden Haar zusammengebunden.

      Ihr Anblick brachte Paula zu sich selbst zurück, und sobald sie wieder zu denken begann, nahm die Fröhlichkeit ein Ende; doch die Sklavinnen fuhren fort, sich ihr hinzugeben; indessen klang ihr Lachen diesmal nicht so harmlos und rein als vorhin: ihre Fröhlichkeit hatte sich ein Ziel gewählt, wovor sie besser zurückgewichen wäre.

      Das Mädchen mit dem verbundenen Kopfe war auch eine Sklavin des Hauses, aber erst vor kurzem und nachdem es längere Zeit bei zwei alten Sklavenwitwen mit Handarbeiten beschäftigt worden war, zu den Weberinnen zugelassen worden. Ein Heerhaufe des Heraklius hatte es an der Brust seiner Mutter nach dem Sieg über Chosroes II. aus Persien nach Alexandria gebracht, und dort waren beide für den Mukaukas gekauft worden.

      Die Perserin starb, als die Kleine dreizehn Jahre alt geworden, in der ungewohnten Sklaverei, ihr Kind wurde ein liebliches Mädchen mit schwanenweißer Haut und vollem Goldhaar, das auch jetzt im Licht des Feuers wundervoll glänzte. Der junge Orion hatte sie vor seiner Reise bemerkt und, entflammt von der Schönheit der jungen Perserin, sie zu besitzen gewünscht. Gewissenlose Diener und Beamte waren ihm schnell behilflich gewesen, sie in ein Landhaus des Mukaukas jenseits des Niles zu versetzen, und dort hatte er sie ohne Störung aufsuchen können, so oft es ihn zu ihr hinzog. Die kaum sechzehn Jahre alte Sklavin hatte unerfahren, ungewarnt und schutzlos, wie sie war, dem schönen Sohne ihres Herrn nicht zu widerstehen gewagt und vermocht. Als Orion, leichten Herzens und schon überdrüssig des Mädchens, das ihm nichts bieten konnte als seine Schönheit, nach Konstantinopel gereist war, erfuhr Frau Neforis, was sie ihrem Sohne gewesen, und befahl dem obersten Sklavenvogt, die Unglückliche zu verhindern »ihre Verführungskünste weiter zu üben«; dieser aber war einer solchen Forderung gerecht geworden, indem er der Perserin einem alten Gebrauche gemäß die Ohren abschneiden ließ. Nach dieser grausamen Strafe verfiel die schöne Verstümmelte in Schwermut und Irrsinn, und obgleich sich die Exorzisten der Kirche und andere Geisterbanner vergeblich bemühten, die Dämonen des Wahnsinnes auszutreiben, blieb sie, was sie


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